Die Nachbarn im Nordosten
In dieser Ausgabe unseres Regionaljournals nimmt Oliver Engelhardt Sie mit auf eine Reise nach Niederschlesien, die polnische Nachbarregion nordöstlich der Tschechischen Republik.
Die Hauptstadt Niederschlesiens ist Wroclaw (Breslau) und dort begeben wir uns auf Spurensuche. Inwieweit wirkt sich die Nähe der Tschechischen Republik auf die Region aus? Und interessieren sich die Menschen in Niederschlesien für Tschechien? Direkt am Rynek, dem Hauptplatz von Wroclaw befindet sich das Konsulat der Tschechischen Republik. Dort treffe ich den Vorsitzenden der Breslauer Sektion der polnisch-tschechisch-slowakischen Solidarität, Rafal Prietzel. Er erklärt uns das Interesse am Nachbarland folgendermaßen:
"Niederschlesien ist im Hinblick auf seine geographische Lage - es sind mehr als 400 Kilometer gemeinsamer Grenze mit Tschechien - angewiesen auf ein Interesse an Tschechien. Unser Verein arbeitet auf verschiedenen Ebenen. Die älteren Mitglieder, die einst in der Opposition aktiv waren, beschäftigen sich vielfach mit Lobbyarbeit. Beispielsweise wollen wir, dass ein Grenzübergang auf der Schneekoppe eröffnet wird. Unsere Zentrale in Breslau bietet Bohemistik-Studenten eine Anlaufstelle und außerdem präsentieren wir hier in Niederschlesien tschechische Kultur."
Rafal Prietzel ist Pole, aber dennoch ein Kenner der tschechischen Kultur sowie der Geographie der Region. Wie beurteilt er die polnisch-tschechischen Beziehungen allgemein?
"Ich glaube, dass die Beziehungen nicht die schlechtesten sind. Kritisch kann man die Vysehrad-Gruppe sehen, die für viele von uns nicht das erfüllt, was möglich wäre. Aber in der vereinigten Europäischen Union werden sich wohl auch die Beziehungen innerhalb der Vysehrad-Gruppe verbessern. Eigentlich sollte man an erster Stelle unsere regionalen Beziehungen nennen. Es ist mittlerweile umgekehrt: nicht mehr Prag und Warschau entscheiden über die polnisch-tschechischen Beziehungen, sondern eben die Grenzregionen, und hier gibt es Zusammenarbeit. Ich denke, für viele Tschechen ist Polen immer noch ein unbekanntes großes Land im Osten. Die Polen fahren oft durch Tschechien in den Westen und entdecken dabei viel Sehenswertes. Die Tschechen haben diese Gelegenheit eigentlich nicht. Ich denke, unsere Werte in Tschechien bekannter zu machen, ist ein großes Problem."
Der Verein "Polnisch-tschechisch-slowakische Solidarität", dem Rafal Prietzel in Wroclaw vorsteht, ist Mitveranstalter des Vysehrad-Festivals. Im Rahmen des Festivals steht beispielsweise eine Photo-Ausstellung auf dem Ring neben dem Rathaus. Da wird etwa an Karel Kryl erinnert, den tschechischen Sänger, der nach der Niederschlagung des Prager Frühlings im Münchner Exil lebte und für Radio Freies Europa tätig war. Bilder wie Kryl vor einfachen polnischen Arbeitern zur Gitarre singt, Bilder von den großen Demonstrationen, die zur friedlichen Revolution führten: die Berliner Mauer, der Prager Wenzelsplatz, Bilder von Menschen wie Lech Walesa oder Václav Havel. Die Ausstellung zeigt, dass viele Mitteleuropäer ähnliche Erfahrungen teilen, geschichtlich, politisch und kulturell.
Mitveranstalter des Vysehrad-Festivals ist auch die Stiftung Kreisau für Europäische Verständigung, die in dem kleinen Dorf Krzyzowa (Kreisau), 60 Kilometer südwestlich von Breslau ihren Sitz hat. In Krzyzowa wird dieser Tage der deutsch-polnischen Versöhnungsmesse vor 15 Jahren gedacht. Kein geringerer als Tadeusz Mazowiecki, der erste nicht-kommunistische Regierungschef Polens ist zum Jubiläum nach Krzyzowa gekommen und erinnert sich:
"Ich habe mich für die Thematik des deutschen Widerstandes interessiert, für die Dramatik der wenigen Menschen, die in Hitlers Deutschland Widerstand leisteten und daher natürlich auch für den Kreisauer Kreis. Als der Besuch von Kanzler Kohl anstand, hat der deutsche Kanzler Wert auf eine tiefere Geste gelegt. Ich dachte, Kreisau wäre dafür wunderbar. Diese Umarmung war ein wirklich bewegender Moment und als wir danach hier am verfallenen Schloss entlang liefen kam die Rede darauf, hier eine Jugendbegegnungsstätte einzurichten, denn das war einer der Akzente unserer gemeinsamen Erklärung."
Eine derjenigen, die sich mit dem Aufbau des Begegnungszentrums in Krzyzowa beschäftigt hat, ist Dr. Ewa Unger. Wie Mazowiecki stammt sie aus dem Klub der Katholischen Intelligenz in Wroclaw. Ich habe sie gebeten, mehr von den Anfängen in Krzyzowa zu erzählen:
"Also wir konnten uns nicht vorstellen, was daraus wird. Der Gedanke - das hat Mazowiecki gesagt - kam nicht von ihm, sondern wir hatten früher den Gedanken. Die zwei Politiker, besonders Kohl, wollten eine bilaterale deutsch-polnische Jugendbegegnungsstätte. Wir haben gesagt, nein, denn wir wollten es international machen. Damals hat niemand an die Tschechen gedacht, aber sehr bald, als wir angefangen haben, als man uns das Geld für den Aufbau zugesagt hatte und wir wussten, da entsteht eine große Institution mit viel Platz, haben wir uns von Anfang an um tschechische Kontakte bemüht."
Krzyzowa befindet sich nur etwa 80 Kilometer von der tschechischen Grenze entfernt. Wird ein so großes internationales Projekt in Tschechien nicht wahrgenommen? Ich habe den Leiter der Internationalen Jugendbegegnungsstätte Kreisau, Rafal Borkowski danach gefragt:
"Es gibt nicht viele Besuche aus der Tschechischen Republik in Krzyzowa. Meistens sind es Partner, die im Rahmen trinationaler deutsch-polnisch-tschechischer Begegnungen kommen. Wir bemühen uns seit einigen Jahren Kontakte mit tschechischen Partnern zu knüpfen. Unser nächster Versuch ist die Suche eines tschechischen Freiwilligen, der oder die zusammen mit deutschen und polnischen Freiwilligen ihren Freiwilligendienst abhalten würde."
In der vergangenen Woche fand in der Jugendbegegnungsstätte Kreisau eine Simulation des Europäischen Parlaments mit Teilnehmern aus elf Ländern statt. Immerhin gab es hier 13 Jugendliche aus Tschechien. Hoffen wir, dass auch die anderen Bemühungen bei Tschechen das Interesse an ihrer polnischen Nachbarregion zu wecken von Erfolg gekrönt werden.
Weitere Informationen im Internet unter: www.krzyzowa.org.pl , www.wyszehrad.pl und www.wroclaw.pl