"Dieser Dienst hat unser Leben nachhaltig verändert"

Die deutsch-tschechischen Beziehungen sind - abgesehen von ein paar politisch-historischen Dauerbaustellen - gerade in vielen gesellschaftlichen und ökonomischen Bereichen äußerst harmonisch. Eine wichtige bilaterale Einrichtung, die oft unter der scheinbar alles dominierenden wirtschaftlichen Zusammenarbeit wenig Beachtung findet, feiert in diesen Tagen ein besonderes Jubiläum. Was es damit auf sich hat, verrät Ihnen Sebastian Kraft.

Können Sie sich vorstellen, Ihren Zivildienst oder ein so genanntes FSJ - also ein Freiwilliges Soziales Jahr - im Ausland zu verbringen? Was vor einem Jahrzehnt noch die absolute Ausnahme schien, wird in einem globalisierten Europa immer alltäglicher. Meistens orientieren sich deutsche wie tschechische Abiturienten hierbei gerne Richtung Westen, wenngleich einige deutsche Organisationen - wie von Radio Prag berichtet - derartige Freiwilligendienste für junge Deutsche auch in der Tschechischen Republik anbieten. Ungleich populärer ist es hingegen für tschechische Studenten ein Jahr in Deutschland zu verbringen, sei es während des Studiums oder direkt nach dem Abitur. Derartige Austauschangebote gibt es nicht nur im wirtschaftlichen oder geisteswissenschaftlichen Bereich, sondern seit über einem Jahrzehnt auch für angehende tschechische Sozialpädagogen. Der "Paritätische Wohlfahrtsverband Bayern" bindet in seine Sozialprojekte in Krankenhäuser, Altenheimen und Behinderteneinrichtungen in und um Regensburg seit 1995 tschechische Jahresfreiwillige aktiv ein und darf sich in diesen Tagen über ein besonderes Jubiläum freuen: Mit Monika Radova beendete die Hundertste tschechische Studentin Ihren FSJ-Dienst in Bayern. Beim Rückblick auf die vergangenen zwölf Monate fällt ihr Fazit äußerst positiv aus, wie Sie im Gespräch mit Radio Prag bestätigt:

"Der Anfang ist immer das schwierigste. Ich konnte mir anfangs nicht vorstellen, dass ich hier praktisch ein Jahr leben werde. Ich konnte immer nur im Zeitraum von vierzehn Tagen denken, weil ich in vierzehn Tagen entweder meine Familie oder meinen Freund gesehen habe. Das war für mich wichtig. Anfangs habe ich in der Komastation im Bezirksklinikum Regensburg in der Abteilung Neurologische Rehabilitation gearbeitet. Mit der Sprache war es dort natürlich nicht so schwierig, weil die Patienten normalerweise nicht sprechen. Ich habe nur mit den Angehörigen gesprochen, was hingegen wieder schwer war, weil die vor allem bayerisch gesprochen haben. Aber die Krankenschwestern haben hochdeutsch gesprochen und mir alles auch zwei oder dreimal erklärt."

Foto: Jana Sustova
Aller Anfang ist meistens schwer, doch ist die interkulturelle wie sprachliche Hemmschwelle einmal überwundern, haben die vergangenen hundert Tschechen und Tschechinnen in den bayerischen Pflegediensteinrichtungen durch die Bank nur gute Erfahrungen gemacht, weiß Lisbeth Wagner vom Paritätischen Wohlfahrtsverband in Bayern zu berichten. Sie betreut das Projekt seit 1995 und hat alle tschechischen FSJ-Teilnehmer durch das Programm geführt, das neben den Arbeitsaufenthalten unter der Woche in den verschiedensten Pflegeeinrichtungen auch noch Fortbildungsseminare an einigen Wochenenden umfasst. Zum diesjährigen Jubiläum zieht Lisbeth Wagner eine positive Bilanz, betont aber, dass der Erfolg eines solchen Begegnungsprojektes meistens immer von der Persönlichkeit des Einzelnen abhängt:

"Ich habe ganz unterschiedliche Menschen kennen gelernt, einerseits Jugendliche, die sich anfangs kaum verständigen konnten und nach drei Monaten flüssig gesprochen haben. Andererseits gab es natürlich auch Jugendliche, die nicht einen so großen Sprachzuwachs hatten. Ich denke, dass dies immer auch sehr stark davon abhängt, wie sehr der einzelne sich traut, auf die Menschen zugeht und Gespräch und Kommunikation sucht."

Neben der Motivation, den sozialen Arbeitsbereich in Deutschland kennen zu lernen, ist für viele der Spracherwerb der Hauptgrund, ein FSJ in Deutschland zu absolvieren. So nutzten in den vergangenen elf Jahren auch viele "Fachfremde" die Möglichkeit, um über dieses Austauschprogramm einerseits Deutsch zu lernen, andererseits um ihren Horizont durch soziale Erfahrungen zu erweitern. Der Hundertste Teilnehmer bietet natürlich nun eine ideale Möglichkeit, dies aus statistisch auszudrücken. Dazu noch einmal Projektleiterin Lisbeth Wagner:

Wir kennen uns doch!
"Bei den tschechischen FSJ-Teilnehmern haben etwa sechzig Prozent schon vorher Erfahrungen aus dem sozialen Bereich aufzuweisen, auch in Form von einer Schulung oder einer Ausbildung. Die restlichen vierzig Prozent kamen aus völlig anderen Berufszweigen oder hatten auch gar keinen Beruf im Vorfeld und sind meistens direkt nach dem Abitur zum FSJ gekommen. Meine Erfahrung für die Zeit danach ist, dass ich bei einem überwiegenden Teil der jungen Menschen erlebt habe, dass sie selber formuliert haben, dass dieser Dienst ihr Leben nachhaltig verändert hat und dass sie einen neuen Blickwinkel auf das Leben bekommen haben. Sie haben gemerkt, dass Hilfe und Unterstützung von Menschen für Menschen ein ganz wertvoller und wichtiger Bereich ist. Sehr viele der Absolventen unseres Programms bleiben im sozialen Bereich. Es gibt aber auch junge Menschen die sagen, dass dieses Jahr eine sehr schöne und wichtige Erfahrung für Ihr Leben war, aber sie wollen lieber in einem anderen Berufszweig ihre Ausbildung oder ihr Studium absolvieren."

Den Berufszweig nicht gewechselt hat Regina Ulrichova die über das FSJ-Austauschprogramm in den Jahren 2001 und 2002 in der Rehaklinik Bad Gögging tätig war. Für sie war der Dienst in Deutschland ein Anstoß, der schließlich einen Stein ins Rollen brachte. Heute spricht sie nicht nur perfekt Deutsch, sondern studiert auch seit nunmehr vier Jahren an der Fachhochschule Regensburg Sozialpädagogik. Der erste Schritt, so Regina Ulrichova, sei immer der schwierigste, aber zugleich auch der wichtigste, der einem schließlich ganz ungeahnte Möglichkeiten eröffnen kann.

"Die wichtigste Erfahrung war, dass ich von zu Hause weggegangen bin. Ich hatte vorher auch schon drei Jahre studiert und nicht mehr bei meiner Familie gewohnt, aber trotzdem war der Schritt ins Ausland natürlich noch eine riesengroße Umstellung. Ich bin viel selbstständiger geworden, ich musste mich in einer Fremdsprache verständigen und ich habe gesehen, dass das geht. Bis dahin habe ich immer die Leute bewundert, die ins Ausland gegangen sind. Ich konnte mir das gar nicht vorstellen, aber ich habe gesehen, dass das gar nicht so schwierig ist, man muss einfach nur den Mut finden und es versuchen."

Trotz des auf beiden Seiten gut laufenden Projektes ist auch hier nicht alles Gold, was glänzt. Das liegt aber keinesfalls an den Beteiligten, sondern an den politischen Rahmenbedingungen. Regina Ulrichova und weitere tschechische Sozialpädagogen dürfen trotz eines abgeschlossenen Sozialpädagogikstudiums in Deutschland mit einjähriges FSJ-Praxiserfahrung und voller Integrierung in die deutsche Gesellschaft bekanntlich keinen Job in Deutschland ausüben, da die Bundesregierung den deutschen Arbeitsmarkt auch für Hochschulabsolventen aus den neuen Beitrittsländern bis 2011 geschlossen hält. Zudem muss Projektleiterin Lisbeth Wagner immer wieder den Spagat zwischen Projektdurchführung und Finanzierbarkeit managen, da Einrichtungen aus dem kulturellen und sozialen Bereich von den anhaltenden Sparmaßnahmen in erster Linie betroffen sind. Dies kann sich mittelfristig auch auf das FSJ-Projekt mit Tschechien auswirken, so Wagner. Durch die Verlängerung des deutsch-tschechischen Zukunftsfonds, der 2007 auslief, ist zuminderst ein Teil der Finanzierung vorerst in trockenen Tüchern, mit dem Tandem-Jugendbüro für den deutsch-tschechischen Austausch steht zudem ein wichtiger Akteur in den deutsch-tschechischen Beziehungen dem Projekt Pate. Der Zukunftsfond finanziert zudem die unerlässlichen Deutschkurse für neu beginnende tschechische Freiwillige. Sprache ist die Grundlage einer Integration und warum gerade die zwischenmenschlichen Beziehungen zwischen deutschen und tschechischen Sozialpädagogen im Gegensatz zu manchem interkulturellen Zwist in der ökonomisch-politischen bilateralen Zusammenarbeit so vorbildlich klappen, dafür hat Monika Radova eine passende Erklärung:

"Wir haben auch schon mit deutschen und tschechischen Freunden darüber nachgedacht, wie es möglich ist, dass es für uns so einfach war, hier Fuß zu fassen und Freunde zu finden. Wir sind dann zu dem Ergebnis gekommen, dass es wohl deswegen möglich war, weil wir alle aus dem sozialen Bereich sind. Ich hatte keine Probleme mit deutschen Leuten, alles hat geklappt."