Entdeckung: Romanische Rotunde im Universitätsgebäude

Foto: Martina Schneibergová

Denkmalschützer waren eigentlich überzeugt, dass vor mehr als 300 Jahren die St.-Wenzel-Rotunde auf dem Kleinseitner Ring abgerissen wurde. Damals entstand an ihrem Ort ein Barockgebäude. Nun wurde das Haus instandgesetzt, und siehe da: Es fanden sich noch Fragmente des Sakralbaus aus dem 11. Jahrhundert.

Das Barockgebäude steht neben der Nikolauskirche auf dem Kleinseitner Ring. In den Jahren 1674-1691 ließen die Jesuiten es errichten. Nach der Auflösung des Ordens im Jahr 1773 wurde das Haus umgebaut. Nach der Gründung der Tschechoslowakei 1918 nutzte das Finanzministerium die Räumlichkeiten. Heute gehört das Gebäude der Karlsuniversität. Die Fakultät für Mathematik und Physik hat dort ihren Sitz. Bei der jüngsten Instandsetzung des Barockhauses wurden im Erdgeschoss Fundamente einer romanischen Kirche gefunden. Martin Vlach ist Prodekan der Fakultät für Mathematik und Physik:

Foto: Martina Schneibergová
„Seit dem Jahr 2000 wurde das Haus gründlich renoviert. Es wurde viel Schutt ausgehoben, und dabei wurden vor zwölf Jahren Fragmente der St.-Wenzel-Rotunde gefunden.“

Erst vor kurzem wurde der Ort, an dem sich die Baufragmente befinden, der Fachöffentlichkeit gezeigt. Vom Haupteingang in das Fakultätsgebäude geht es weiter geradeaus, bis man auf der rechten Seite vor einer mächtigen Tür steht. Diese führt in den Raum mit einer Dauerausstellung, in der die romanischen Baufundamente zu sehen sind. Ein Team von Archäologen hat mehrere Jahre lang an dem Ort gearbeitet, mit feinen Pinseln beseitigten die Experten die Tonschichten – Zentimeter für Zentimeter. Jarmila Čiháková hat die archäologischen Forschungen geleitet:

Foto: Martina Schneibergová
„Es war bekannt, dass es hier irgendwo eine Rotunde gegeben haben muss. Sie war sogar in einigen historischen Dokumenten von Anfang des 17. Jahrhunderts abgebildet. Wir waren dabei, als der Schutt aus diesem Raum durch die Decke weggeschafft wurde. Bis in die Höhe der ersten Etage war der Raum zugeschüttet. Es gab hier damals keinen Eingang. Als sich dann zeigte, dass die Mauern rund sind, war klar, dass es sich um die Rotunde handelt. Die Bauarbeiten wurden abgebrochen, und wir Archäologen haben uns dann an die Arbeit gemacht.“

Bodenfliesen mit Löwen und Greifen

Der heilige Wenzel wurde 929 ermordet. Die Rotunde, die ihm geweiht wurde, wurde etwa 150 Jahre später erbaut. Von der romanischen Kirche sind vor allem Teile der Bodenfliesen erhalten.

Foto: Martina Schneibergová
„Die Bodenfliesen sind ein sehr spezifischer Fund. Wir wissen, dass sie von Ende des 11. Jahrhunderts stammen. Und das ist auch das Alter der Rotunde, die als hiesige Pfarrkirche gedient hat.“

Die Fliesen liegen so da, wie sie die Handwerker vor fast 1000 Jahren gelegt hatten. Sie haben drei verschiedene Formen. Besonders auffallend sind die sechsseitigen Fliesen, auf denen Löwen und Greife dargestellt sind. Es könnte sogar sein, dass auch der erste Přemyslidenkönig Vratislav I. diesen Fußboden betreten hat.

Foto: Martina Schneibergová
Die Archäologen waren auch vom Fund eines Fensterteils aus Sandstein überrascht. Dieser ist aber älter als die Rotunde selbst und beweist, dass sie anstelle einer älteren kleinen Kirche erbaut wurde. In der Dauerausstellung ist auch tatsächlich ein Kreis aus bearbeiteten Steinen zu sehen, der vermutlich das Fundament dieses älteren Sakralbaus war. Die Kirche wurde wahrscheinlich schon kurz nach dem Tod des heiligen Wenzel erbaut. Die Archäologen fanden aber noch ältere Baufragmente:

„Am ältesten ist das, was sich unter dem Fußboden befand. Ein Meter unter dem Boden fand sich eine etwa 30 Zentimeter dicke Schicht, die in der Zeit zwischen Anfang des 9. Jahrhunderts und Mitte des 10. Jahrhunderts entstanden ist. In dieser Schicht fanden wir Fragmente von sieben Holzbauten, die an diesem Ort standen. Wir stellen uns nun die Frage, ob sich hier nicht eine Kultstätte für heidnische Rituale befunden hat.“

Foto: Martina Schneibergová
Die Rotunde, deren Fundamente im Universitätsgebäude zu sehen sind, ist mit den anderen Prager Rotunden vergleichbar. Archäologin Jarmila Čiháková:

„Es war derselbe architektonische Typ wie die bis heute stehende St.-Martins-Rotunde auf dem Prager Vyšehrad, die Rotunde des Heiligen Kreuzes in der Altstadt oder die St.-Longinus-Rotunde in der Straße Na rybníčku. Die Besucher können sich anhand einer Computer-Simulation eine Vorstellung davon machen, wie der Sakralbau ausgesehen hat.“

14.000 Keramikfragmente zusammengesetzt

Foto: Martina Schneibergová
Bei den Ausgrabungen im Uni-Gebäude haben die Archäologen auch rund 14.000 Keramikfragmente entdeckt, 18.000 Fragmente von Tierknochen, über 200 Erzeugnisse aus Tierknochen und zahlreiche weitere Sachen.

Tomáš Rafl ist Maler und Restaurator. Er hat die neue Dauerausstellung über die Rotunde gestaltet:

„An diesem Ort ist am wertvollsten die Verflechtung der Epochen. Es gibt hier vorromanische Fragmente, daneben die Fundamente der romanischen Rotunde, aber auch Mauern aus der Barockzeit. Besonders wertvoll sind natürlich die Bodenfliesen. Es handelt sich um den dritten Fund dieser Art auf tschechischem Boden. Die ersten Fliesen wurden in der Laurentius-Kirche auf dem Vyšehrad gefunden. Der zweite Fund stammt aus dem Benediktinerkloster Ostrov bei Davle. Interessant ist, dass die Fliesen auf dem Vyšehrad mit mehrer Motiven als die hiesigen verziert waren – unter anderem mit einer Sphinx und mit einem Porträt von Kaiser Nero.“

Für die Dauerausstellung hat der Restaurator auch Repliken von Fliesen angefertigt. Sie liegen dort, wo die Originale fehlten.


Die Fundamente der Rotunde sind nur zu besonderen Gelegenheiten zu sehen, weil sie sehr wertvoll sind. Die Universität will sie beispielsweise bei der nächsten Museumsnacht der Öffentlichkeit zeigen.