Zehn-Sterne-Projekt: Jüdische Synagogen und Friedhöfe saniert
Rund 400 Synagogen gab es vor dem Zweiten Weltkrieg auf tschechischem Boden. Heute ist nur noch etwa die Hälfte erhalten. In den Sudetengebieten wurden sie meist während der Novemberpogrome 1938 oder während des Kriegs zerstört. Doch auch nach 1945 verschwanden viele jüdische Bet- und Gedenkstätten. Von jenen, die weiter stehen, dienen aber nur die wenigsten noch ihrem ursprünglichen Zweck. Und für die rund 370 jüdischen Friedhöfe gilt das ausnahmslos. Im Folgenden mehr zur Pflege jüdischer Baudenkmäler im Tschechien.
Auch deswegen gingen viele Juden dann vor allem nach Israel oder in die USA. Die Synagogen hierzulande wurden also meist nicht mehr genutzt, ihre Zahl schrumpfte im Laufe der Zeit beträchtlich. Wenn die Statik der Gebäude angegriffen war, dann wurden sie häufig ganz abgerissen. Einige wurden aber auch renoviert und dann oft in regionale jüdische oder städtische Museen umgewandelt. Aber aus ihnen wurden zum Beispiel auch Bibliotheken, Feuerwehrhäuser, Archive, Geschäfte, Wohnhäuser oder Werkstätten beziehungsweise Lagerstätten. Die Palette an Nutzungsmöglichkeiten war breit.
Plattenbauten statt jüdischen Gräbern
Blanka Soukupová ist auch Autorin eines Buches mit dem Titel „Die Juden in den Böhmischen Ländern nach der Shoa – die Identität des verletzten Gedächtnisses“. Auf über 580 Seiten befasst sie sich mit der jüdischen Minderheit hierzulande in vier Abschnitten des 20. Jahrhunderts. Besondere Aufmerksamkeit widmet die Autorin dabei den jüdischen Denkmälern hierzulande. Die Erkenntnis ist: Die meisten jüdischen Baudenkmäler wurden während der sogenannten „Normalisierung“ zwischen 1969 und 1989 zerstört. Im Lauf von zwei Jahrzehnte wurden 105 Synagogen abgerissen. Aber auch jüdische Friedhöfe verschwanden.„Es war eine Zeit, in der mancher Friedhof neuen Häusern beziehungsweise Plattenbausiedlungen oder Straßen weichen musste. Nicht selten mussten sie nur deswegen verschwinden, weil sie, wie es hieß, das Stadtbild störten. In den zwei Jahrzehnten der ‚Normalisierung‘ sank die Zahl jüdischer Friedhöfe in Tschechien ungefähr auf die Hälfte. Sie hatten die Zeit des ‚Protektorats Böhmen und Mähren‘ überstanden sowie die 1950er und 1960er Jahre, doch die ‚Normalisierung‘ nicht mehr“, so Soukupová.
Es gibt aber auch Ausnahmen. Zum Beispiel die Synagoge und der Friedhof im südmährischen Strážnice / Straßnitz. Jiří Pajer ist Historiker und Ethnologe:„Unter dem kommunistischen Regime wollte man das gesamte jüdische Viertel in Strážnice abreißen, um Platz zu schaffen für den Wohnungsbau. Dasselbe war zuvor zum Beispiel im nahen Hodonín geschehen. Wegen Geldmangels musste man in Strážnice zum Glück aber auf das Projekt verzichten. Der jüdische Friedhof wurde seinem Schicksal überlassen. Trotzdem hat er bis heute im Grunde seine ursprüngliche Gestalt bewahrt. Die Synagoge wurde bis Anfang der 1990er Jahre als Lagerstätte genutzt. Vor ungefähr 15 Jahren wurde mit der Renovierung begonnen. Heute ist sie ein bedeutendes Baudenkmal, das von Besuchern aus der ganzen Welt besucht wird.“
Besucher aus der ganzen Welt
Nach der politischen Wende von 1989 begann man hierzulande mit der, wie es in der Fachsprache heißt, „Revitalisierung jüdischer Denkmäler“. Besondere Erfolge brachte ein Projekt, das 2014 vollendet wurde. Es ermöglichte eine kostspielige Renovierung beziehungsweise Rekonstruktion von 15 bedeutenden jüdischen Baudenkmälern. In Anlehnung an ihre Standorte in zehn Städten Böhmens, Mährens und Schlesiens erhielt das Projekt den Titel „Zehn Sterne“. Die Kosten lagen bei 280 Millionen Kronen, umgerechnet über eine Million Euro. 85 Prozent kamen vom Europäischen Fonds für regionale Entwicklung und 15 Prozent vom tschechischen Staat. Jiří Daníček von der Föderation der jüdischen Gemeinden in Tschechien:„Diese Objekte wurden sorgfältig ausgewählt nach festgelegten Kriterien wie geschichtlicher, künstlerischer oder sonstiger kultureller Bedeutung sowie der Sanierungsbedürftigkeit. Ohne zu übertreiben, befinden sie sich jetzt dank dem Projekt in einem exzellenten Zustand. Und dies nicht nur aus baulicher Sicht. Dasselbe gilt auch für die Innenräume, die restauriert wurden und das ursprüngliche beziehungsweise renovierte Mobiliar zurückerhielten. Einige der Synagogen beherbergen auch ständige Ausstellungen.“Die Dauerausstellungen haben regionalbezogene Themen:
„Im nordböhmischen Jablonec nad Nisou (Gablonz an der Neiße, Anm. d. Red.) werden zum Beispiel tschechisch- und deutschsprachige jüdische Schriftsteller vorgestellt. In Krnov (Jägerndorf, Anm. d. Red.) sind es jüdische Industrielle und Forscher, die einen Beitrag zur technischen und wissenschaftlichen Entwicklung leisteten. Das Ensemble von 15 renovierten Baudenkmälern spiegelt verschiedene Arten des Zusammenlebens von Juden und christlicher Bevölkerung, und das war keineswegs problemlos. Es dürfen aber nicht nur die negativen Aspekte gesehen werden. Die neu eröffneten Dauerausstellungen zeugen davon, dass man sich auch gegenseitig beeinflusst hat. Und dass es längere Zeitspannen gab, in denen die Juden akzeptiert wurden von der örtlichen Bevölkerung.“ Die Arbeit an der oft stark beschädigten Architektur war jedoch nicht leicht. Dreieinhalb Jahre lang tüftelten die Restauratoren zum Beispiel an der Synagoge in Mikulov / Nikolsburg. Die dortige jüdische Gemeinde hatte jahrhundertelang eine herausragende Stellung als geistliches Zentrum des Judentums in Mähren gehabt. Um die Mitte des 16. Jahrhunderts soll dort auch Rabbi Löw tätig gewesen sein, bevor er nach Prag ging. Bekannt wurde er als Schöpfer des legendären Golems. Jan Soukup ist Architekt. Sein Atelier hat sich am „Zehn-Sterne-Projekt“ beteililgt:„Meiner Meinung nach ist diese Synagoge die schönste von allen. Und zwar besonders wegen ihrer ungewöhnlichen Komposition mit vier roten Marmorsäulen in der Mitte des Zentralraums, der von vier Kuppeln überwölbt ist. Hierzulande ist sie die einzige Synagoge des sogenannten ‚polnischen‘ oder ‚östlichen‘ Typs. Ihr Architekturkonzept wurde aus Südostpolen nach Mähren gebracht.“