Die Caritas in Tschechien
Frömmigkeit und gelebtes Christentum waren von 1948 bis 1989 im heutigen Tschechien unerwünscht. Das Generalmonopol der kommunistischen Herrschaft beanspruchte auch die soziale Wohlfahrt für sich: Die Bedürfnisse der Kranken, Behinderten, Notleidenden und Alten wurden zentral vom Staat verwaltet; andere Organisationen sollten nicht dazwischen funken. Sie wurden mit Zwang und Sanktionen unterdrückt. Das natürliche Bedürfnis des Menschen, anderen zu helfen, konnte die Säkularisierung jedoch nicht auslöschen. Nach der Wende dauerte es nicht lange, bis sich erste nichtstaatliche Hilfsinitiativen bildeten. Darunter auch die Caritas, die 1990 in gewandelter Form neu gegründet wurde. Die Caritas ist heute nach dem Staat der zweitgrößte Bereitsteller von sozialen und medizinischen Diensten in Tschechien. Maria Hammerich-Maier ist der erstaunlichen Entwicklung der Caritas in den letzten 18 Jahren nachgegangen.
Auch vor 1989 hatte es in der Tschechoslowakei die katholische Caritas gegeben. Aber ihre Handlungsmöglichkeiten waren zur kommunistischen Zeit äußerst gering: Für betagte Ordensschwestern und Priester sorgen und religiöse Kultgegenstände herstellen – viel mehr durfte die Caritas nicht. Nach der Wende erlebte diese Bewegung der christlichen Wohltätigkeit einen Aufschwung, und zwar ausgehend von der Basis.
„Nach 1989 hat sich alles geändert. Auf einmal war hier eine riesige Sehnsucht danach, etwas zu tun, zu helfen. Die Schwächeren unterstützen, dieser Wunsch ist uns eigentlich allen eigen. Aber das ehemalige Regime hat das in den Menschen unterdrückt. Es wollte sich um alles selber kümmern und hat daher die Wohlfahrt verstaatlicht. Also die Menschen, die am Beginn der Caritas standen, hatten den aufrichtigen Wunsch zu helfen. Ein wenig mangelte es ihnen an Erfahrung, aber zum Glück gab es ja Nachbarländer wie Österreich und Deutschland, oder auch weiter entfernte Länder, wo wir hinfahren und uns ansehen konnten, was die Caritas so macht“,
erzählt Jan Oulík von der Presseabteilung. Die Caritas ist in der Trägerschaft der katholischen Bischofskonferenz. In den 18 Jahren, die seit der Gründung vergangen sind, hat die Organisation einige Wandel durchgemacht. Guter Wille und Begeisterung allein reichen heute nicht mehr aus, von den Mitarbeitern wird viel mehr Professionalität verlangt. Die ist vonnöten, denn die Caritas erfüllt eine Reihe von sozialen und medizinischen Aufgaben. Sie ergänzt darin den Staat und erhält dafür öffentliche Gelder. Gabriela Naušová, die Leiterin der Presseabteilung, umreißt die Bandbreite der Caritas-Dienste:
„Die Hauptaufgabe der Caritas Tschechische Republik ist es soziale und medizinische Hilfe zu gewähren. Wir betreuen Menschen, die zu Hause nicht mehr allein zurechtkommen, wir betreiben Altenheime, Hospize, Heime für Mütter mit Kindern und Obdachlosenasyle. Für Eltern mit behinderten Kindern haben wir zahlreiche Beratungsstellen eingerichtet. Es sind Dutzende von Problemfeldern, um die wir uns kümmern. Selbstverständlich bemühen wir uns auch, im Ausland zu helfen.“
Die tschechische Caritas ist zu einem riesigen Unternehmen angewachsen, einem Netzwerk von Dienstleistungsbetrieben, die dezentral, auf der Ebene von Diözesen und Pfarreien organisiert sind. Gabriela Naušová:
„Die Caritas hat jetzt schon wirklich gigantische Ausmaße erreicht. Wir haben rund 5.000 Mitarbeiter und sind damit eigentlich die größte gemeinnützige Organisation in Tschechien und der zweitgrößte Bereitsteller von sozialen und medizinischen Dienstleistungen. Vor uns liegt nur der Staat.“
Ihre Hilfsprojekte finanziert die Caritas aus verschiedenen Einnahmequellen. Neben den Zuschüssen von Ministerien und Geldern der Sozialkassen sind es vor allem Spenden und private Zuwendungen, die ihre Arbeit ermöglichen. Die Spendenfreudigkeit, die die Menschen bei den Sammlungen der Caritas zeigen, weist auf das Vertrauen hin, das die Caritas bei der Bevölkerung genießt. Die größte Spendenaktion ist die Dreikönigssammlung. Sie wird seit zehn Jahren mit Unterstützung der Kirche organisiert und brachte diesen Januar das Rekordergebnis von 64 Millionen Kronen ein, das sind umgerechnet mehr als 2 Millionen Euro.
Die Caritas hilft bei einmaligen Notlagen, sie betreut aber auch Bedürftige über längere Zeitspannen hinweg. Tagtäglich nehmen Tausende ihre Dienste in Anspruch – und wissen manchmal gar nicht, dass der Bereitsteller eine Einrichtung der katholischen Kirche ist.
„Vielen Menschen ist noch nicht so sehr bewusst, dass die Organisation, die ihnen hilft, zur katholischen Kirche gehört. Die Hilfe steht für sie im Vordergrund, erst danach fragen sie, wer diese Hilfe eigentlich bereitstellt.“
Die meisten Tschechen sind Atheisten, das Christentums ist hierzulande – auch aus historischen Gründen - nicht sehr verbreitet. Die meisten Katholiken gibt es im östlichen Landesteil, in Mähren. Dort sind die Einrichtungen der Caritas am dichtesten gesät. In Böhmen leben weit weniger gläubige Katholiken. Die heutige tschechische Caritas unterscheidet sich daher auch im Aufbau von ihren ausländischen Schwesterorganisationen. Jan Oulík:
„Die tschechische Caritas ist anders zusammengesetzt. Sie ist eigentlich zum Teil eine Laienorganisation. Unser Direktor hier in der Prager Zentrale ist ein Familienvater, auch die Leiter in den Diözesen sind Damen und Herren, die meistens verheiratet sind. Jeder Organisationseinheit steht aber ein Präsident vor. Dieser Präsident ist ein Geistlicher, und er hat die seelsorgerische Seite unserer Arbeit über.“
Bei ihrer sozialen und medizinischen Fürsorge setzt die Caritas vor allem auf eine humane Betreuung. Eine anonyme Massenversorgung ist nicht ihr Ziel, sagt Jan Oulík:
„Ein Altenheim sollte ein Zuhause sein. Das heißt, bei uns wohnen dort nur 20 oder 15 Senioren oder noch weniger, und sie haben verschiedene Möglichkeiten. Zum Beispiel haben sie einen kleinen Garten, wo sie Gemüse oder Blumen züchten können. Wir sorgen uns selbstverständlich auch um das seelische Wohl. Wenn die Bewohner es wünschen, können sie sich an einen Geistlichen wenden. Wir zwingen aber den Glauben in den Heimen der Caritas niemandem auf. Aber wenn jemand Interesse an der Seelsorge äußert, dann findet er bei uns einen Ansprechpartner.“
Um gute Projektideen scheint die Caritas nicht verlegen zu sein. Am nördlichen Stadtrand von Prag hat sie zum Beispiel das „Haus Fatima“ für Rollstuhlfahrer geschaffen. Ein leer stehender Pfarrhof wurde zu einem behindertengerechten Wohnheim umgebaut. Seit einem Jahrzehnt finden dort Körperbehinderte vorübergehend Aufnahme – Unfälle oder Krankheiten haben sie an den Rollstuhl gefesselt. Im „Haus Fatima“ lernen sie, mit ihrer Behinderung zurechtzukommen: körperlich, aber auch seelisch. Iveta Zadražilová wohnt schon seit zwei Jahren in einer der Übungswohnungen des „Hauses Fatima“.
„Ich habe hier viel gelernt. Vor allem, mich von einer Stelle zur andern zu bewegen und die Lage zu verändern. Hier in der Übungswohnung konnte ich mich auch daran gwöhnen selbstständig zu sein. Ich genieße es, mit anderen Rollstuhlfahrern zusammensein zu können. Wir können hinausfahren und uns miteinander unterhalten.“
Demnächst kehrt Iveta Zadražilová nach Hause zurück. Das „Haus Fatima“ zu verlassen fällt ihr nicht ganz leicht, wie sie sagt, obwohl sie nun ja für das Leben danach gerüstet sei.