Die Monstrosität des Alltäglichen. Jan Svankmajer wird siebzig

Eva und Jan Svankmajer (Foto: CTK)

Kindheitsängste und absurde Obsessionen stehen im Zentrum des Werkes von Jan Svankmajer. Am Samstag begeht der "letzte Surrealist" wie er oft genannt wird, in Prag seinen 70. Geburtstag. Thomas Kirschner stellt den ungewöhnlichen Universalkünstler vor.

 Eva und Jan Svankmajer  (Foto: CTK)
Zwei Fleischstücke erwachen auf dem Hackbrett in der Küche, kommen sich näher, tanzen zur Musik eines Radios, küssen sich, wälzen sich schließlich in entfesselter Lust über den Küchentisch - bis eine Hand sie gemeinsam in die zischende Pfanne wirft. "Fleischliche Liebe" heißt dieser Kurzfilm von Jan Svankmajer aus dem Jahre 1988, der seinen Titel auf so absurde Weise wörtlich nimmt. Es geht um Fressen und Gefressen-Werden, um Sex und Obsessionen - die Grundthemen aus Svankmajers Werk, die dieser in allen Genres immer wieder neu und abgründig formuliert. Svankmajer öffnet phantastische Bilderwelten, die geradewegs in die Ängste der Kindheit führen. Der Surrealismus ist dabei für ihn keine Arbeitstechnik, sondern eine Lebensphilosophie. Der Dichter, Publizist und Surrealistenkollege Bruno Solarík hat eine Erklärung für die Sonderstellung dieser Kunstrichtung in Tschechien - auch wenn er betont, dass der Surrealismus auch in anderen Ländern noch lebendig sei:

"Aber es ist wahr, dass in Tschechien dem Surrealismus bis heute ein größeres Existenzrecht eingeräumt wird. Das hängt wohl damit zusammen, dass der tschechische Surrealismus schon frühzeitig seine Ausdrucksmöglichkeiten ändern konnte. Der Dreiklang Freiheit - Liebe - Poesie aus den 20er und 30er Jahren kam den Surrealisten in den 50er Jahren schon lächerlich vor, und sie haben es gerade in der gespannten Atmosphäre des Stalinismus geschafft, einen grundlegenden Wechsel der surrealistischen Anschauungen herbeizuführen - weg von der Beschwörung der Liebe, hin zu einer Art imaginativem Sarkasmus mit einem sehr beißenden Humor. Und das ist auch eines der grundlegenden Elemente, das gerade im Werk Jan Svankmajers eine sehr bedeutende Rolle spielt."

Svankmajer entwirft eine Welt, die sich den Regeln entzieht. Schuhe entpuppen sich als scharfzähnige Ungeheuer, ein gekochtes Ei ist härter als alle Werkzeuge, mit denen es aufgeklopft werden soll. Zugleich wird die menschliche Glückssuche ad absurdum geführt. Svankmajers Figuren versinken rettungslos in ihren Leidenschaften und Perversionen. Und bleiben doch gerade darin menschlich. Das Publikum liebt seine Filme, während die Kunsthistoriker oft nicht recht wissen, wo sie Svankmajer einordnen sollen.

"Interessant ist, dass Svankmajer oft als Kuriosum angesehen wird, vor allem von Seiten der Fachleute, und zugleich ist er auf der anderen Seite für die Zuschauer seiner Filme einfach eine ganz außergewöhnlich fesselnde Persönlichkeit. Während sein Publikum ihn also in seine Kunstinteressen integriert, bleibt er für die Fachleute ein fremdartiges Geschöpf, eine ausgefallene Kreatur sozusagen. Vielleicht kommt das daher, dass die Fachleute Svankmajer häufig mit seinen Werken verwechseln, denn seine Werke sind wirklich voller seltsamer Kreaturen."

Semmeln mit Hühnerbeinen und andere von Svankmajers skurrilen Fabelwesen sind noch bis zum 19. September in einer Sonderausstellung auf der Prager Burg zu sehen, mit der der Künstler zu seinem 70. Geburtstag geehrt wird. Und wer Svankmajers Werke einmal gesehen hat, wird sich sicher den Geburtstagswünschen seines Kollegen Bruno Solarík anschließen:

"Ich wünsche ihm, dass er auch weiterhin seine Kindheitsobsessionen ausleben kann!"