Von Venusleuten und Feuermännchen: Deutsche Märchen aus Tschechien in einem zweisprachigen Buch
Ein zweisprachiges Buch mit Märchen und Sagen, die in den deutschsprachigen Familien in Böhmen, Mähren und Schlesien erzählt wurden – das ist der Band mit dem Titel „In der Welt von Rübezahl und den Wassermännern“. Zusammengestellt hat es die Journalistin Lucie Römer. Am vergangenen Mittwoch wurde das Märchenbuch im Prager Haus der Minderheiten feierlich präsentiert. Martina Schneibergová hat bei dieser Gelegenheit mit Lucie Römer gesprochen.
Frau Römer, was war der Anlass für die Entstehung des zweisprachigen Märchenbuchs?
„Dem liegt zugrunde, dass meine Kinder deutsch-tschechisch aufwachsen. Mein Mann und ich haben nicht so viele Bücher, aus denen wir unseren Kindern vorlesen könnten. Die Idee ist, dass das Buch auch beim Deutsch- oder Tschechisch-Unterricht auf beiden Seiten der Grenze benutzt werden könnte.“
Wo haben Sie nach den Sagen und Märchen gesucht? Gibt es unter der deutschsprachigen Bevölkerung in Tschechien noch Großeltern oder Eltern, die diese Märchen ihren Kindern erzählen?
„Ursprünglich hatte ich gedacht, dass es noch viele Familien gibt, in denen diese Märchen erzählt werden. Ich habe etwa zwanzig Mitglieder der deutschen Minderheit angesprochen und sie gebeten, mir eine solche Sage oder ein Märchen zu erzählen. Sie haben jedoch alle mit Bedauern gesagt, sie hätten zu Hause hätten nur tschechische Märchen gehört und gelesen. Das hat mich ein wenig enttäuscht. Umso mehr war ich aber motiviert, ein Märchenbuch herauszugeben. Ich fände es schade, wenn die Erzählungen von früher verschwinden würden. Ich habe alle möglichen Bücher mit Märchen von Deutschen aus den Böhmischen Ländern in Antiquariaten in Tschechien und Deutschland gekauft und sie gelesen. Die Geschichten, die am häufigsten in den Büchern vertreten waren, habe ich dann zusammengetragen.“
Wie viele Bücher haben Sie gelesen oder mindestens durchgeblättert?
„Ein Problem war, dass einige der Bücher in der Schwabacher Schrift gedruckt waren. Ich konnte sie nicht lesen. Letztlich habe ich mich mit etwa zwölf Büchern befasst. Das älteste davon erschien in den 1950er Jahren, das neueste ist nur einige Jahre alt. Dabei handelt es sich um ein Buch aus der Region von Iglau.“
Unterscheiden sich die Märchen der Deutschen aus Böhmen von anderen Märchen, die wir etwa von Božena Němcová oder Karel Jaromír Erben kennen?
„Es ist interessant, dass die Märchen aus den älteren Büchern viel brutaler sind. Die neueren Märchen sind sanfter und haben oft ein Happy End. Viele der Bücher, die wir gesammelt haben, sind schwarzweiß gestaltet und in einer alten Sprache gehalten. Diese möchten die Kinder heute nicht mehr lesen, weil sie sie auch fast nicht mehr verstehen würden. Darum wollten wir ein neues Buch herausgeben, das interaktiv ist, viele schöne Bilder enthalten sollte und für Kinder verständlich wäre. Die Märchen sind nicht wortwörtlich übersetzt, sondern sozusagen neu erzählt. Ich bin seit 15 Jahren im Medienbereich tätig, und die Sprache ist mein Arbeitsmittel. Ich wollte die Texte so bearbeiten, dass sie gut zu lesen sind. Aber der ursprüngliche Sinn der Märchen sollte beibehalten werden. Ich hoffe, dass ich dies sensibel genug gemacht habe.“
Gibt es in diesen Märchen typische Figuren, die es in anderen Erzählungen nicht gibt?
„Viele der Märchenfiguren sind ähnlich. Da gibt es Wassermänner, Prinzessinnen, Prinzen, Könige sowie böse Zwerge. Was ich aus den tschechischen Märchen nicht kenne, sind die Venusleute. Das ist eine Art von Bergleuten, die den Menschen helfen und sie auch heilen können. Zudem erzählen die deutschen Märchen über Feuermännchen. Die kenne ich aus den tschechischen Sagen nicht. In jedem der Bücher, die ich gelesen habe, gab es mindestens ein Märchen über die Feuermännchen. Das sind Figuren, die Grenzsteine verschoben haben, als sie versuchten, ihr Grundstück zu vergrößern. Dafür wurden sie bestraft und müssen den Menschen nun auf dem Weg leuchten. Sie machen aber auch böse Sachen, indem sie die Leute erschrecken, weil sie wie brennende Figuren aussehen. Sie können erlöst werden, wenn sie für jemanden etwas Gutes tun und er sich dafür bedankt. Das habe ich in den tschechischen Märchen nicht gefunden. Ansonsten treten in den alten Büchern, die ich gelesen habe, weniger Prinzessinnen auf, dafür aber häufiger ganz normale Frauen. Die weiblichen Figuren sind viel stärker und aktiver als in anderen Märchen, sie kämpfen gegen das Böse. In einem Märchen etwa betritt ein Teufel das Zimmer eines Mädchens. Dieses erschrickt aber nicht, sondern es gelingt ihr, den Teufel mit Hilfe von Berg-Klee zu verjagen. Heilkräuter spielen oft eine wichtige Rolle in den Märchen. Die Menschen haben früher geglaubt, dass Kräuter ihnen helfen, und wollten dieses Wissen an ihre Kinder weitergeben.“
Die Märchen sind interaktiv, im Anschluss werden immer einige Fragen gestellt. Wie sind sie auf diese Idee gekommen?
„Wenn ich mit meinen Kindern Bücher vorlese, habe ich das Problem, dass ich einige Märchen manchmal ein wenig dumm finde. Es gibt viele Geschichten, die keinen Sinn ergeben. Ich finde es wichtig, mit den Kindern über die Märchen zu reden, um ein Feedback zu bekommen. Dann frage ich sie, ob sie es gut fanden und warum eine bestimmte Person dies und jenes machte. Dies ist für mich ein natürlicher Vorgang. Deswegen gibt es zu jedem Märchen in unserem Buch interaktive Fragen, die die Eltern oder die Vorleser nutzen können. Das ist nur eine der Möglichkeiten, die zur weiteren Diskussion über die Geschichte anleiten. Zum Schluss können sich die Kinder auch ein Märchen ausdenken, es aufschreiben oder illustrieren. Es würde mich sehr interessieren, wozu das Buch die Kinder noch inspiriert.“
Das zweisprachige Märchenbuch „In der Welt von Rübezahl und den Wassermännern“ enthält Illustrationen von Jakub Šolín. Es wurde 2021 im Verlag des Böhmischen Waldes in Domažlice / Taus herausgegeben.