Die Kohlegrube Mayrau – Ein Industriedenkmal im Zustand des letzten Arbeitstages
Schlösser und Burgen überall. Tschechien ist reich an Kulturdenkmälern. Aber wie in anderen Ländern Europas sind auch in Tschechien technische Sehenswürdigkeiten in den letzten Jahren zu einem beliebten Touristenziel geworden. Ein solches ist zum Beispiel das Freilichtmuseum Mayrau bei Kladno. Einst war „die Mayrau“ eine Kohlegrube und mit ihrer Fördermenge einer der Motoren für die Entwicklung der Industrie in Mittelböhmen im 19. Jahrhundert.
„Cestičkou k Majrovce“, zu deutsch „Auf dem Weg zur Mayrau“. So heißt ein bekanntes tschechisches Bergmannslied. Und dorthin – zur Mayrau – habe auch ich mich auf den Weg gemacht. Die Mayrau oder die Majrovka, wie sie nicht nur die Bewohner der Umgebung nannten, war die größte und bekannteste Kohlengrube im Revier von Kladno, etwa 30 Kilometer nordöstlich von Prag. Die Prager Eisenindustriegesellschaft richtete den Kohlenschacht im Jahre 1874 in der kleinen Ortschaft Vinařice vor den Toren von Kladno ein. In den etwa 120 Jahren ihres Bestehens förderten die Kumpel 34 Millionen Tonnen Kohle aus der Mayrau. Seit 1994 ist die mittlerweile still gelegte Grube auch für die Öffentlichkeit zugänglich.
Mit dem Bus aus Kladno komme ich im Dörfchen Vinařice an. Es ist regnerisch. Das große Eisentor zur Grube Mayrau steht offen aber verlassen da. Kein Wetter für einen Besuch im Freilichtmuseum. Aber ich werde erwartet und bekomme sogar eine Exklusivführung. Mein Begleiter heißt Dušan Biedrman, überragt mich um mindestens anderthalb Köpfe und steht trotz seiner schätzungsweise 65 Jahre in Saft und Kraft. Ein wahrer Bär von einem Mann.
Er zeigt mir als erstes eine Karte der Gegend. Über 1000 Kohlegruben habe es früher im Revier gegeben, erklärt er mir. Heute wird hier nirgendwo mehr Kohle gefördert. Wir beginnen unseren Rundgang in einer großen Halle voller Vitrinen. Eine davon ist Dušan Biedrman besonders wichtig.
„Hier haben wir eine Auswahl von Grubenlampen. Ich will hier auf die Öllampen in der ersten Reihe hinweisen. Eine Öllampe hat das schlimmste Grubenunglück aller Zeiten auf dem Gebiet der heutigen Tschechischen Republik auf dem Gewissen. Am 31. Mai 1892 blies in einer Grube in Příbram ein Kumpel seine Öllampe aus. Der Docht fiel in den Schacht. Er entzündete sich aber erneut und löste einen Brand aus, bei dem 319 Kumpel erstickten.“
Später wurden unter Tage nur noch elektrische Lampen benutzt, sagt Biedrman und führt mich in einem kleineren Raum.
„In dieser Werkstatt hier hat man die Grubenlampen repariert. Damit mit sich ein Unglück, wie in Příbram 1892 nicht wiederholt, hatte außerdem jeder auch sein eigenes Atemgerät. Sie waren mit Nummern gekennzeichnet, und wenn man herausfand, dass jemand sein Atemgerät nicht bei sich hatte, musste der 1000 Kronen Strafe zahlen.“
Diese Strafe galt wohlgemerkt noch während des kommunistischen Regimes, zu einer Zeit als ein leitender Angestellter in der Grube Mayrau höchstens 8000 Kronen verdiente. Was die Strafe von 1000 Kronen also für den einfachen Grubenarbeiter bedeutete, kann man sich vorstellen.
Das Thema Arbeitssicherheit wird groß geschrieben bei Dušan Biedrman. Das ist kein Wunder, denn er kann ein Lied davon singen, wie anstrengend und gefährlich die Arbeit unter Tage ist. Er – und auch alle anderen Museumsführer auf der Mayrau – haben selber hier oder auf einer der zahlreichen weiteren Kohlegruben im Revier von Kladno gearbeitet. Nun zeigen sie interessierten Besuchern, wo und wie sie früher gearbeitet haben.
„Die Idee in der Grube Mayrau ein Freilichtmuseum einzurichten ist schon mindestens 30 Jahre alt. Allerdings war diese größte Grube im Revier von Kladno damals noch voll in Betrieb. Ursprünglich wollte man hier ein normales, schönes Museum einrichten. Letztendlich beließ man alles nach Beendigung der Förderung hier im Zustand des letzten Arbeitstages.“
Was sich wie eine Notlösung anhört, ist aber genau das, was den Reiz des Freilichtmuseums Mayrau ausmacht. Nach der letzten Arbeitsschicht ließen die Kumpel alles so zurück, als würden sie am nächsten Tag wieder zur Arbeit zurückkehren. Besonders eindrucksvoll ist das in der so genannten Kettengarderobe zu sehen in die mich Dušan Biedrman führt.
In dem circa 7 Meter hohen Raum von der Größe einer Sporthalle hängt unter der Decke die Arbeitskleidung von dutzenden Bergmännern zum Trocknen. Sie hängen dort seit 12 Jahren, seit in der Grube Mayrau am 30. Juni 1997 die letzte Kohle aus der Erde geholt wurde. Herr Biedrman bedient den Flaschenzug und lässt eine der Arbeitsgarnituren von der Decke herab. Die vom Kohlenstaub schwarze Kluft kommt näher. Das hier sei sehr interessantes Exponat, ein einzigartiges historisches Objekt, scherzt Biedrman, während er eine ehemals weiße Unterhose vom Haken nimmt. Ein Zug an der Kette, und das Corpus Delicti steigt wieder hoch zur die Decke. Wir setzen unseren Rundgang fort. Plötzlich bleibt Biedrman stehen.
„Nach dem Ende der Kohleförderung hier, mussten aus Sicherheitsgründen die Schächte zugeschüttet und zubetoniert werden. Unter dem Platz wo ich jetzt stehe, befindet sich ein 527 Meter tiefer Schacht. Konserviert für die Ewigkeit.“
In die Schächte selber können die Besucher also nicht mehr. Zur Demonstration der Arbeit unter Tage hat man auf der Mayrau aber einige Dutzend Meter Kohlestollen in einem ehemaligen Luftschutzbunker nachgebaut. Sehr authentisch sei das geworden, wie mir Herr Biedrman versichert, während er mir die anstrengenden Arbeitsschritte erklärt. In der Tat drängen sich mir auf der Stelle Bilder auf, wie schweißtreibend der Broterwerb in den dunklen engen Gängen gewesen ein muss. Wieder an der frischen Luft machen wir uns auf den Weg zum Höhepunkt der Führung, zum größten Stolz des Museums.
Es ist eine Dampfmaschine der Firma Ringhoffer in Prag-Smichov. Gebaut im Jahre 1905 war sie ursprünglich für ein bulgarisches Dampfschiff bestimmt. Die Bulgaren aber sagten den Auftrag ab. Die Firma Ringhoffer stellte die Dampfmaschine daraufhin auf der Weltausstellung in Paris aus, wo sie der damalige Direkter der Grube Mayrau sah. Er kaufte die riesige Maschine, und ließ sie zur Fördermaschine umbauen. Seit 1906 bildete die Ringhoffer-Maschine das Herz der Mayrau und brachte Bergleute und Material hinunter in den Schacht – und selbstverständlich auch wieder zurück ans Tageslicht. Sie war bis zur endgültigen Einstellung der Kohleförderung im Jahr 1997 im Einsatz. Den Besuchern wird die immer noch voll funktionstüchtige riesige Maschine in Aktion vorgeführt.
Mein Begleiter drückt einen Knopf. Die große Fördertrommel setzt sich auf der Stelle in Bewegung, um alle Zweifel auszuräumen, dass sie auch nach über 100 Jahren noch einwandfrei läuft. 26 Jahre lang habe auch ihn die Maschine hinunter in den Schacht gebracht, wie mir Dušan Biedrman erzählt. Zum Beweis der Ausdauer des technischen Monuments zeigt er auf einen überdimensional großen Metallkolben, der völlig verrostet in einer Ecke der Maschinenhalle liegt.
„Vorschrift ist Vorschrift“, deshalb habe man hier den Ersatzkolben liegen, sagt Biedrman. Da liegt er nun schon seit über 100 Jahren und wurde rotbraun vor Rost, ohne dass er jemals gebraucht wurde.
Auf dem Weg zurück zum Ausgang, bleibt Dušan Biedrman vor drei Loren voll mit Kohlebrocken stehen.
„Die Wagen, die dort stehen, sind eine eher traurige Erinnerung. Es ist die letzte Kohle, die im Revier von Kladno gefördert wurde. Das war im Jahr 2002 in der Grube Tuchlovice nicht weit von hier. Und damit endete nach mehr als 230 Jahren die Kohleförderung im Revier. Das ist keine angenehme Erinnerung.“
Heute ist die Grube Mayrau ein Touristenziel. Nach vorheriger Anmeldung werden dort auch Führungen auf Deutsch angeboten.
Foto: www.mayrau.wz.cz