„Die EU ist kein Schokoriegel“: Tschechien bereitet Öffentlichkeitsarbeit für Ratspräsidentschaft vor
Es steht weiter ziemlich schlecht um das Image der EU in Tschechien. Mehr als 17 Jahre ist das Land Mitglied in der Staatengemeinschaft, aber die hiesige Bevölkerung fühlt sich eher bevormundet als integriert. Die EU-Ratspräsidentschaft Tschechiens in der zweiten Jahreshälfte 2022 soll unter anderem dazu genutzt werden, diese Wahrnehmung zu ändern. Mit diesem Ziel wird im Regierungsamt die Kommunikationskampagne vorbereitet. Eine wichtige Rolle zur Erreichung einer jüngeren Zielgruppe könnten etwa Youtuber und Influencer übernehmen.
„Allgemein gilt: Was man nicht kennt, davor scheut man sich – im günstigeren Fall. Im ungünstigeren Fall fürchtet man sich sogar davor. Auf jeden Fall mag man es aber nicht. Die Europäische Union wird in Tschechien als etwas Kompliziertes wahrgenommen, als etwas Entferntes und Abstraktes. Und hiesige Meinungsmacher verstärken mit ihren Medienauftritten oft noch die Vorstellung von der EU als einer Übermacht, die unserem Land etwas vorschreibt und ständig wilde Ideen hat.“
So wird die Stimmung in Tschechien erklärt von jemandem, der es wissen muss: Martin Buchtík ist Chef des Meinungsforschungsinstituts Stem und befasst sich in Umfragen regelmäßig mit der Haltung der hiesigen Bevölkerung zur EU. Seine Ausführungen machte Buchtík Anfang Dezember in einer Online-Debatte im Rahmen der „Konferenz zur Zukunft Europas“. Diese Langzeitinitiative der drei obersten EU-Institutionen – also des Parlaments, des Rates sowie der Kommission – sammelt in allen Mitgliedsstaaten Anregungen und Ideen, an denen ab 2022 die Leitlinien für die gemeinsame Politik ausgerichtet werden sollen.
Ein Diskussionspanel beschäftigte sich am 6. Dezember mit der anstehenden EU-Ratspräsidentschaft Tschechiens – und mit der Frage, wie der Vorsitz zur Aufbesserung des Images der EU hierzulande genutzt werden kann. Buchtík legt große Hoffnung in die Erwartung, dass während dieser sechs Monate in den hiesigen Medien viel mehr als gewöhnlich über die EU berichtet werden dürfte. Trotzdem stehe man vor einer großen Aufgabe, sagt Alice Krutilová. Sie leitet die Abteilung zur Vorbereitung der EU-Ratspräsidentschaft beim Regierungsamt:
„Die Herausforderung für die Kommunikation besteht darin, dass ein sehr breites Spektrum an Menschen informiert werden soll. Das Thema ist schwierig, und die Leute meinen, es nicht besonders gut zu verstehen. Im Kontakt mit verschiedenen Akteuren stößt unser Kollegenteam oft darauf, dass auch Menschen mit Hochschulbildung und einem guten Überblick über das aktuelle Geschehen ganz einfach den Europäischen Rat mit dem Europarat verwechseln. Oft wird da kein Unterschied gemacht. Dies erschwert die Kommunikation. Denn zwei solch wichtige internationale Einrichtungen zu verwechseln, ist ganz schön gewagt.“
Jüngere Tschechen sind eher proeuropäisch
Das Unverständnis für die EU ziehe sich durch alle Altersgruppen der tschechischen Bevölkerung, fügte Meinungsforscher Buchtík an. Den Erhebungen zufolge haben jüngere Menschen aber eher eine proeuropäische Haltung als ältere.
Dies ist der Ausgangspunkt für die Arbeit von Jana Soukupová. Sie hat die Initiative „Youth, Speak Up“ gegründet, mit der Jugendliche und junge Erwachsene ihre Interessen in die öffentliche Diskussion einbringen. Auch die Studien ihrer Initiative hätten gezeigt, dass das Thema Europa bei jungen Menschen in Tschechien kaum Anklang finde, sagt Soukupová:
„Als ich daraufhin in meinem eigenen Umfeld nach europäischen Themen gefragt habe, konnte mir auch nicht jeder antworten. Viele sagten, keine konkrete Meinung dazu zu haben, weil sie zu wenig informiert seien. Ich sehe also einen riesigen Spielraum, wie junge Leute in diese Debatte eingebunden werden können. Die EU bemüht sich zwar sehr, mit ihnen zu kommunizieren. Die Politik sollte es aber jungen Menschen überlassen, mit ihren Altersgenossen zu reden. Der Kommunikationsstil der EU-Institutionen kommt bei der Jugend einfach nicht gut an.“
Soukupová macht auch gleich einen konkreten Vorschlag und bezieht sich auf ein Beispiel bei der tschechischen Abgeordnetenhauswahl im Oktober 2021:
„Während der letzten Parlamentswahlen kam bei jungen Leuten gut an, dass eine ganze Reihe an Influencern – und nicht nur die aus dem Mainstream, sondern auch solche, die nur eine regionale Reichweite haben – das Thema auf ihre Art aufgearbeitet und ihrem Publikum präsentiert haben. Ihr Aufruf, wählen zu gehen, hatte wirklich einen Effekt, und die Jungwähler haben den Wandel herbeigeführt. Dies kann sich durchaus wiederholen. Man muss es nur richtig anpacken und die Leute, die in den sozialen Netzwerken Einfluss haben, gut aufklären, ihnen Daten zur Verfügung stellen und sie überzeugen, dass sie das Thema an ihre Zielgruppe herantragen.“
Laut Krutilová ist man sich in der Europäischen Kommission bewusst, dass Defizite im Austausch mit Jugendlichen bestehen. Dies solle unter anderem die laufende „Konferenz zur Zukunft Europas“ beheben, und parallel dazu wurde 2022 zum Jahr der Jugend ausgerufen.
„Das Bildungssystem in Tschechien ist leider nicht robust genug, um die Schüler zu guten EU-Bürgern zu erziehen. Darum war es eine hervorragende Initiative des Youtubers Kovy, der 2017 ein Interview mit Jean-Claude Juncker führte. Dadurch hat das Thema seinen Weg in diese Blase gefunden.“
Die Bedeutung von Influencern habe man mittlerweile auch in Brüssel erkannt, so die Vertreterin des Regierungsamtes weiter:
„Das Generalsekretariat des EU-Rates etwa hat ein neues Konzept, nach dem eine Konferenz organisiert wird, an der Influencer aus mehreren Mitgliedsländern teilnehmen. Diese unterhalten sich mit Politikern über verschiedene aktuelle Themen, wie Digitalisierung oder Energiewandel. Dadurch soll ein grenzübergreifender Aspekt einbezogen werden, damit diese Diskussionen in einem Land nicht immer nur von den gleichen Leuten geführt werden, die sich sowieso mit EU-Angelegenheiten befassen.“
Jana Soukupová räumte zum Thema ein, dass Influencer und Youtuber meist von niemandem dafür bezahlt werden, wenn sie sich für Europa stark machten. Dies griff Martin Buchtík auf, um wiederum vor zu großen Erwartungen an die Kommunikationskampagne im Rahmen der EU-Ratspräsidentschaft zu warnen. Angesichts eines Gesamtbudgets von 1,5 Milliarden Kronen (59 Millionen Euro) ließen sich die Gelder für die öffentliche Informationsarbeit etwa mit den Werbeausgaben einer größeren Handelskette vergleichen, so der Soziologe. Nicht wirklich zufrieden mit der finanziellen Ausstattung zeigt sich auch Tschechiens neuer Minister für EU-Angelegenheiten, Mikuláš Bek. Noch vor seinem Amtseintritt äußerte er bei einem Interview im öffentlich-rechtlichen Tschechischen Fernsehen:
„Die alte Regierung hat das Budget sehr tief angesetzt, verglichen mit anderen Ländern, die die Ratspräsidentschaft ausüben. Im September wurde es aber um 200 Millionen Kronen leicht erhöht. Ich glaube nicht, dass es in der kurzen Zeit nun noch viel Spielraum gibt für die Anstellung weiterer Mitarbeiter. Vielleicht können jene Mittel noch etwas aufgestockt werden, die der Kommunikation dienen – zum einen mit den EU-Institutionen und zum anderen mit der breiten Öffentlichkeit. Diese Erhöhung ist aber schon nicht mehr ausschlaggebend. Alles in allem werden wir nach den vorgeschriebenen Noten spielen müssen und dieser Rolle so gut wie möglich entsprechen.“
Politiker sollten proeuropäisch auftreten
Gerade auf Seiten der jetzigen Regierung sowie des neu eingerichteten Ministeriums sieht Alice Krutilová noch einiges an ungenutztem Potential für die Öffentlichkeitsarbeit, wie sie in der Online-Debatte ausführte:
„Im Hinblick auf eine Imageverbesserung der EU kostet es nichts, wenn das Thema aufgenommen wird von Politikern, die an den Mehrwert der EU glauben. Der neue Premier Fiala etwa hat ein viel genutztes, 1000-seitiges Lehrbuch über europäische Integration und europäisches Recht geschrieben. Ich wäre sehr froh, wenn er seine umfassenden akademischen Kenntnisse nutzt für die öffentliche Kommunikation, die ihm offensichtlich liegt. Wenn also die nun angetretenen Politiker sich der Größe und Bedeutung dieser Aufgabe bewusst werden und sich ihr mit der nötigen Zeit widmen, dann kann sich dies auf die öffentliche Wahrnehmung auswirken.“
Die hiesigen Politiker sollten zudem die richtige Sprache für die Menschen in Tschechien finden, warf Martin Buchtík ein:
„Anstatt eine wie so häufig breitangelegte Flyer-Kampagne zu führen, wäre es wichtig anzuerkennen, dass das Publikum verschiedenartig ist. Dabei geht es nicht nur um Altersgruppen, sondern auch um die jeweilige soziale und ökonomische Lage. Je nach den Lebensbedingungen interessieren die Menschen andere Probleme. Und sie benutzen für deren Beschreibung ein anderes Vokabular. Dies wird die schwerste Aufgabe für die Kommunikation, die notwendigerweise aufgesplittert sein muss. Unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen müssen in ihrer jeweiligen Sprache verschiedene Informationen zukommen. Das ist schwierig. Werbung für einen Schokoriegel zu machen, der immer gleich schmeckt, ist viel einfacher als für etwas so Komplexes wie die Europäische Union.“
Dass diese Aufgabe weit über das halbe Jahr der EU-Ratspräsidentschaft hinausreicht, ist auch dem neuen Minister Bek bewusst. Bei seinem Interview im Tschechischen Fernsehen sagte er dazu:
„Dieser Ministerposten hat auch eine längerfristige Aufgabe, und dies ist die Koordinierung der Europapolitik. Dabei gibt es viel Arbeit, und sie beginnt bei der besseren argumentativen Schulung der tschechischen Regierung für die zentralen Verhandlungen. In nächster Zeit erwarten uns nicht nur Debatten zur Migrationspolitik, sondern auch zu Fragen der Klimapolitik. Dabei steht ein umfangreiches Gesetzespaket an, ausgehend vom Green Deal und der Strategie ‚Fit for 55‘. Dies betrifft ebenso Themen der Digitalisierung.“
Zu einem modernen Europa gehöre letztlich auch eine moderne Haltung, meint Alice Krutilová. Dies sei ein weiteres Anliegen der Öffentlichkeitsarbeit in diesem Jahr:
„Mit der Kampagne wollen wir auch betonen, dass Tschechien nun schon seit 18 Jahren zur EU gehört. Dies sollten wir endlich anerkennen und uns entsprechend verhalten – und zwar nicht nur gegenüber der tschechischen Öffentlichkeit, sondern auch gegenüber den Partnerländern. Wir sollten Verantwortung zeigen und deutlich machen, dass die Mitgliedschaft in diesem Club toll ist, vor allem in der Position eines langjährigen Netto-Empfängers von Finanzmitteln. Wir wollen in den einzelnen Verhandlungen konstruktiv auftreten und beweisen, dass wir die Probleme und Befürchtungen der anderen Länder verstehen. Das heißt, wir sollten nicht immer nur im eigenen Saft schmoren, sondern den europäischen Mehrwert erkennen und einen Konsens suchen.“
Es komme also darauf an, die vielen kleinen Errungenschaften sichtbar zu machen, mit der die EU-Mitgliedschaft das alltägliche Leben der Menschen in Tschechien positiv verändere, so die Regierungsbeamtin weiter. Abgeschaffte Roamingkosten oder umfassende Erasmusprogramme seien dabei das eine, wirtschaftliche Stabilität und eine politische Stimme, die gehört werde, das andere. Denn schließlich würden es auch die Tschechen mögen, positiv Einfluss zu nehmen und in der Welt etwas erreichen zu können, bemerkt Krutilová mit einem Lächeln.
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Tschechische EU-Ratspräsidentschaft
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