Die Schiffbarmachung der Moldau
Mit dem Schiff von Prag bis zur südböhmischen Landeshauptstadt Budweis. Viele Jahrhunderte war das nur ein unerreichbarer Traum, in wenigen Jahren wird dieser Traum aber vielleicht schon Realität. Entsprechende Bauarbeiten haben an einigen Orten schon begonnen.
Die Moldau ist der längste und bekannteste Fluss Tschechiens. Sie entspringt inmitten des Böhmerwalds. Von dort fließt sie zunächst in südöstlicher, dann aber in nördlicher durch das ganze Land über Prag bis nach Mělník, wo sie in die Elbe mündet. Seit langem diente die Moldau als wichtiger Verkehrsweg: so wurden an vielen Orten Baumstämme auf Flösse gebunden und stromabwärts, vor allem nach Prag, geschickt. Dies geschah noch bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Heute leben nur noch wenige Zeitzeugen, die sich an die letzte Phase der Moldau-Floßfahrt erinnern.
Mit der Industrialisierung wurde der Fluss auch für den Güter- und Personenschiffsverkehr genutzt. Als erstes selbstverständlich im Unterlauf, bald aber auch immer weiter stromaufwärts. Der erste Entwurf für die Schiffbarmachung der Moldau von Budweis bis nach Mělník stammt aus dem Jahr 1894, von dem budweiser Unternehmer Vojtěch Lanna. 15 Jahre später - am 12. Mai 1909 - schrieb das Südböhmische Blatt:
"Die Handels- und Industriekammer ruft das k.u.k. Handelsministerium in Wien dazu auf, unverzüglich ein Projekt zur Schiffbarmachung der Moldau bis nach Budweis zu erstellen. Der Mittelabschnitt des Flusses muss zur Schiffart vorbereitet sein, sobald die Moldau in Prag kanalisiert sein wird. Die Kammer fordert auch das Ministerium auf, den Gesetzentwurf für die finanzielle Sicherung der Wasserwege dem Reichsrat so schnell wie möglich vorzulegen, damit die notwendigen Bauarbeiten an den Ufern spätestens bis 1912 durchgeführt werden können."
Diesem Aufruf schlossen sich alle damaligen Budweiser Unternehmer an. Sie argumentierten unter anderem damit, dass die Moldau im Jahr 1901 per Gesetz zum öffentlichen Verkehrsweg erklärt worden war.
Die Umsetzung der Idee war jedoch äußerst schwierig. Vor allem im Mittelabschnitt des Flusses gab es zahlreiche Stellen mit riesigen Gesteinsbrocken und hohen Felsen an beiden Ufern. Diese jagten den Flössern nicht nur Angst ein, vielen von ihnen raubten sie gar das Leben.
Erst in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts wurde beschlossen, insgesamt neun Staudämme aufzubauen. Allerdings aus einem ganz anderen Grund: der Staat wollte vor allem die Wasserenergie nutzen. Die Schifffahrt stand nicht mehr im Mittelpunkt. Deshalb wurden alle Staudämme als Wasserkraftwerke projektiert und nur zwei von ihnen - Vrané und Štěchovice - mit Kammerschleusen ausgestattet. Sie befinden sich nahe der Hauptstadt Prag, wo der Fluss auch damals schon für die Freizeitschifffahrt genutzt wurde. Weitere Pläne zur Schiffbarmachung der Moldau wurden für gut ein halbes Jahrhundert wieder beiseite gelegt.
Als aber nach der Samtenen Revolution der Touristenverkehr einen großen Aufschwung erlebte, forcierten die südböhmische Landesregierung und die Stadt Budweis die Pläne erneut. Ihre Initiative ging nicht leer aus. Im vergangenen Jahr begann der Staat mit der ersten Etappe der Bauarbeiten. Es handelt sich um den Abschnitt zwischen Budweis und Hluboká nad Vltavou, wo sich ein viel besuchtes Schloss befindet. Anschließend soll der schiffbare Abschnitt bis Týn nad Vltavou, etwa 20 Kilometer weiter stromabwärts, verlängert werden. Die Schiffart sei ein neuer Impuls für den Touristenverkehr, sagt die stellvertretende Bürgermeisterin von Budweis, Ivana Popelová:
"Der Stadtkern von Budweis ist über das Wochenende beinahe menschenleer. Es gibt hier nur wenige touristische Sehenswürdigkeiten, die zum wiederholten Besuch locken könnten. Die Bewohner fahren hinaus in die Natur, und die Touristen sind mit der Stadtbesichtigung nach einem Tag fertig. Die Schifffahrt wird unserer Überzeugung nach für beide Gruppen attraktiv sein. Man kann sich mit dem Fahrrad nach Hluboká mitnehmen lassen und den Fluss entlang zurückradeln, oder einfach nur den Schiffsverkehr an zwei Aufziehbrücken beobachten. So etwas gab es hier eigentlich nie und ich glaube, das wird auch für die Einheimischen sehr interessant sein."
Bauarbeiten werden derzeit vor allem rund um die historische Lanna-Schiffswerft durchgeführt. Hier entsteht der Haupthafen, in dem die Schiffe ihre Endstation haben sollen. Die Kosten für diesen Hafen belaufen sich auf nicht einmal eine Million Euro, die zum größten Teil von der EU bezahlt werden. Deshalb fürchten die Stadtbeamten auch in Zeiten der Finanzkrise keine Gefährdung des Bauprojekts.
"Die Stadt Budweis finanziert nur den Ausbau der Zufahrtswege, der öffentlichen Beleuchtung und von Gemeinschaftsräumen für Besucher. Es handelt sich eigentlich um triviale Angelegenheiten. Wir bereiten auch eine Verkehrslösung vor, denn den Prognosen zufolge wird die Zahl der Autos rund um den Hafen zunehmen. Hier müssen wir natürlich mit höheren Kosten rechnen - zirka 6 Millionen Euro. Es ist jedoch zu erwarten, dass auch diese Finanzmittel teilweise bei den EU-Fonds beantragt werden können. Darüber hinaus bemühen wir uns auch einen Zuschuss für den Ausbau des Hafens in České Vrbné zu erhalten. Dort ist ein Abstellplatz sowohl für Privat- als auch Linienboote geplant. Wir halten den Ort auch für eine Haltestelle des Linienverkehrs geeignet, weil er sich nahe der größten budweiser Siedlungen befindet."
Der schiffbare Abschnitt soll ins Stadtzentrum von Budweis bis an die ehemaligen Stadtmauern führen. Der Hafen entsteht im Altwasser des Flusses Maltsch, zu Fuß etwa fünf Minuten vom Marktplatz entfernt. Dazu sind aber noch eine ganze Reihe an Bauarbeiten nötig. Es geht vor allem um die beiden schon erwähnten Aufziehbrücken bei der Einfahrt in den Hafen, zwei neue Kammerschleusen, die Erneuerung einiger Wehre und die Einrichtung eines Bootverleihs. Die meisten dieser Bauten sollen in den nächsten zwei Jahren vollendet werden.
Der Staat beabsichtigt in Zukunft, den südlichen Flussabschnitt mit dem schon schiffbaren Teil der Moldau rund um Prag zu verbinden. Nicht alle Bewohner der südböhmischen Region sind jedoch von dieser Investition begeistert. Die Kosten belaufen sich auf insgesamt etwa 150 Millionen Euro, die von der Europäischen Union und dem tschechischen Staatshaushalt getragen werden müssen. Skeptiker weisen darauf hin, dass sich die finanzielle Effektivität dieser Aktion nicht bestimmen lässt und dass die Region andere Prioritäten braucht - zum Beispiel die Renovierung von Strassen. Die stellvertretende Bürgermeisterin von Budweis, Ivana Popelová, entgegnet diesen Einwänden:
"Es handelt sich um die Finanzmittel, die für Wasserwege reserviert sind. Zu einem anderen Zweck dürfen sie nicht verwendet werden. Statt der Moldau könnte man dafür nur einen anderen Fluss kanalisieren - so legen es die Regeln der europäischen Fonds fest. Deshalb bin ich froh, dass wir dieses Geld für unsere Region gewonnen haben. Darüber hinaus verstärkt diese Investition den Touristenverkehr, was wieder neue Einnahmen bringt. Die Renovierung der Strassen ist für uns auch wichtig, sie bringt uns jedoch in Zukunft keine weiteren Einnahmen."
Wann die Investitionen aber in die Haushalte von Staat und Stadt zurückfließen werden, das wagt niemand genau vorherzusagen.