Die Affäre Nagyová – ein Jahr nach dem Sturz der Regierung Nečas

Jana Nagyová (Foto: Tschechisches Fernsehen)

Vor einem Jahr stürzten der damalige Premier Petr Nečas und seine Regierung über eine Bespitzelungs- und Korruptionsaffäre. Wenige Tage zuvor hatte die tschechische Polizei bei einer massiven Razzia unter anderem das Regierungsamt durchsucht. Doch zum Prozess ist es in dieser sogenannten Affäre Nagyová immer noch nicht gekommen. Haben sich Staatsanwaltschaft und Polizei etwa verrannt? Und wie lässt sich die Affäre einordnen?

Jana Nagyová  (Foto: Tschechisches Fernsehen)
Es war ein bis dahin unerhörtes Vorgehen der Polizei: Am 13. Juni 2013 drangen bewaffnete und vermummte Einsatzkräfte in den Sitz des Premiers ein, um dort Beweismaterial sicherzustellen. Außerdem verhafteten sie die engste Mitarbeiterin des Regierungschefs. Nur wenige Stunden später wurden zudem Gebäude des Verteidigungsministeriums und des staatlichen Forstamtes durchsucht; weitere Menschen wurden abgeführt.

Die Öffentlichkeit war verblüfft: So hoch in die Politik hatten sich bis dahin die Ermittlungsbehörden noch nie gewagt. Und die Politiker waren konsterniert. Miroslava Němcová war zu der Zeit Vorsitzende des Abgeordnetenhauses und gehörte der Demokratischen Bürgerpartei an, deren Vorsitzender damals Premier Nečas war:

Petr Nečas  (Foto: Tschechisches Fernsehen)
„Auch wenn es ein Jahr her ist, sind meine Erinnerungen daran immer noch präsent. In meiner ersten Reaktion war ich schockiert, aber damit war ich nicht allein. Denn es war nicht nur ein Schock für die Politik, sondern auch für die Öffentlichkeit – einfach für alle, die das Geschehen verfolgt haben. Der Schock kam auch daher, dass wir anfangs fast überhaupt keine Informationen darüber hatten, was sich abspielte. Selbst ich als Vorsitzende des Abgeordnetenhauses wusste nicht, dass die Polizei auch ins Regierungsamt eingedrungen war, dort Unterlagen beschlagnahmt hatte - und dadurch die Regierung in ihrer Funktion gestört war, ja in gewissem Maß die Staatsgeschäfte bedroht waren.“

Staatsanwaltschaft in Olomouc  (Foto: L.Decky,  Panoramio)
Ein Jahr ist die Razzia und der nachfolgende Rücktritt des damaligen Premiers Petr Nečas nun her. Die Staatsanwaltschaft ermittelt seitdem in drei Einzeltatbeständen, keiner wurde bisher aber vor Gericht gebracht. Stattdessen geriet die zuständige Staatsanwaltschaft in Olomouc / Olmütz unter Druck. So hatte sie auch drei ehemalige Abgeordnete wegen politischer Korruption verhaften lassen. Doch bereits im Juli vergangenen Jahres entschied der Oberste Gerichtshof, dass die drei Ex-Politiker gar nicht belangt werden können – denn durch die weitreichende tschechische Abgeordnetenimmunität seien sie geschützt gewesen. Mittlerweile fordern die früheren Mandatsträger mehrere Millionen Kronen Entschädigung dafür, dass sie damals verhaftet wurden und mehr als einen Monat in Untersuchungshaft verbringen mussten.

Foto: Archiv der Polizei der Tschechischen Republik
Zudem kam Kritik auf am konkreten Vorgehen der Polizei bei den Verhaftungen. Der Chef der Polizeieinheit zur Bekämpfung organisierten Verbrechens veröffentlichte im Januar dann die Aufzeichnung von der Verhaftung der damaligen Büroleiterin und Geliebten von Nečas, Jana Nagyová, die heute seine Ehefrau ist. Dies sollte zeigen, dass das Vorgehen sehr zivil gewesen sei. Damit tappte der Chef der Polizeieinheit jedoch in die nächste Falle, denn dies brachte die Datenschutzbehörde auf den Plan. Sie rüffelte den Chef, dass er nicht die Persönlichkeitsrechte von Nagyová gewahrt hatte.

Petr Nečas  (Foto: Tschechisches Fernsehen)
Am Freitag vergangener Woche wandte sich dann Ex-Premier Nečas mit einer Erklärung an die tschechische Presseagentur ČTK. Dort beklagt er sich bitterlich, dass er und seine heutige Ehefrau bereits im Vorfeld verurteilt würden. So schreibt er unter anderem, Zitat:

„Ein Jahr lang dauert schon die Entehrung meiner Person sowie meiner ehemaligen Mitarbeiterin und heutigen Ehefrau Jana an. Dies entspricht nicht der Beweislage. Jeder Bürger dieses Staates hat das Recht auf ein faires Gerichtsverfahren, und erst bei diesem wird die Relevanz der angeführten Beweise beurteilt.“

Wie Petr Nečas weiter anführt, gebe es aber keine Beweise für die Grundtatbestände.

Diese Grundtatbestände sind, wie gesagt, gleich drei. Zum einen ist es der Missbrauch des Militärgeheimdienstes durch die Büroleiterin und damalige Geliebte des früheren Regierungschefs, um dessen erste Ehefrau zu bespitzeln. Als Zweites wird ermittelt wegen möglicher Bestechung von drei früheren Abgeordneten der Demokratischen Bürgerpartei. Sie galten als Rebellen in ihrer Partei und sollen den Bestand der damaligen Regierungskoalition gefährdet haben. Premier Nečas als Parteivorsitzender soll diesen Abgeordneten daher gut dotierte Posten in staatlichen Firmen angeboten haben, wenn sie ihre Mandate niederlegten – was die drei Politiker auch taten. Der dritte Tatbestand betrifft die Einflussnahme einiger Prager Unternehmer auf das Geschehen in der Regierung – und zwar erneut mittels Nečas´ Büroleiterin, also damals Jana Nagyová.

Pavel Komár  (Foto: Tschechisches Fernsehen)
Tatsächlich finden auch die Beobachter des politischen Geschehens in Tschechien, dass sich die Arbeit der Staatsanwaltschaft bereits verdächtig lange hinziehe. Denn bereits Anfang 2012 hatten die Ermittlungen begonnen, also anderthalb Jahre vor der Polizeirazzia. Am Sonntag äußerte sich dazu der stellvertretende Oberstaatsanwalt aus Olmütz, Pavel Komár, in einer Talkshow des Tschechischen Fernsehens:

„Ich weiß nicht, wie die Öffentlichkeit das empfindet, aber für uns ist die Dauer der Ermittlungen normal. In den meisten Straffsachen, zu denen in Tschechien ermittelt wird, ist die Zeit bis zu ihrer Klärung und der möglichen Aufnahme des Gerichtsprozesses zwar tatsächlich kürzer. Aber hier geht es ja nicht um Diebstahl oder eine Autofahrt unter Alkoholeinfluss. Bei umfangreichen Fällen, die bei der Oberstaatsanwaltschaft in Olmütz oder Prag liegen, vergehen normalerweise dreieinhalb Jahre von der Aufnahme der Ermittlungen bis zum Erheben der Anklage.“

Illustrationsfoto: Stefan Devor,  Freeimages
Wie bereits geschildert, sind rund um die Ermittlungen auch Fehler geschehen. Der letzte in der Reihe war die Veröffentlichung von Abhörprotokollen. Diese geben Telefongespräche zwischen Petr Nečas und Jana Nagyová von Anfang 2013 wieder – und daraus geht hervor, dass beide bereits damals eine Beziehung hatten. Vor allem aber zeigen sie, welch starken Einfluss die Bürochefin auf den Premier und damit auch auf das Geschehen in Regierungskreisen hatte. Das reichte bis zur Besetzung von Posten in staatlichen Behörden.

Dass die Protokolle an die Öffentlichkeit gelangt sind, hat erneut einen Schatten auf die Ermittler geworfen. Staatsanwalt Pavel Komár weist indes jegliche Schuld der ermittelnden Behörden zurück:

Vojtěch Bednář  (Foto: Vimeo)
„Wir haben eindeutige Beweise, dass einer der Verteidiger die ihm zugestellten Protokolle an einen konkreten Journalisten weitergereicht hat. Der Journalist veröffentlichte sie, und so wurden sie in den Medien verbreitet.“

Auch wegen der Details aus den Abhörprotokollen ist die gesamte Affäre Nagyová gefundenes Fressen für den Boulevard. Vojtěch Bednář ist Medienwissenschaftler an der Palacký-Universität in Olmütz:

„Ich bin überzeugt, dass die meisten Menschen die Affäre als ein Melodram verstehen. In diesem Melodram fungiert ein bedeutender Regierungsvertreter, der amtierende Premier, der seine Geliebte nicht im Griff hat. Es gibt Spione, es besteht ein Liebesdreieck, es geht um viel Geld – und dann hört auch noch die Polizei mit. Das sind tolle Sachen, die man sonst nur in einem Roman zu lesen bekommt. Aber in dem Fall prasseln diese Dinge vom Fernseher auf einen ein, fast als Live-Übertragung. Und die Menschen wissen, dass dies kein Roman ist, sondern dass sich das wirklich zuträgt oder zugetragen hat.“

Jiří Dienstbier  (Foto: Archiv ČSSD)
Dabei ist die Öffentlichkeit nicht nur aufmerksame Beobachterin - anscheinend hat sie einen gewichtigen Anteil daran, dass die Affäre Nagyová überhaupt aufgedeckt wurde. Nicht nur die Regierung Nečas taumelte von einem Skandal zum nächsten, sondern auch schon die Regierungen zuvor – welch politische Couleur sie auch immer hatten. Und genau hier könnte der Ausgangspunkt für die Ermittlungen gelegen haben. So sieht es zumindest der Sozialdemokrat Jiří Dienstbier, Minister für Menschenrechte und Gleichstellung in der aktuellen Mitte-Links-Koalition.

„Ich denke, dass für die Menschen das Fass bereits voll war angesichts der Ungerechtigkeiten, die sich auf politischer Ebene beziehungsweise an den Berührungspunkten zwischen Wirtschaft und Politik taten. Das hat wohl auch die Ermittlungsbehörden ermutigt. Ob alles wirklich belegbar ist, das werden wir zwar definitiv erst vor Gericht erfahren. Aber die schwindende Toleranz gegenüber den Korruptionsskandalen und weiteren Ungerechtigkeiten hat bewirkt, dass Polizei und Staatsanwaltschaft nicht mehr untätig bleiben wollten und aktiv wurden.“

Foto: Filip Jandourek,  Archiv des Tschechischen Rundfunks
Die Gerichtsprozesse werden nun mit Spannung erwartet. Es geht schließlich darum, ob auch endlich Schuldige für Korruption und Vetternwirtschaft auf Regierungsebene belangt werden können. Bisher wurden immer nur untergeordnete Staatsbedienstete verurteilt. Als erstes soll der Missbrauch des Militärgeheimdienstes durch Jana Nagyová vor Gericht kommen. Die Staatsanwaltschaft hat dazu bereits die Anklageschrift verfasst. Allerdings wird die Öffentlichkeit von dem Verfahren ausgeschlossen sein. Denn schließlich soll dabei auch über Dinge verhandelt werden, die unter Geheimhaltung stehen.