Kirche Maria vom Siege: Barockjuwel als Erinnerung an die Schicksalsschlacht
Die Schlacht am Weißen Berg, in der am 8. November 1620 die Truppen der kaiserlichen Armee und der Katholischen Liga das Heer der böhmischen Stände besiegten, war eine Zäsur. Sie beeinflusste für fast 300 Jahre die Entwicklung der Böhmischen Länder. Der rebellische Adel wurde in hohem Maße enteignet, vor allem aber war es vorbei mit der religiösen Toleranz. Unter anderem sollten die barocke Malerei und Architektur dazu beitragen, den katholischen Glauben zu verherrlichen und den Protestantismus aus dem Bewusstsein der Bevölkerung zu verdrängen. Ein Beispiel für dieses Konzept ist die Kirche Maria vom Siege auf dem Weißen Berg, ihre Entstehung ist eng verknüpft mit der Schicksalsschlacht.
Kirchenareal am weißen Berg: Ein Ort voller Geschichte und Entspannung
Die Barockkirche Maria vom Siege ist Teil des Wallfahrtsorts, der unweit des Schlachtfeldes im Prager Westen errichtet wurde. Er liegt nahe der stark befahrenen Karlsbader Straße – und zwar auf der rechten Seite, wenn man stadtauswärts schaut. Betritt man aber den Innenhof des Kirchenareals durch das dekorative südliche Portal, entkommt man dem Lärm. Dort umgibt uns eine wohltuende Stille, und man kann ungestört in die Besichtigung dieses architektonischen Juwels eintauchen. Seit 2007 wird die Pilgerstätte von Benediktinerinnen bewohnt. Sie hauchen ihr die Atmosphäre einer seltsamen Harmonie zwischen Vergangenheit und Gegenwart ein, die zweifellos jeder Besucher spüren wird. Näheres über die Entstehung und die wechselhafte Geschichte des Barockbaus erzählt der Kunsthistoriker Jan Royt.
„Der herrliche Komplex des Wallfahrtsortes wurde in der Nähe des Schlachtfeldes errichtet. Eine große Rolle in der Schlacht spielte der Beichtvater des Heeres der Katholischen Liga, der Karmeliter Dominicus à Jesu Maria. In der Kapelle des Schlosses Štěnovice (Auf Deutsch Stienowitz, Anm. d. Red.) fand er im April 1620 das Bild ‚Anbetung Christi‘, auch Gnadenbild ‚Maria vom Siege‘ genannt. Es war von Protestanten geschändet worden, sie hatten der Mutter Gottes, dem heiligen Josef und den Hirten die Augen ausgestochen. Dominicus nahm das Bild mit nach Prag. Als die katholischen Heerführer zögerten, ob sie überhaupt in die Schlacht ziehen sollten, rief er sie mit dem Bild in der Hand vehement zum Kampf und zur Rache an den ‚Ketzern‘ auf. Das Gefecht dauerte anderthalb Stunden, und sein letzter Akt spielte sich an der Mauer des Lustschlosses Stern ab. Bei der Schlacht fielen, unterschiedlichen Quellen zufolge, zwischen 2000 und 6000 Soldaten. Die Todesopfer mussten danach begraben werden, ebenso die später gefundenen Gebeine, als hier landwirtschaftliche Arbeiten durchgeführt wurden. Deshalb wurde schon 1622 entschieden, eine Kapelle zu bauen, die eigentlich ein Beinhaus sein sollte. Der Prager Erzbischof Jan Lohelius initiierte eine Sammlung für den Bau dieser Kapelle.“
Die schlichte Kapelle wurde 1624 fertiggestellt und dem heiligen Wenzel als böhmischem Landespatron geweiht. Bereits vier Jahre später wurde ganz in der Nähe auf Veranlassung von Kaiser Ferdinand II. mit dem Bau eines Klosters für den Servitenorden begonnen. Dessen Kirche sollte an den ruhmreichen Sieg der kaiserlichen Armee und der katholischen Kirche erinnern. Das Kloster wurde jedoch nicht fertiggebaut, das lag vor allem am Wassermangel. Der unvollendete Bau wurde 1673 von den Serviten verkauft. Und in einem Teil davon wurde ein Wirtshaus namens „Große Schenke“ eröffnet. Die Aufmerksamkeit der Wohltäter richtete sich nun wieder auf die bestehende, bereits stark heruntergekommene Kapelle, die 1634 von den Schweden erheblich zerstört wurde. Natürlich wollten sie an jenem Ort, der an den Triumph der Katholiken erinnern sollte, ein prunkvolleres Heiligtum entstehen lassen.
Katholiken wollen Sieg am Weißen Berg mit prunkvollem Heiligtum krönen
„Im Jahr 1704 beschloss der bayerische Maurer Michael Hagen, die Kapelle zu renovieren und gleichzeitig zu erweitern. Sie wurde ebenfalls dem heiligen Wenzel geweiht. In den Jahren 1705 und 1706 wurde die Kapelle um ein achteckiges Presbyterium mit niedriger Kuppel ergänzt. Dieser Bau war bereits der Maria vom Siege gewidmet, und das bedeutete einen Umschwung. Die neue Kapelle wurde vom Prager Weihbischof Vit Seipel geweiht. Im Innern standen Statuen böhmischer Provinzpatrone, und 1708 kam eine Kopie des Gnadenbildes hinzu. Es war die Kopie jenes Bildes, das angeblich von Protestanten entehrt wurde. Die Bauarbeiten an der Kapelle waren jedoch noch längst nicht abgeschlossen. An der Südseite des Presbyteriums wurde 1710 die Kapelle der heiligen Rosalia hinzugefügt. Sie wurde 1728 umbenannt und dem heiligen Felicianus gewidmet, nachdem die sterblichen Überreste dieses römischen Märtyrers hierher überführt wurden. 1712 entstand an der Nordseite des Presbyteriums die Kapelle des heiligen Hilarius. Der Außenbereich wurde um vier Eckkapellen ergänzt. Sie wurden den böhmischen Landespatronen geweiht, und zwar dem heiligen Adalbert, der heiligen Dreifaltigkeit, dem heiligen Johannes von Nepomuk und dem heiligen Wenzel.“
Die Bauarbeiten erfolgten laut Jan Royt also in mehreren Schritten, bevor der Wallfahrtsort sein heutiges Aussehen erhielt. Zugleich zeigte sich bald, dass das ursprüngliche Projekt zu bescheiden geplant worden war. Zum Beispiel hatte die zentrale Kapelle eine Kuppel, die bald nicht mehr herausragte, sie war einfach zu niedrig. Das bringt uns zu der Frage, wer überhaupt die einzelnen Gebäude entworfen hat.
„Es scheint, dass die erste Phase beim Bau der Kapelle vom Maler Christian Luna geleitet wurde. Einige Forscher halten ihn sogar für den Architekten des gesamten Komplexes. Ich persönlich glaube das aber nicht, sondern schließe mich der Meinung meines Kollegen Mojmír Horyna an, der ein hervorragender Kenner der Barockarchitektur war. Er schrieb die neue Kuppel von 1714 dem berühmten Baumeister Giovanni Santini zu – sowie die Eckkapellen und den Umgang. Hier besteht also ein gewisser und schon lange andauernder Meinungsstreit zwischen den Forschern.“
Die neue Zentralkuppel der Kirche mit dem hohen Tambour dominierte dann eindeutig das gesamte Areal. Und sie zeugt mit ihren Formen von der Meisterschaft ihres Schöpfers. Das Innere der Kirche wurde nicht weniger schön ausgestaltet.
„Die Ausschmückung ist wirklich sehr opulent. Am Eingang zur Zentralkirche befindet sich ein Relief, das den Aufbruch der Truppen in die Schlacht darstellt. Im Vordergrund steht Dominicus à Jesu Maria. Über dem Relief befindet sich eine Statue des heiligen Wenzel. Interessant ist auf jeden Fall die zentrale Kuppel mit einem wunderschönen Deckengemälde des berühmten bayerischen Malers Cosmas Damian Asam. Das Gemälde zeigt den Triumph des katholischen Glaubens über die Häretiker, gemeint sind die Kalviner und Lutheraner. Diese Feinde der katholischen Kirche werden von den Rädern eines Triumphwagens zermalmt. Die Räder des Wagens tragen das Wappen der Habsburger und das Wappen des bayerischen Herzoges Maximilian, am Himmel vervollständigen Maria und die böhmischen Landespatrone die ganze Szene. Das Deckengemälde in der Kapelle des heiligen Felicianus ist das Werk des Malers Wenzel Lorenz Reiner. Es zeigt eine Szene vom Beginn der Schlacht am Weißen Berg, und erneut ist der betende Dominicus à Jesu Maria zu sehen. Szenen von der Schlacht schmücken auch die Decke der Hilariuskapelle, sie wurde vom bayerischen Maler Johann Adam Schöpf geschaffen. Auf dem Hauptaltar finden wir das Gnadenbild. Es wurde 1708 in Rom als Erinnerung an den wundersamen Beistand Marias in der Schlacht am Weißen Berg gemalt. Es handelt sich aber um eine Kopie, weil das Original gestohlen wurde.“
Kreuzgang widerspiegelt Querschnitt aus Marianischem Atlas
Im Laufe der Zeit wurden dem Komplex weitere Gebäude hinzugefügt, wie zum Beispiel 1717 das Priesterhaus, das heute die Benediktinerinnen bewohnen. Auf der Südseite des Areals wurde um das Jahr 1735 die Heiliggrabkapelle errichtet. Um den gesamten Komplex führt ein Kreuzgang. Die Gemälde an seinen Wänden und in den Kuppeln enstanden zwischen 1730 und 1740.
„Bedeutsam ist die Dekoration des Kreuzgangs, es ist eine Art kleiner Marianischer Atlas. Sein Schöpfer stützte sich im Grunde auf das Werk ‚Atlas Marianus‘ des bayerischen Jesuiten Wilhelm Gumppenberg, das ein vollständiges Inventar aller europaweit existierenden Mariengnadenbilder und -statuen präsentiert. Die Wände des Kreuzganges sind mit Malereien verziert, die Szenen aus dem Leben Maria und Jesu darstellen. In den Gewölbekuppeln sind die Gemälde der marianischen Wallfahrtsorte abgebildet. Nach Ansicht der deutschen Forscherin Johanna von Herzogenberg sind diese Marianischen Atlasse typisch für Böhmen, denn sie lassen sich nirgendwo anders finden. Der Marianische Atlas am Weißen Berg ist dabei der umfangreichste. Er umfasst nicht nur die Wallfahrtsorte in Böhmen und Mähren, sondern auch im Ausland, wie zum Beispiel Mariazell, Altötting, Einsiedeln oder Neukirchen beim Heiligen Blut. Zudem lassen sich die Mariengnadenbilder aus Ettal, Landshut, vom Tegernsee oder aus Sossau bei Straubing sehen. Es handelte sich also um eine internationale Angelegenheit, als ob man darauf aufmerksam machen wollte, in welchem Kontext die Verehrung der Maria auf dem Weißen Berg steht.“
Anfangs waren im Kreuzgang auch Beichtstühle, damit die Pilger wie üblich ihre Beichte ablegen konnten. Innerhalb des Areals wuchsen zudem Linden. Des Weiteren wurde 1716 ein etwa 40 Meter tiefer Brunnen ausgehoben, der ein bewundernswertes Werk ist. Insgesamt wurde hier eine für Böhmen typische Gnadenstätte geschaffen, ähnlich jener beispielsweise auf dem Heiligen Berg bei Příbram / Freiberg in Böhmen. Ihr Bestand war jedoch in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ernsthaft bedroht.
„Was fast zu einer Tragödie wurde, und das nicht nur für den Wallfahrtsort am Weißen Berg, waren die Reformen von Kaiser Joseph II. Dadurch kam es 1785 zur Auflösung der Pilgerstätte. Glücklicherweise wurde sie 1811 vom Kanoniker St. Vitus Joseph Czapek aufgekauft. Er ließ den gesamten Komplex kostspielig renovieren. Ab 1828 kümmerten sich die Benediktinermönche aus Břevnov um den Wallfahrtsort. Das Goldene Zeitalter kam erst nach 1989, als die Benediktiner begannen, das Areal für wahrhaft spirituelle Zwecke und zur Seelsorge zu nutzen. So richtig zum Leben erweckt aber wird der Ort seit 2007 durch die Benediktinerinnen der Kommunität Venio. Mittlerweile ist es ein wunderschönes Kloster. Ich habe wirklich noch nichts gesehen, was neben dem Trappistenkloster im westböhmischen Nový Dvůr besser erneuert wurde als das Kloster am Weißen Berg.“