"Die Situation verschärft sich beständig" - Altersheime in Prag

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Den Lebensabend so lange wie möglich in der gewohnten Umgebung verbringen zu können, das ist wohl der Wunsch der meisten älteren Menschen. Wenn die Senioren eine intensivere Betreuung brauchen, die Familie oder mobile Pflegedienste nicht mehr leisten können, ist aber oft das Altersheim eine Lösung. Hier einen Platz zu finden, ist in der tschechischen Hauptstadt allerdings nicht einfach - die Wartezeiten für Prager Heime betragen bis zu zehn Jahre. Mehr dazu in der folgenden Ausgabe unserer Sendereihe Forum Gesellschaft mit Thomas Kirschner.

Für die Vergabe der Plätze in den Prager Altersheimen ist der Magistrat der Stadt zuständig. Das Prozedere erläutert die zuständige Stadträtin Hana Halova.

"Jeder Senior, der einen Platz in einem Altersheim braucht, muss sich je nach seinem festen Wohnsitz an das zuständige Gemeindeamt wenden. Dort hilft man ihm dann, einen Antrag zu schreiben, und diesen Antrag bekommen dann wir in der Magistratsabteilung für Soziales und Gesundheit. Unsere Mitarbeiter erkundigen sich dann über den Gesundheitszustand des Antragstellers und die Begleitumstände. Und natürlich versuchen wir auch, Alternativen anzubieten wie etwa teilstationäre Pflege oder mobile Pflegedienste."

Das Aufzeigen von Alternativen ist schon aus Kapazitätsgründen notwendig: Die Stadt Prag verfügt über rund 3500 Heimplätze, davon knapp 1000 in so genannten "Pensionen" für betreutes Wohnen. Dem stehen derzeit allerdings rund 13.000 Prager Senioren gegenüber, die einen Antrag auf einen dieser Plätze gestellt haben. Die durchschnittliche Wartezeit beträgt vier Jahre, kann aber je nach der Beliebtheit oder der Art der Einrichtung auch deutlich länger sein, erklärt die Prager Stadträtin Hana Halova.

"Für die Pensionen gibt es die längsten Wartezeiten, so etwa acht bis zehn Jahre. Denn die Pensionen bieten eigentlich eigenständige kleine Wohnungen, in den Senioren ganz normal wohnen können, und das ist natürlich etwas anderes als die Altersheime, die einen etwas anderen Charakter haben."

Bearbeitet werden die Anträge nach der Dringlichkeit. Problematisch ist, dass die Nachfrage nach den Heimplätzen von ungelösten Problemen aus anderen Bereichen des Sozialwesens belastet wird. So etwa haben viele Senioren, die privat zur Miete wohnen, große Sorge vor der geplanten Freigabe der bislang noch staatlich regulierten Mieten und stellen daher einen Antrag auf einen Platz im Altersheim. Auch die unbefriedigende Situation in den so genannten Krankenhäusern für Langzeiterkrankungen schlägt auf die Altersheime durch, erklärt die Stadträtin Halova.

"Die Situation verschärft sich beständig, das ist im Grunde ein sozial-gesundheitliches Problem. Denn es gibt nur wenige Plätze in Krankenhäusern für Langzeitpflege und wenige Sozialpflegestellen. Also ist es vielfach das einfachste, einen Antrag auf die Unterbringung im Altersheim zu stellen. Und zusammen mit der demographischen Entwicklung, die natürlich auch nicht günstig ist, kommt es eben zu einer steigenden Zahl von Anträgen, und wir haben im Moment keine Möglichkeit, dem zu begegnen und etwa die Kapazitäten zu erhöhen."

Mit der Not der Senioren und der überforderten Angehörigen machen auch Betrüger ihr Geschäft. Die Tageszeitung Mlada fronta Dnes deckte erst vor kurzem den Fall einer vorgeblichen Vermittlerin auf. Gegen entsprechende Bezahlung hatte sie angeboten, ihre angeblichen Kontakte zu den Behörden zu nutzen und Schmiergelder an die zuständigen Beamten weiterzuleiten. Der Preis für einen Heimplatz: 22.500 Kronen, deutlich mehr als ein durchschnittliches Monatsgehalt. Das Abkassieren war aber die einzige Leistung der Betrügerin. Das Geld scheint sie für sich behalten zu haben; für eine Verwicklung von Magistratsbeamten in den Fall gibt es keinen Hinweis. Allein aber die Tatsache, dass einige ihrer "Kunden" auf regulärem Wege innerhalb der versprochenen Frist einen Heimplatz erhalten haben, hat der Betrügerin über Jahre hinweg immer neuen Zulauf von Senioren und Angehörigen gebracht. Auf tatsächliche Korruptionsfälle hat man im Prager Informationszentrum für soziale Dienste KONTAKT keine Hinweise. Die Leiterin des Zentrums, Marie Susterova, weist jedoch darauf hin, dass die Konkurrenz um die Pflegeplätze andere fragwürdige Gepflogenheiten hervorgebracht hat.

"Als Übergangslösung ist es möglich, pflegebedürftige Menschen in einem Krankenhaus für Langzeiterkrankungen unterzubringen. Aber auch die platzen aus allen Nähten. Einige Leute haben daher angefangen, den Krankenhäusern eine finanzielle Spende anzubieten, und dann findet sich plötzlich ein Platz. Darüber bekommen sie eine ordentliche Spendenquittung und das ist keine Korruption, sondern eine wirkliche Hilfe für die Krankenhäuser - aber die besser Verdienenden haben dadurch einen besseren Zugang zur Pflege, und die Krankenhäuser unterstützen dieses Vorgehen, und ich meine, das ist nicht richtig."

Den Grund für die Missstände sieht die zuständige Prager Stadträtin Hana Halova nicht zuletzt in den unzureichenden gesetzlichen Regelungen. Auch in Tschechien ist das Gesundheitswesen reformbedürftig. Und gerade der Bereich Pflege, der mit der zunehmenden Alterung der Gesellschaft weiter an Bedeutung gewinnt, sei in der Gesetzgebung noch nicht ausreichend berücksichtigt, meint Halova. So können Krankenhäuser etwa für akute Behandlungen einen deutlich höheren Satz bei den Krankenkassen abrechnen als für die nachfolgenden Pflegeleistungen - mit ein Grund dafür, dass diese oft an Altersheime abgeschoben werden.

"Leider verhalten sich auch die Institutionen im Gesundheitswesen nach ökonomischen Grundsätzen, und das heißt, dass niemand ein Interesse daran hat, die Zahl der Betten für nachfolgende Pflege zu erhöhen. Ich sage jetzt ´nachfolgende Pflege´, aber eigentlich ist nicht einmal dieser Begriff klar umgrenzt. Das muss erst ein neues Gesetz definieren, und das muss auch klären, welche Pflege hier bereitgestellt werden soll und wie dies finanziert werden kann. Das fehlt bislang, und ich hoffe dass es der Gesundheitsministerin Emmerova gelingt, ein solches Gesetz beschleunigt vorzulegen, damit sich dieser Zustand bessert."

Wie aber kann man alten Menschen helfen, die nicht mehr auf Gesetzesänderungen warten können, sondern jetzt Pflege oder einen Heimplatz brauchen? Marie Susterova vom Informationszentrum für soziale Dienste vermittelt notfalls Kontakte zu Altersheimen im Prager Umland, wo die Chancen auf Unterbringung bedeutend größer sind. Zufrieden ist sie mit dieser Lösung aber nicht. Denn das Wichtigste für alte Menschen sei es, in der vertrauten Umgebung zu bleiben. Deshalb setzt sie sich für eine Flexibilisierung der Pflege und einen Ausbau der mobilen Pflegedienste ein.

Foto: Europäische Kommission
"Ich meine, man sollte das Problem des Alterns und der zunehmenden Pflegebedürftigkeit nicht damit lösen, die alten Menschen ins Altersheim abzuschieben. Vielmehr sollten die häuslichen Pflegedienste weiter gestärkt und ausgebaut werden. In Prag ist das Angebot schon verhältnismäßig gut. Mängel gibt es aber vor allem bei der Unterstützung für Familien mit schwerst pflegbedürftigen Angehörigen, zum Beispiel Alzheimer- oder Schlaganfall-Patienten. Gerade hier kommen die Angehörigen oft physisch und psychisch an die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit."

Am Wichtigsten ist es für Susterova aber, die Menschen über die vielfältigen Unterstützungsangebote zu informieren. Denn die Bereitschaft, die Pflege der Angehörigen zu Hause zu übernehmen, ist in Tschechien auch weiterhin durchaus vorhanden.

"Interessant ist, dass es nach 1989 zwar viele Veränderungen gab und dass die jungen Leute heute viel mehr Rücksicht auf ihre Arbeitsstelle nehmen müssen - und Umfragen trotzdem bestätigen, dass 78 Prozent damit rechnen, sich später um die Eltern zu kümmern. Das zeigt, dass die Bindung an die Familie auch trotz des starken Drucks in der Berufswelt noch weiter existiert, und das ist eine schöne Sache."