Die Rückkehr der Augustiner: St. Thomas-Kloster
Wenn man in Prag vom Kleinseitner Ring mit der Straßenbahn durch die schmale Letenská-Straße Richtung Klárov fährt, ist auf der linken Seite ein heller Gebäudekomplex zu sehen, den eine Kirche dominiert. Hinter der St. Thomas-Kirche verbirgt sich eine Klosteranlage, in die der Augustinerorden erst nach der politischen Wende von 1989 wieder zurückkehren konnte. Inzwischen ist das Kloster, das während des Kommunismus ziemlich verwüstet war, teilweise renoviert und umgebaut worden.
Der Augustinerorden war auf der Prager Kleinseite fast seit ihrer Gründung tätig. Denn bereits 1285 errichtete dorrt König Wenzel II. eine Niederlassung des damals neuen Ordens. Die Klosteranlage wurde im Laufe der Jahrhunderte einige Mal umgebaut. Während des 16. Jahrhunderts wurde das Kloster von mehreren Katastrophen heimgesucht: Nach dem Sturz des Kirchenchors wurde das Gebäude, wie fast die ganze Kleinseite, 1541 vom Großbrand fast vernichtet. Die Klosteranlage wurde dann nach 1550 fast neu erbaut.
Die St. Thomas-Kirche erhielt ihr heutiges Aussehen noch später – in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Neben dem Kircheneingang befindet sich das Klostertor. Durch den Kreuzgang kommt man in das Hauptgebäude. Mehr über die Klosterräume ließ ich mir von einem der Hausherren, dem spanischen Augustiner Juan Provecho, erzählen. Mit der Führung begann er im ehemaligen Refektorium, einem der ältesten Teile der Klosteranlage:„Die Klosteranlage selbst stammt vorwiegend aus dem 16. Jahrhundert. Davon konnten wir uns bei der Rekonstruktion im Jahre 2006 überzeugen: Damals haben wir einige Bauelemente gefunden, die aus dem 16. Jahrhundert stammten. Das Refektorium – also der Speiseraum – besteht heutzutage aus zwei miteinander verbundenen Räumen: dem ursprünglichen Refektorium und der früheren Küche. Heute wird der Saal als ein Ort für Begegnungen genutzt. Hier treffen wir uns mit den Mitgliedern der Pfarrgemeinde. Jeden Tag werden hier Sprachkurse und Religionsunterricht organisiert. Da es ein großer Raum ist, finden hier auch Vorlesungen und Konferenzen statt.“
Als Juan Provecho mit weiteren Ordensbrüdern vor zwölf Jahren nach Prag kam, sah es im einstigen Refektorium noch anders aus. Denn während des Kommunismus wurde im Kloster ein Altersheim eingerichtet. Es waren dort 100 bis 120 Senioren untergebracht.
„Ich kann mich daran erinnern, dass hier eine Großküche war, in der zwei, drei Köchinnen das Essen vorbereitet haben – damals nicht nur für die Senioren, sondern auch die wenigen Augustinermönche, die hier schon damals gelebt haben. Im Jahre 1998 zog das Seniorenheim um. Das Kloster sollte nach mehr als 40 Jahren wieder dem Orden und seiner Tätigkeit dienen. Ich muss sagen, dass aber nicht nur dieser Raum, sondern auch der größte Teil des übrigen Areals an eine Ruine erinnerte. Es war notwendig, die Klosteranlage gründlich zu rekonstruieren und in Stand zu setzen.“ Kirchenorden hat es in der kommunistischen Tschechoslowakei offiziell nicht gegeben. Kurz nachdem die Kommunisten 1948 die Macht ergriffen hatten, wurde im April 1950 vom Geheimdienst die so genannte „Aktion K“ gestartet. Deren Ziel war es, die Orden zu liquidieren. Während einer einzigen Nacht wurden 900 Ordensmitglieder verhaftet und 76 Klöster in der ganzen Republik beschlagnahmt. Kein Wunder, dass es nach dem Zusammenbruch des kommunistischen Regimes in Tschechien nur noch drei Augustiner gegeben hat. Zwei von ihnen seien inzwischen gestorben, sagt Juan Provecho, sodass nun nur noch ein einziger tschechischer Ordensbruder von ihnen lebt.„Da wir eine internationale Ordensgemeinschaft sind, wurden wir vom Generalvorgesetzten der Augustiner aufgefordert, nach Prag zu gehen. 1995 ist ein amerikanischer Augustiner nach Prag gekommen, und wir – drei Spanier – folgten dann 1997. Heutzutage sind hier ein Amerikaner, ein Pole, ein Tscheche und zwei Spanier. Und vor kurzem kam ein Student aus der Slowakei hinzu. Es ist unwichtig, aus welchem Land wir stammen. Wir sind hier, um den Menschen in diesem Land zu dienen und die Tätigkeit des Augustinerordens in Tschechien zu erneuern.“
Juan Provecho schließt das Refektorium, in dem später der Spanisch-Unterricht beginnen soll. Gegenüber dem Eingang ins Refektorium hängt ein großes Kreuz, oben im Flur sieht man Bücherregale.„Der Flur ist vier oder fünf Meter hoch. So haben wir hier eine Etage eingerichtet und darin die Bibliothek der Pfarrei platziert. Es gibt hier spanische, deutsche, englische und natürlich tschechische Bücher. Insgesamt sind es etwa 500 Bände. Die Interessenten können sich das Buch auf unserer Webseite aussuchen und am Sonntag gibt es die Möglichkeit, es auszuleihen. Wir kaufen ständige neue Bücher ein. Das Kloster hat natürlich zudem eine wertvolle historische Bibliothek, die etwa 35.000 Bände umfasst. Thematisch geht es um Bücher über Philosophie sowie Geschichte. Außerdem haben wir vielleicht die beste medizinische Bibliothek aus dem 17. Jahrhundert. Um diese Bände kümmert sich ein Bibliothekar. Die Arbeit am Katalog dauert lange, weil es an Leuten und natürlich an Geld mangelt.“Im Raum am Ende des Flurs findet man auf dem Gestell anstelle von Büchern Stapel von Textilien. Der Raum dient den Sozialdiensten: Jeden Samstagvormittag kommen etwa 40 Obdachlose vorbei, um Essen und oft auch ein geeignetes Kleidungsstück abzuholen. Und nicht zuletzt kommen sie, um mit jemandem ein bisschen plaudern zu können, sagt Bruder Juan.
Die Führung durch das Kloster setzen wir durch mehrere kleinere Räume fort, die meistens wie Mini-Schulklassen eingerichtet sind. Auf den Türen der Klassen lese ich Namen, die mir bis auf einige Ausnahmen kaum bekannt sind.
„Alle Räume im Kloster tragen spezielle Namen – meistens sind es Städtenamen – wie hier beispielsweise Cassiaco. Das ist eine Stadt, wo der heilige Augustin studiert hatte. Die Namen der Räume haben immer eine Beziehung zum heiligen Augustin. Hier wird gerade Tschechisch für Ausländer unterrichtet.“ Im numidischen Madaura trifft wiederum regelmäßig die spanisch sprechende Gemeinschaft zusammen, ließ ich mir erklären. Den Raum dominiert ein Bild der Madonna von Guadeloupe. Aus den Fenstern sieht man in den Klosterhof mit seiner Sonnenuhr. Dies sei aber keine Originaluhr, sagt Juan Provecho. Der gegenüber liegende Teil der Klosteranlage wurde vom Orden vermietet, und der Mieter wird hier wahrscheinlich ein Hotel errichten. Im Hof ließ er nach einem Vorbild aus dem 17. Jahrhundert eine Sonnenuhr malen. Der Hof ähnelt einem Museum, denn hier wurden einige Überreste der ursprünglichen Klosterarchitektur platziert, die die Archäologen in den Kellerräumen gefunden hatten. Das größte Bauelement stammt aus der Zeit von Karl IV..Die Führung durch das St. Thomas-Kloster werden wir im nächsten Spaziergang fortsetzen. Auch heute haben wir für Sie eine Quizfrage vorbereitet, für deren richtige Beantwortung Sie ein Buch über Prag gewinnen können. Die Niederlassung der Augustiner wurde im 13. Jahrhundert von König Wenzel II. gegründet. Falls Sie wissen, welcher Dynastie dieser König angehörte, können Sie es uns schreiben. In vier Wochen werden wir aus den richtigen Antworten einen Gewinner auslosen und mit einem Buch belohnen. Ihre Zuschriften richten Sie bitte an Radio Prag, Vinohradská 12, PLZ 120 99 Prag 2.
Die richtige Antwort auf unsere Frage vom Dezember lautet: Die bekannte Oper von Jaromir Weinberger heißt Schwanda, der Dudelsackpfeifer. Ein Buch geht an Anne Faust aus Kaiserslautern.