Die Kraft komplementärer Farben – der Maler Lubomír Typlt

Lubomír Typlt: Rapid Eye Movement II

Er ist einer der bekanntesten zeitgenössischen Maler Tschechiens: Lubomír Typlt. Studiert hat er aber in Deutschland. Das Tschechische Zentrum in Berlin hat vor einiger Zeit mit dem 46-jährigen Künstler gesprochen – und zwar im Rahmen einer Podcast-Reihe mit dem Titel „Contemporary Czech Art in Berlin“, die Simona Binko ins Leben gerufen hat.

Lubomír Typlt | Foto: Jindřich Nosek,  Wikimedia Commons,  CC BY-SA 4.0 DEED

Lubomír Typlt begann sein Studium der Malerei an der Masaryk-Universität in Brno / Brünn bei Jiří Nečeradský. Später studierte er bei Markus Lüpertz, Gerhard Merz und A. R. Penck an der Kunstakademie Düsseldorf. Nach dem Abschluss 2005 lebte und arbeitete Typlt bis 2009 in Berlin. Wichtig für seine Karriere war 2012 die Einzelausstellung „Tikající muž“ (Ticking Man) in der städtischen Galerie in Prag, zu der später eine gleichnamige Publikation erschien. Aktuell arbeitet und lebt er in Pičín. Ende November 2020 waren seine aktuellen Werke in der Galerie C&K in Berlin-Mitte zu sehen.


Hallo Lubomír, hallo Christiane. Herzlich Willkommen bei „Contemporary Czech Art in Berlin“. Zuerst würde ich gern Lubomír fragen: Wo lebst Du, wo arbeitest Du? Wie sieht Dein Arbeitsort aus?

Pičín | Foto: Miloš Hlávka,  Wikimedia Commons,  CC BY-SA 4.0 DEED

Typlt: „Ich lebe in Prag und in Pičín, einem Ort etwa 50 Kilometer von Prag entfernt. Dort habe ich mein Atelier. Mal bin ich in Prag, mal in Pičín…“

Wir haben heute auch die Möglichkeit, mit der Galeristin Christiane Böhlig zu sprechen. Christiane, wie ist Deine Zusammenarbeit mit Lubomír entstanden?

Böhlig: „Ich kenne Lubomír noch als Student von A. R. Penck, mit dem ich viele Jahre zusammengearbeitet habe. In meiner vorherigen Galerie haben wir mit der Klasse von A. R. Penck eine Ausstellung gemacht, in der Lubomír mit einigen Arbeiten vertreten war, als er noch an der Kunstakademie in Düsseldorf studiert hat. Und er hat mich damals durch seine unglaubliche Ausdruckskraft in der Malerei schon sehr beeindruckt. Dann haben wir in der C&K Galerie vor wenigen Jahren eine Ausstellung gemacht mit Papierarbeiten von ihm und seinem damaligen Professor A. R. Penck.“

Nun zu der aktuellen Ausstellung: Sie trägt den Titel „Somnambul“. Warum hast Du diesen Titel gewählt, Lubomír?

Typlt: „So heißt auch ein Bild von mir. Im Frühjahr habe ich meine neuen Arbeiten an Christiane geschickt, und ihr hat der Titel sehr gut gefallen. Ich arbeite auch ein wenig mit Texten – so schreibe ich Texte für meine Band ‚WWW Neurobeat‘. Deswegen lege ich großen Wert auf die Titel. Und ich denke, es ist ein gelungener Titel für die Ausstellung.“

In Deinen Bildern kann man oft pubertäre Wesen sehen, oft in Serien. Diese nehmen dann unterschiedliche Rollen an und sind mit Titeln bezeichnet. Wer sind diese Personen?

Typlt: „Ich male einfach Personen, die ein bisschen provozieren sollen und die Menschen nicht in Ruhe lassen. Ich wollte immer Bilder machen, die eine Aussage haben. Und das ist mir hoffentlich jetzt gelungen. Wer diese Wesen sind, das kann ich so schnell nicht erklären.“

Lubomír Typlt: Paar | Foto: Miroslav Krupička,  Radio Prague International

Böhlig: „Die Figuren sind sehr ambivalent – einerseits sind sie dem Grauen nah, sie haben fratzenartige Gesichter. Anderseits suchen sie Halt beieinander. Das kennzeichnet diese Adoleszent-Phase, in der man nach Identität sucht, die Sinnfrage stellt und keine Antworten darauf findet. Das ist der Punkt, den ich sehr überzeugend finde. Unser Weltgeschehen ist gerade jetzt absurder denn je. Wir alle stellen Sinnfragen, und dazu gehört auch ein schonungsloser Blick. Für mich sind diese Figuren, die manchmal sehr aggressiv sind, ein Gegenbild zur schönen Welt, die wir bei Instagram finden, in der wir uns makellos präsentieren. Aber der Mensch ist alles andere als makellos. Es gibt Träume und Albträume, Licht und Schatten – immer beides.“

Bei den Bildern spielt auch die Farbe eine wichtige Rolle. Wie würdest Du, Lubomír, Deinen Umgang mit Farben beschreiben?

Lubomír Typlt: Unfall I | Quelle: Tschechisches Zentrum Paris

Typlt: „Die Farbe ist ein Ausdrucksmittel der Malerei. Über meine Bilder könnte man sagen, dass sie düster sind. Aber sie sind mit hellen und leuchtenden Farben gemalt. Und das ist etwas Unerwartetes an den Bildern. Wenn jemand zum Beispiel etwas über Depressionen aussagen wollte, würde man erwarten, dass dies mit dunklen Farben geschieht. Ich will aber, dass die Bilder ihre Kraft behalten und den Menschen nicht belasten mit diesem Schwermut. Ich arbeite mit komplementären Farben, also rot und grün oder gelb und blau. Wenn man diese Farben benutzt, leuchten die Bilder und besitzen eine malerische Kraft. Denn darum geht es: dass das Bild nicht nur aussagekräftig ist, sondern auch ein Bild für sich selbst ist.“

Wie wählst Du die Namen für Deine Gemälde aus?

Lubomír Typlt: Schaukel | Foto: Lucie Fürstová,  Tschechischer Rundfunk

Typl: „Zuerst male ich das Bild, dann suche ich nach dem Titel. Ich will aber nicht, dass die Benennung zu sehr zu dem Bild passt. Deswegen suche ich nach unerwarteten Bezeichnungen für die Bilder. Ab und zu klingen meine Titel sogar fast poetisch. Mir ist nämlich wichtig, es dem Betrachter nicht leicht zu machen. Ich will in jedem Bild ein Geheimnis versteckt sehen. Und der Betrachter muss sich mithilfe seiner Vorstellungskraft etwas Eigenes ausdenken.“

Du hast in Düsseldorf studiert, später in Berlin gewohnt. Wie hat Dich dies beeinflusst?

Typlt: „Ich habe mein Studium in Düsseldorf sehr genossen. Dass war in den 1990er Jahren, als in Tschechien bereits das Ende der Malerei ausgerufen wurde. Mir ging dies auf die Nerven. In Düsseldorf war von solchem Schwachsinn überhaupt keine Rede. Ich hatte großes Glück, bei solch großen Malern studieren zu können wie Markus Lüpertz und A. R. Penck. Zwei Semester habe ich unter der Leitung von Gerhard Merz absolviert. Mir hat das Studium in Düsseldorf wirklich geholfen, weil ich die ganze Zeit an das Bild als Medium geglaubt habe. Und die Diskussion über ein Ende der Malerei in Tschechien hat mich nicht gestört.“

Quelle:  Kerber Verlag

Christoph Tannert schreibt in dem Katalog zur Ausstellung: „Er ist mit Haut und Haar Tscheche.“ Was bedeutet es für Dich, Tscheche zu sein?

Typlt (lacht): „Ich habe mich ebenfalls über diesen Satz gewundert. Man müsste vielleicht eher Herrn Tannert fragen, wie er dies gemeint hat. Aber ich bin stolz darauf, dass er es so geschrieben hat. Das war sehr nett von ihm.“

Lubomír, wie Du gesagt hast, war der Zugang zur Malerei in Tschechien und in Deutschland unterschiedlich. Wie unterscheidet sich beispielsweise die Ausbildung an den Kunstakademien?

Jiří Načeradský | Foto: Tomáš Vodňanský,  Tschechischer Rundfunk

Typlt: „An der Kunstakademie in Prag hat man sich daran gewöhnt, das Bild als Medium zu vernichten. Das mögen harte Worte sein, aber so verhält es sich einfach. Die klassische Malerei hat es in Tschechien nicht einfach. Dennoch gibt es viele gute Maler im Land. Offiziell wird dieses Fach nicht an den Akademien unterrichtet. Das ist ein großer Fehler aus meiner Sicht. Aber auch in Tschechien habe ich bei einem guten Maler studiert: Jiří Načeradský. Er hat mir immer Mut zugesprochen. In den 1990er Jahren war es tatsächlich schwierig, man musste sich fast schämen dafür, dass man malt. Im Ausland habe ich aber gesehen, dass es nicht so sein muss – also in Deutschland, Belgien oder in den Niederlanden – und dass es auch heutzutage viele gute Maler gibt. In diesen Ländern würde keiner behaupten, dass das Bild sterben sollte. Nur die tschechische Kulturszene will das nicht sehen.“

Dennoch hast Du in Tschechien viel ausgestellt. Wie war die Rückkehr aus Deutschland? Oder warst Du nie „weg“?

Quelle:  Tschechisches Zentrum Berlin

Typlt: „Ich war nie weg. Auch während des Studiums in Deutschland habe ich in Tschechien ausgestellt. Ich wollte nämlich das tschechische Publikum nicht verlieren. Und das ist, denke ich, gelungen. Obwohl ich acht Jahre lang im Ausland war, bin ich in der tschechischen Kulturszene präsent geblieben. Das hat sich ausgezahlt. Ich habe vor zehn Jahren eine Retrospektive in der städtischen Galerie in Prag gemacht – zusammen mit wichtigen tschechischen Kuratoren. Vielleicht habe ich dazu beigetragen, dass die Malerei in Tschechien wieder anerkannter ist.“

Contemporary Czech Art in Berlin“ ist eine Podcast-Reihe des Tschechischen Zentrums Berlin zur zeitgenössischen Kunst in Zeiten von Corona. In Interviews werden dabei Künstlerinnen und Künstler mit Wurzeln in Tschechien und/oder der Slowakei vorgestellt, die schon länger oder erst kurz in Berlin leben. Radio Prag International bringt in Kooperation mit dem Tschechischen Zentrum Berlin einige der Interviews.

https://berlin.czechcentres.cz/de/blog/2020/11/3x3-contemporary-czech-art-in-berlin-s-lubomirem-typltem

https://www.facebook.com/TschechischesZentrum

https://www.facebook.com/simbin

„Tikající muž“  (Ticking Man) | Foto: Martina Pavloušková,  Tschechischer Rundfunk
Autoren: Till Janzer , Simona Binko
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