„Die Politik lässt auf sich warten“ - Lída Rakušanová zu Seehofers Ankündigung einer Prag-Reise
In Deutschland ging es durch die Medien: Horst Seehofer will als erster bayerischer Ministerpräsident im Herbst zu einem offiziellen Besuch nach Prag reisen. Tschechische Politiker haben jetzt vor den Wahlen noch nicht auf die Ankündigung reagiert. Doch wie viel Neues ist dran an Seehofers angeblicher Annäherung an Prag? Die Journalistin Lída Rakušanová beschäftigt sich seit vielen Jahren mit den tschechisch-deutschen Beziehungen. Etwa 25 Jahre lang lebte sie in München und arbeitete dort für Radio Freies Europa.
Frau Rakušanová, am Pfingstsonntag hat der bayerische Ministerpräsident Seehofer beim Sudetendeutschen Tag angekündigt, dass er nach den tschechischen Wahlen offiziell Prag besuchen möchte. Er sagte aber auch, dass ihn eine Delegation der Vertriebenenverbände begleiten solle und dass er die Beneš-Dekrete ansprechen wolle. Hat Seehofer damit nicht die Tür gleich wieder zugeschlagen, die er öffnen wollte?
„Es sieht so aus. Wann immer einer seiner Vorgänger so etwas vorgeschlagen oder angekündigt hat, wurde nichts daraus. Die Folge ist, dass jetzt schon 20 Jahre lang kein Ministerpräsident aus Bayern offiziell Prag besucht hat. Das ist ziemlich merkwürdig, um nicht zu sagen eine ausgesprochene Schande. Man muss bedenken, dass Tschechien mit Bayern die besten Wirtschaftsbeziehungen hat, auch die größten innerhalb Deutschlands, sich die Menschen sehr gut verstehen und sich mittlerweile unheimlich viele Initiativen entwickelt haben, vor allem in den Grenzgebieten – und da lässt die Politik auf sich warten.“Seehofer hat in seiner Rede davon gesprochen, dass sich in der tschechischen Gesellschaft viel bewegt hat im Umgang mit dem Thema Vertreibung. Glauben Sie, dass es auf tschechischer Seite eine größere Gesprächsbereitschaft gibt als früher – und das auch an den höchsten Stellen in Prag?
„Vor allem bei der jungen Generation ist tatsächlich Gesprächsbereitschaft vorhanden, auch über die schwierigen Themen wie die Beneš-Dekrete. Die Themen sind deswegen so schwierig in der tschechischen Gesellschaft, weil immer vermutet wird, es ginge in erster Linie um die Eigentumsfragen. Man könnte das Thema aber von einer anderen Seite her ansprechen - und dafür ist momentan in der tschechischen Gesellschaft eine ziemlich große Sensibilität geweckt worden durch Dokumentarfilme jungen Regisseure: nämlich von der Seite des Leids, des Mordens bei der Vertreibung. Das alles könnte man doch aufdecken, und da kommt man nicht herum, mit den Sudetendeutschen zusammenzuarbeiten. Dafür ist es bereits höchste Zeit, wenn nicht sogar zu spät. Denn die Leute, die das erlebt haben oder direkte Nachkommen der Opfer sind, sterben langsam aus – und dann ist niemand mehr auf der Welt, der darüber Zeugnis ablegen kann. Deswegen glaube ich, und da komme ich nun noch mal auf Seehofer zurück: Seehofer könnte tatsächlich hier dieses Thema eröffnen. Denn er hat zwar gesagt, dass er die Beneš-Dekrete ansprechen wird. Doch hat er das in einem etwas verhaltenen Ton gemacht, er hat viel Peter Glotz zitiert, den sozialdemokratischen Antifaschisten. Da kann ich mir vorstellen, dass gerade Paroubek, der Vorsitzende der tschechischen Sozialdemokraten, für den Dialog empfänglich wäre, nicht dass er so viel Mitleid zeigen würde, aber aus pragmatischen Gründen.“