Der weite Weg nach Europa: Die Deutschen und ihre slawischen Nachbarn

"Der weite Weg nach Europa: Die Deutschen und ihre slawischen Nachbarn" heißt ein Buch von Klaus Hemmo. Es beleuchtet das wechselseitige Verhältnis von Tschechen, Deutschen, Polen und Sorben. Martina Zschocke unterhielt sich mit dem Autor vor allem über den tschechischen Teil des Buches und dessen Motivation sich dieser Thematik zu widmen.

"Die Prager Karlsbrücke ist steinernes Zeugnis für Jahrhunderte mitteleuropäischer Geschichte. Wo heute Touristen flanieren, ritten einst die böhmischen Könige zur Krönung auf dem Hradschin; marschierten die tschechischen Regimenter der k.u.k.-Armee in den Ersten Weltkrieg; rollten die Mannschaftswagen der Wehrmacht Hitlers; jagten "Revolutionsgarden" die deutschen Prager aus dem Land und versammelten sich schließlich 1990 die Demonstranten der "Samtenen Revolution".

Mit seinen slawischen Nachbarn verbindet Deutschland eine wechselvolle Geschichte, die weit hinter den Zweiten Weltkrieg und die anschließenden Vertreibungen zurückreicht. Über die europäische Katastrophe ist viel und oft berichtet worden, weniger und selten über die Jahrhunderte und Jahrzehnte, die ihr vorausgingen und sie in gewissem Maß erst möglich machten.

Dieses Buch erzählt von der "Konfliktgemeinschaft" der Deutschen mit ihren slawischen Nachbarn. Das Gegeneinander hinterließ bittere traumatische Wunden, doch enthielt es auch Ansätze zu einem friedlichen Miteinander auf dem weiten Weg nach Europa. So steht es im Klappentext des Buches "Der weite Weg nach Europa: Die Deutschen und ihre slawischen Nachbarn".

Ich traf den Autoren dieses Textes, Klaus Hemmo, in Berlin und fragte ihn, was ihn motiviert hat, dieses Buch zu schreiben.

"Ja, motiviert hat mich dazu dann die Frage, dass in den vergangenen Monaten, und eigentlich schon in den vorangegangen Jahren ständig nur vom 2. Weltkrieg und den Vertreibungen die Rede war, aber niemals davon, dass vor diesen Katastrophen schon eine Reihe von Auseinandersetzungen gegeben hat, die dazu beigetragen haben, gegenseitige Vorurteile und Misstrauen zu schaffen und da habe ich versucht, die Abschnitte in der Geschichte herauszufinden, wo das besonders war. Ich habe nicht versucht, eine Gesamtgeschichte zu schreiben, aber ich habe versucht, die Abschnitte deutlich zu machen, die zu dieser Konfliktgemeinschaft, wie es ein tschechischer Historiker genannt hat, geführt haben."

Und er ergänzt einen ganz konkreten Anlass, der ihn dazu bewegte, die Arbeit an diesem Buch aufzunehmen:

"Ich habe einen ganz konkreten Anlass gehabt, vor zwei, nein vor drei Jahren hat Bundesinnenminister Schily auf dem Sudetendeutschen Tag gesprochen und er hatte gesagt in seiner Rede, dass die ersten Vertriebenen Tschechen und Juden waren und darauf hin gab es Buhrufe und heftigen Protest und das berührte mich irgendwie, ich war neugierig und dachte, man muss der Sache mal richtig nachgehen, was da war. Ich wusste, dass es so war, aber wie das im Einzelnen war natürlich nicht und für mich war das ein Anlass mich dieser Frage zuzuwenden und dann eben auch herauszufinden, wie das nun wirklich gelaufen ist."

Das Buch zeigt dementsprechend auch viele bisher wenig reflektierte Zusammenhänge auf und zeichnet aus neutraler Perspektive Entwicklungen nach. So zum Beispiel die Verwicklung der deutschen Bevölkerung in die Okkupation der jungen Demokratie, der ersten Republik der Tschechoslowakei.

"Wenn ich noch ein Beispiel nennen kann. Es geht z.B. um diesen Begriff der 5. Kolonne. Die bekanntlich - wie der Begriff sagt - als 5. illegale, also nicht offizielle Kraft bei einer Auseinandersetzung eine Rolle spielt und gewissermaßen hinter den Linien verdeckt operiert. Der Vorwurf, dass die Deutschen, die Sudetendeutschen, de facto die 5. Kolonne Hitlers waren, die Vorbereitungen getroffen haben zur Okkupation der Tschechoslowakei, wird ja scharf zurück gewiesen vor allem von den Funktionären der Sudetendeutschen Landsmannschaft. Aber diese 5.Kolonne sind sie wirklich gewesen, denn es gab Absprachen zwischen Henlein und Hitler. Henlein hatte ja angeboten, dass die deutsche Volksgruppe hilft, den mährischen Raum zu erschließen, wie er sagte, für das große Nazireich und Hitler hat davon Gebrauch gemacht, indem er Henlein immer wieder aufforderte solche Forderungen zu stellen, die von der Tschechoslowakischen Regierung gar nicht erfüllt werden können. Und diese Partei, die von Henlein geführt wurde, hatte ja eine sehr hohe Mitgliederzahl, war im Verhältnis zur Bevölkerungszahl die mitgliederstärkste faschistische Partei in Europa und sie hat eine ganze Reihe solcher Aktionen gemacht, es gab Demonstrationen und es gab auch Sabbotageversuche, Hetzaufrufe usw. Wer bei diesen Provokationen mitgemacht hat, war Teil der 5. Kolonne, weil diese Aktionen Hitler den Vorwand liefern sollten, militärisch einzugreifen."

Tschechen, Polen und Sorben: die slawischen Nachbarn und Mitbewohner sind das Themas dieses Buches. Ob es etwas gab, was er beim Schreiben problematisch fand, frage ich Klaus Hemmo:

"Mein Problem war immer, also wirklich einigermaßen objektiv zu sein, weil natürlich, dass was wir sonst erlebt haben und was man uns auch in der DDR als Geschichtsbild dargeboten hat, eigentlich so war, dass wir immer die Rolle des deutschen aggressiven Imperialismus an erster Stelle sahen und es ist ja auch so, dass leider in der Geschichte, wenn man nun zurückschaut, dass natürlich das deutsche Schuldkonto weitaus größer ist als das der anderen beiden Völker. Aber es gab natürlich auch auf der anderen Seite Gewalt. "

Was ihn am Kapitel über Tschechen und Deutsche besonders interessiert hatte, frage ich ihn:

"Bei dem Teil Deutsche und Tschechen ... ich würde sagen, es war für mich von besonderem Interesse zu erfahren, herauszuarbeiten und zu erkennen, dass die deutsche Minderheit, sofort nach der Gründung der Tschechoslowakischen Republik versucht hat die ganzen Grenzgebiete an das damalige Deutsch-Österreich anzuschliessen, sich also abzutrennen von der Tschechoslowakischen Republik. Es gab ja eine provisorische Regierung in Liberec, in Reichenberg und dass also hier ein Separatismus vorhanden war, über den auch bisher kaum etwas geschrieben oder gesprochen worden ist. Das hat mich besonders interessiert."

Für den tschechischen Teil recherchierte er in der Staatsbibliothek, im Preußischen Staatsarchiv und er fuhr zu Dr. Machacek nach Prag, den Vorsitzenden des Arbeitskreises tschechischer Bürger, die von 1938-45 aus den Grenzgebieten ausgewiesen wurden.

Das Buch vermittelt interessante geschichtliche Fakten in durchaus lesbarer Art. Der Text wurde in weniger wissenschaftlichem als unterhaltsamem Ton gehalten und hat trotz aller notwendigen und vorhandenen Objektivität einen Sinn für witzige Anekdoten und skurrile Details. Das Kapitel über Tschechien beginnt mit dem berühmten Fenstersturz auf der Prager Burg und führt weiter zum "Böhmischen Krieg". Der wird beispielsweise wie folgt beschrieben: "In diesem böhmischen Krieg kämpften Tschechen und Deutsche gemeinsam gegen den katholischen Kaiser, der zugleich der König von Böhmen war. Von den Namen her waren die beiden Nationalitäten kaum zu unterscheiden. (Schon damals galt, was man heute in Österreich so schildert: Wenn eine österreichische Fußballmannschaft gegen eine tschechische spielt, dann sind die österreichischen Spieler die mit den tschechischen Namen und die tschechischen Fußballer die mit den deutschen Namen.) Das Buch führt weiter über Palacky zu Masaryk, den Gründer der tschechischen Volkspartei und des tschechoslowakischen Staates, der im übrigen mit einer Amerikanerin verheiratet und Professor für englische und französische Philosophie und Soziologie war. Es führt bis hin zu dem berühmten Satz "Majestät bemühen sie sich nicht, es ist zu spät", den Karel Kramar in Wien zu Kaiser Karl sagte, als dieser in mitleiderregendem Tschechisch radebrechte und versuchte Böhmen noch in letzter Minute fürs Österreichische Kaiserreich zu retten.

Zum Schluss blieb nur noch die Frage offen, was Klaus Hemmo ganz persönlich an dieser spezifisch slawischen Thematik interessiert hat.

"Ja, es liegt daran, dass ich eigentlich Sorbe bin, aus der Lausitz komme. Hemmo ist ein typisch sorbischer Name, den gibt es auch relativ wenig sonst in Deutschland und ich habe ja meine journalistische Arbeit begonnen als Volontär der sorbischen Zeitung "Nova Doba", hieß die damals in Bautzen - Budysin, wie man auf sorbisch sagt - und da fühlt man sich doch etwas mehr verbunden mit Slawen als jemand, der überhaupt keine Beziehung zu slawischen Sprachen oder zu slawischer Kultur hat."

Damit sind wir am Ende des heutigen Kultursalons. Das Buch "Der weite Weg nach Europa. Die Deutschen und ihre slawischen Nachbarn" erschien bei Artemis und Winkler im Patmos Verlag.