Zehn-Sterne-Projekt: Jüdische Synagogen und Friedhöfe saniert

Synagoge in Krnov (Foto: Jana Šustová, Archiv des Tschechischen Rundfunks)

Rund 400 Synagogen gab es vor dem Zweiten Weltkrieg auf tschechischem Boden. Heute ist nur noch etwa die Hälfte erhalten. In den Sudetengebieten wurden sie meist während der Novemberpogrome 1938 oder während des Kriegs zerstört. Doch auch nach 1945 verschwanden viele jüdische Bet- und Gedenkstätten. Von jenen, die weiter stehen, dienen aber nur die wenigsten noch ihrem ursprünglichen Zweck. Und für die rund 370 jüdischen Friedhöfe gilt das ausnahmslos. Im Folgenden mehr zur Pflege jüdischer Baudenkmäler im Tschechien.

Jüdische Bevölkerung Mährens  (14. Jahrhundert)
Die ältesten Belege einer jüdischen Besiedlung in den böhmischen Ländern stammen aus dem 9. Jahrhundert. Die Zahl der Juden war aber sehr gering. Erst ab dem 12. Jahrhundert kam es zu einem Wachstum. In der Folge erlebte die jüdische Bevölkerung Böhmens, Mährens und Schlesiens lange Zeiten von Verfolgung, Isolation und Diskriminierung, aber auch Phasen der Blüte. Die Synagogen waren anfangs aus Holz gebaut, ab dem Mittelalter aber auch schon aus Stein und Ziegeln. Sie entstanden in allen Baustilen, von der Gotik bis in den Jugendstil, und waren Zentren von Spiritualität und Bildung. Aber die Synagogen halfen den jüdischen Gemeinden ebenso zu überleben.

Ehemaliger Judenfriedhof in Čížkovice  (Foto: Archiv des Tschechischen Rundfunks - Radio Prag)
Alles änderte sich durch den Holocaust. Gut 80.000 Juden aus Böhmen und Mähren wurden von den Nationalsozialisten deportiert worden, es überlebten nur etwa 11.000. Das bedeutete, dass nach dem Krieg nur die wenigsten jüdischen Gemeinden erneuert werden konnten. Rund 300 Synagogen standen verlassen da. Ebenso die Friedhöfe, um die sich niemand kümmerte. Viele Juden, die nach 1945 in ihre Heimatorte zurückkehrten, empfanden dies wie die Ankunft in einem fremden Land. Da war zum einen der traumatische Verlust vieler oder aller Familienangehörigen. Und dazu kam noch das Verschwinden der jüdischen Kultur als solche. Blanka Soukupová, Historikerin an der Prager Karlsuniversität:

Judenfriedhof in Zlonice | Foto:  Martina Schneibergová,  Radio Prague International
„Die jüdischen Friedhöfe verwüsteten zusehends, das wurde von vielen als Zerstörung des jüdischen Gedächtnisses in den Böhmischen Ländern empfunden. Als hätte man die Gemeinschaft mitsamt ihrer Wurzeln herausgerissen.“

Auch deswegen gingen viele Juden dann vor allem nach Israel oder in die USA. Die Synagogen hierzulande wurden also meist nicht mehr genutzt, ihre Zahl schrumpfte im Laufe der Zeit beträchtlich. Wenn die Statik der Gebäude angegriffen war, dann wurden sie häufig ganz abgerissen. Einige wurden aber auch renoviert und dann oft in regionale jüdische oder städtische Museen umgewandelt. Aber aus ihnen wurden zum Beispiel auch Bibliotheken, Feuerwehrhäuser, Archive, Geschäfte, Wohnhäuser oder Werkstätten beziehungsweise Lagerstätten. Die Palette an Nutzungsmöglichkeiten war breit.

Plattenbauten statt jüdischen Gräbern

„Die Juden in den Böhmischen Ländern nach der Shoa – die Identität des verletzten Gedächtnisses“  (Foto: Verlag Marenčin PT)
Blanka Soukupová ist auch Autorin eines Buches mit dem Titel „Die Juden in den Böhmischen Ländern nach der Shoa – die Identität des verletzten Gedächtnisses“. Auf über 580 Seiten befasst sie sich mit der jüdischen Minderheit hierzulande in vier Abschnitten des 20. Jahrhunderts. Besondere Aufmerksamkeit widmet die Autorin dabei den jüdischen Denkmälern hierzulande. Die Erkenntnis ist: Die meisten jüdischen Baudenkmäler wurden während der sogenannten „Normalisierung“ zwischen 1969 und 1989 zerstört. Im Lauf von zwei Jahrzehnte wurden 105 Synagogen abgerissen. Aber auch jüdische Friedhöfe verschwanden.

„Es war eine Zeit, in der mancher Friedhof neuen Häusern beziehungsweise Plattenbausiedlungen oder Straßen weichen musste. Nicht selten mussten sie nur deswegen verschwinden, weil sie, wie es hieß, das Stadtbild störten. In den zwei Jahrzehnten der ‚Normalisierung‘ sank die Zahl jüdischer Friedhöfe in Tschechien ungefähr auf die Hälfte. Sie hatten die Zeit des ‚Protektorats Böhmen und Mähren‘ überstanden sowie die 1950er und 1960er Jahre, doch die ‚Normalisierung‘ nicht mehr“, so Soukupová.

Judenfriedhof in Strážnice  (Foto: Jitka Mládková)
Es gibt aber auch Ausnahmen. Zum Beispiel die Synagoge und der Friedhof im südmährischen Strážnice / Straßnitz. Jiří Pajer ist Historiker und Ethnologe:

„Unter dem kommunistischen Regime wollte man das gesamte jüdische Viertel in Strážnice abreißen, um Platz zu schaffen für den Wohnungsbau. Dasselbe war zuvor zum Beispiel im nahen Hodonín geschehen. Wegen Geldmangels musste man in Strážnice zum Glück aber auf das Projekt verzichten. Der jüdische Friedhof wurde seinem Schicksal überlassen. Trotzdem hat er bis heute im Grunde seine ursprüngliche Gestalt bewahrt. Die Synagoge wurde bis Anfang der 1990er Jahre als Lagerstätte genutzt. Vor ungefähr 15 Jahren wurde mit der Renovierung begonnen. Heute ist sie ein bedeutendes Baudenkmal, das von Besuchern aus der ganzen Welt besucht wird.“

Besucher aus der ganzen Welt

Zehn-Sterne-Projekt
Nach der politischen Wende von 1989 begann man hierzulande mit der, wie es in der Fachsprache heißt, „Revitalisierung jüdischer Denkmäler“. Besondere Erfolge brachte ein Projekt, das 2014 vollendet wurde. Es ermöglichte eine kostspielige Renovierung beziehungsweise Rekonstruktion von 15 bedeutenden jüdischen Baudenkmälern. In Anlehnung an ihre Standorte in zehn Städten Böhmens, Mährens und Schlesiens erhielt das Projekt den Titel „Zehn Sterne“. Die Kosten lagen bei 280 Millionen Kronen, umgerechnet über eine Million Euro. 85 Prozent kamen vom Europäischen Fonds für regionale Entwicklung und 15 Prozent vom tschechischen Staat. Jiří Daníček von der Föderation der jüdischen Gemeinden in Tschechien:

Jiří Daníček  (Foto: Archiv des Tschechischen Rundfunks - Radio Prag)
„Diese Objekte wurden sorgfältig ausgewählt nach festgelegten Kriterien wie geschichtlicher, künstlerischer oder sonstiger kultureller Bedeutung sowie der Sanierungsbedürftigkeit. Ohne zu übertreiben, befinden sie sich jetzt dank dem Projekt in einem exzellenten Zustand. Und dies nicht nur aus baulicher Sicht. Dasselbe gilt auch für die Innenräume, die restauriert wurden und das ursprüngliche beziehungsweise renovierte Mobiliar zurückerhielten. Einige der Synagogen beherbergen auch ständige Ausstellungen.“

Die Dauerausstellungen haben regionalbezogene Themen:

Synagoge in Krnov  (Foto: Jana Šustová,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)
„Im nordböhmischen Jablonec nad Nisou (Gablonz an der Neiße, Anm. d. Red.) werden zum Beispiel tschechisch- und deutschsprachige jüdische Schriftsteller vorgestellt. In Krnov (Jägerndorf, Anm. d. Red.) sind es jüdische Industrielle und Forscher, die einen Beitrag zur technischen und wissenschaftlichen Entwicklung leisteten. Das Ensemble von 15 renovierten Baudenkmälern spiegelt verschiedene Arten des Zusammenlebens von Juden und christlicher Bevölkerung, und das war keineswegs problemlos. Es dürfen aber nicht nur die negativen Aspekte gesehen werden. Die neu eröffneten Dauerausstellungen zeugen davon, dass man sich auch gegenseitig beeinflusst hat. Und dass es längere Zeitspannen gab, in denen die Juden akzeptiert wurden von der örtlichen Bevölkerung.“

Synagoge in Mikulov  (Foto: Jana Šustová,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)
Die Arbeit an der oft stark beschädigten Architektur war jedoch nicht leicht. Dreieinhalb Jahre lang tüftelten die Restauratoren zum Beispiel an der Synagoge in Mikulov / Nikolsburg. Die dortige jüdische Gemeinde hatte jahrhundertelang eine herausragende Stellung als geistliches Zentrum des Judentums in Mähren gehabt. Um die Mitte des 16. Jahrhunderts soll dort auch Rabbi Löw tätig gewesen sein, bevor er nach Prag ging. Bekannt wurde er als Schöpfer des legendären Golems. Jan Soukup ist Architekt. Sein Atelier hat sich am „Zehn-Sterne-Projekt“ beteililgt:

„Meiner Meinung nach ist diese Synagoge die schönste von allen. Und zwar besonders wegen ihrer ungewöhnlichen Komposition mit vier roten Marmorsäulen in der Mitte des Zentralraums, der von vier Kuppeln überwölbt ist. Hierzulande ist sie die einzige Synagoge des sogenannten ‚polnischen‘ oder ‚östlichen‘ Typs. Ihr Architekturkonzept wurde aus Südostpolen nach Mähren gebracht.“

Rote Marmorsäulen und vier Kuppeln

Synagoge in Mikulov  (Foto: Joadl,  CC BY-SA 3.0)
Nach dem Zweiten Weltkrieg rottete das Gebäude lange Zeit dahin, weil es als Lagerraum für Gemüse diente. Dann begann der Umbau in einen Konzertsaal, der sich bis in die 1980er Jahre hinzog. Allerdings nahm man keinerlei Rücksicht auf den „Genius Loci“, also den Geist des Ortes. So wurde unter anderem auch der sogenannte Winterbetsaal abgerissen. Und alle religiösen Elemente wurden beseitigt, darunter die Bima, von der aus die Tora während des Gottesdienstes verlesen wird. Außerdem übertünchte man alle hebräischen Inschriften in den Kuppeln. Die heutigen Restauratoren mussten praktisch Detektivarbeit leisten, um der Synagoge in Mikulov wieder ihre historisch getreue Gestalt zurückzugeben. Die Restauratorin Jana Weisserová:

Synagoge in Mikulov  (Foto: Jana Šustová,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)
„Wir wussten, dass sich Inschriften im Innenraum befunden hatten. Welche und wie sie ausgesehen hatten, das war uns aber nicht bekannt. Letztlich fanden wir im Brünner Regionalmuseum eine Abbildung aus dem 19. Jahrhundert, die als Kopie auf Plastikfolien archiviert ist. Und als wir uns dann ans Werk gemacht haben, tauchten unter einigen Schichten noch ältere Inschriften auf, die aus der Barockzeit stammen. Diese alte Schrift war jedoch anders als die der heutigen hebräischen Sprache. Um sie erneuern zu können, mussten wir eine Expertin für Judaistik konsultieren. Sie hat dann selbst die Schrift direkt vor Ort auf dem Gerüst unter dem Gewölbe inspiziert.“

Synagoge in Nová Cerekev  (Foto: Jana Šustová,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)
Aber noch viele weitere jüdische Denkmäler in Tschechien warten auf ihre Restaurierung. Davon, dass die jüngste Revitalisierung eines kleinen Teils von ihnen tatsächlich erfolgreich war, kann man sich nicht zuletzt auch auf der Webseite des Projekts www.10hvezd.cz/en überzeugen. Dort sind Fotos und Videos aus Boskovice / Boskowitz, Brandýs nad Labem / Brandeis an der Elbe, Březnice / Bresnitz, Jičín / Jitschin, Krnov, Mikulov, Nová Cerekev / Neu Zerekwe, Plzeň / Pilsen, Polná / Polna und Uštěk / Auscha. Sie zeigen die 15 Architekturobjekte vor, während und nach der Schönheitskur.