Die Geschichte der Prager jüdischen Gemeinde

Der jüdische Friedhof in Prag
0:00
/
0:00

In den letzten Monaten sorgte die Prager jüdische Gemeinde immer wieder für Schlagzeilen, weil sich zwei Fraktionen über ihre Führung stritten. Diese Streitigkeiten sollen Anfang April bei neuen Gemeindevorstandswahlen beigelegt werden. Über die aktuellen Probleme der Prager jüdischen Gemeinde will sich zur Zeit niemand so recht äußern und so wirft Katrin Bock im nun folgenden Kapitel aus der tschechischen Geschichte wenigstens einen Blick auf die Geschichte der jüdischen Gemeinde in Prag.

Der jüdische Friedhof in Prag
Das jüdische Viertel in Prag gehört zu den meist besuchten Orten der tschechischen Hauptstadt. Täglich drängeln sich hier tausende von Touristen vor dem alten jüdischen Friedhof und den Synagogen, um einen Blick auf vergangene Zeiten zu werfen. Dr. Blanka Soukupova von der Prager Karls-Universität beschäftigt sich schon seit langen mit der jüdischen Geschichte des Landes und erzählt im Folgenden einiges über die Vergangenheit der jüdischen Gemeinde in Prag.

Das Verhältnis zwischen der jüdischen Minderheit und der christlichen Mehrheit in Prag und in den Böhmischen Ländern allgemein war nicht immer rosig. Zeiten der gegenseitigen Achtung wechselten sich mit denen der Verfolgung und des Ignorierens ab, wie Dr. Blanka Soukupova erläutert:

"Das Zusammenleben zwischen Christen und Juden war immer von Pogromen überschattet. Das größte war Ende des 15. Jahrhunderts nach den Hussitenkriegen, als den Juden vorgeworfen wurde, sie hätten mit den aufständischen Hussiten zusammengearbeitet. Aber im Grunde genommen spielten die Pogrome keine so große Rolle beim Zusammenleben mit der Mehrheit der Bevölkerung. Man kann sagen, dass ein friedliches Zusammenleben dominierte."

1389 kam es zum ersten großen Pogrom gegen die Prager Juden. Damals wurde ihnen die Schuld an der Pest gegeben - über 3.000 Juden sollen Opfer des Pogroms gewesen sein. Nach dem Pogrom Ende des 15. Jahrhunderts, kam es zu einem weiteren Mitte des 17. Jahrhunderts. Mitte des 18. Jahrhunderts wiederum wollte Kaiserin Maria Theresia die Juden aus den Böhmischen Ländern vertreiben, da sie ihnen die Schuld an ihrer Niederlage gegen Preußen gab. Überhaupt war das Verhältnis der böhmischen Herrscher zu ihren jüdischen Untertanen sehr wechselhaft. Dazu noch einmal Dr. Blanka Soukupova:

"Man kann sagen, dass die Beziehung der Herrscher zur jüdischen Gemeinde immer ambivalent war. Einerseits, wenn ich es einmal einfach sagen soll, stellten die Juden eine Art Bank dar, die für den jeweiligen Herrscher natürlich sehr von Vorteil war. Andererseits gab es von Anfang an einen Antijudaismus, der zum großen Teil von der katholischen Kirche getragen wurde."

"Die Juden sind ungefähr im 10. Jahrhundert in die Böhmischen Länder gekommen, man kann sagen, dass die Gemeinde in Prag damals zahlenmäßig genauso groß war wie nach 1989 nämlich rund 1.000 Menschen. Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts lebte die jüdische Gemeinde zum Teil recht isoliert."

Der spanische Händler Ibrahim Ibn Jakub erwähnte als erster in einem Reisebericht aus dem 10. Jahrhundert die jüdische Gemeinde in Prag. Damals lebten die meisten Juden allerdings noch auf der Prager Kleinseite zu Füssen der Burg. Im 12. Jahrhundert ordnete die Kirche eine räumliche Trennung von Christen und Juden an und so entstand das heutige jüdische Viertel. 1268 gewährte König Premysl Otakar II. den Juden weitgehende Sonderrechte auf religiösem Gebiet und bei der Selbstverwaltung. Die jüdischen Gemeinden hatten im Mittelalter eine autonome Stellung und bildeten in den Städten eine Gesellschaft für sich. Die Prager Judenstadt war bis zum 17. Jahrhundert von besonderer Bedeutung. Sie vertrat beim böhmischen Herrscher die Interessen aller jüdischen Gemeinden im Königreich - von ihrem Schicksal hing also auch das der anderen Juden in den Böhmischen Ländern ab.

"So ein goldenes Zeitalter der jüdischen Gemeinde in Prag kam unter den Habsburgern vor allem unter Rudolf II. und auch unter Mathias, als die Juden geachtet und geschätzt wurden. Das war die Zeit, als hier in Prag Rabbi Löw lebte."

Unter dem Habsburger Kaiser Maximilian, der von 1564 bis 1576 herrschte, begann sich die Situation der Juden in den Böhmischen Ländern zu verbessern. Als Zeichen seiner Anerkennung besuchte er sogar mit seinem gesamten Hof die Prager Judenstadt. Sein Nachfolger Rudolf II. gewährte in einer Urkunde von 1577 den Juden das Recht, auf ewige Zeiten in Prag zu siedeln. Die Prager Judenstadt wuchs während seiner Regierungszeit auf 7.000 Bewohner an. Kultur, Wissenschaft und Wirtschaft blühten. Zudem erhielten die Juden das Recht, Handwerke auszuüben. Zu Zeit Rudolfs II. lebte in Prag nicht nur der bekannte böhmische Rabbi Löw, der den Golem aus Ton erschaffen haben soll, sondern auch einer der damals reichsten Männer Europas, Mordechaj Maisl, der Finanzier Rudolf II. Während des 30jährigen Kriegs im 17. Jahrhundert sicherten die Habsburger Herrscher den Juden weitere Privilegien und Rechte zu, denn von ihnen trieben sie das nötige Geld für ihre Kriegszüge ein.

Die Einstellung der Habsburger Herrscher zu ihren jüdischen Untertanen war wechselhaft. Verlockend waren stets die Steuerzahlungen, andererseits wollte man die Zahl der Juden einschränken. So erließ Kaiser Karl IV. 1729 die so genannten Familiantengesetze, in der die Zahl der jüdischen Familien festgelegt wurde, die in den Böhmischen Ländern siedeln durften. Ernsthaft bedroht war die Stellung der böhmischen Juden von Maria Theresia, die nach ihrer Niederlage gegen Preußen die Juden der Spionage verdächtigte und 1744 deren Vertreibung aus Prag und anderen Städten verfügte. Gegen die Anweisung protestierten Bürger und Städte - nicht unbedingt aus menschenfreundlichen Gründen, sondern eher, weil sie fürchteten, selber mehr Steuern zahlen zu müssen. Maria Theresia nahm die umstrittene Anweisung zurück.

Unter ihrem Sohn Josef II. begann der Emanzipationsprozess der Juden in den böhmischen Ländern, wie Dr. Blanka Soukupova erläutert:

"Nach der Herausgabe der jüdischen Patente der so genannten Josephinischen Reform, kam es zu einer Lockerung des jüdischen Lebens. Die Ghettos wurden aufgelöst. Juden konnten nun an die Universität, sie gingen zur Armee, wenn auch mit Problemen, und schließlich konnten sie auch in die Kneipen gehen, die damals die Funktion von Versammlungsorten hatten. Das heißt also, dass seit den 90er Jahren des 18. Jahrhunderts das Ghetto zu zerbröckeln begann und die Stellung der Gemeinde langsam an Bedeutung verlor."

Josef II. hob die meisten der Gesetze auf, die die Rechte der Juden beschränkten. Ziel seiner Reform war es, aus den Juden nützliche Elemente für den Staat zu machen - sie sollten sich, kurz gesagt, der Mehrheit anpassen, also assimilieren. 1848 wurden die Mauern des Prager Ghettos abgerissen, das zu Ehren des Kaisers Josephstadt - tschechisch Josefov - hieß. Rund 12.000 Menschen lebten im 18. Jahrhundert hinter den Ghettomauern

"Im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts tauchten Strömungen auf, die gegen die Orthodoxie waren. 1850/51 erfolgte der letzte große Schlag gegen die jüdische Gemeinde, als Josefov zu Prag eingemeindet wurde. Das bedeutete, dass die jüdische Gemeinde viele ihrer Befugnisse und Funktionen verlor. Die Verfassung von 1867 brachte den Juden in Österreich-Ungarn die völlige Gleichberechtigung. Das bedeutete, dass sie sich in die Mehrheitsgesellschaft eingliederten. Die Orthodoxie wurde zu einer kleineren Strömung."

Besser gestellte Juden zogen aus dem Prager Ghetto in bessere Wohnviertel um, wo nun auch Synagogen errichtet wurden. Das Ghetto selbst wurde Ende des 19. Jahrhunderts abgerissen. Lediglich die Synagogen, das Rathaus und der Friedhof blieben erhalten.

Denkt man an die Prager jüdische Gemeinde, so denkt man auch an die Prager deutsch-jüdische Literatur von Franz Kafka, Franz Werfel und Max Brod. Wie war es denn nun mit dem Gebrauch der Sprache, fragte ich Dr. Blanka Soukupova von der Prager Karlsunversität:

"Man muss sagen, dass schon vor dem Jahr 1848 die Mehrheit der Juden in den böhmischen Ländern bilingual war. Auch wenn bis zur ersten Republik 1918 die meisten jüdischen Familien deutsche Schulen und eine deutsche Ausbildung bevorzugten, bekannte sich die Mehrheit der Juden zur tschechischen Nationalität. In den meisten jüdischen Familien sprach man im 19. Jahrhundert deutsch, doch die Jüdischen Familien waren die ersten, die Interesse hatten, auch Tschechisch zu lernen. Seit 1890 wurden deutsch sprechende jüdische Kinder auf den so genannten Handel zu tschechischen Familien geschickt, um die Sprache zu lernen. Man löste dieses Problem der Zweisprachigkeit auch dadurch, dass tschechische Dienstmädchen eingestellt wurden, die den Kindern Tschechisch beibrachten."

Nach 1933 sprachen die meisten jüdischen Familien Tschechisch, und auch in den rein deutschen Sprachgebieten lernten immer mehr Juden Tschechisch. Doch über diese Zeit erfahren Sie mehr im nächsten Kapitel aus der tschechischen Geschichte in zwei Wochen.