Die Suche nach dem Davidstern – Oskar Schindler und Svitavy / Zwittau
Die Stadt Svitavy / Zwittau liegt im böhmisch-mährischen Grenzgebiet, heutzutage gehört sie zum Landkreis Pardubice. Die Aufmerksamkeit der ausländischen Medien hat die einst vorwiegend von Deutschen bewohnte Kleinstadt in den 90er Jahren geweckt. Denn in Zwittau begann die Lebensgeschichte von Oskar Schindler, dem Haupthelden von Spielbergs Film „Schindlers Liste“.
„Die Stadt Svitavy sucht nach ihrer Identität. Denn bis 1945 war sie eine rein deutsche Stadt. Nach der Vertreibung der Deutschen wurde die Stadt neu besiedelt, aber die Menschen haben ihre Wurzeln verloren. Es kamen Menschen, die keine Beziehung zu dieser Region hatten, die Kulturtraditionen sind verloren gegangen. Dies führte auch zum Verfall des Lebens in der Industriestadt Svitavy.“
Die Persönlichkeit des in den 90er Jahren populär gewordenen Zwittauers Oskar Schindler hielt der Historiker von Anfang an für eine gute Chance, Schritte zur tschechisch-deutschen beziehungsweise tschechisch-deutsch-jüdischen Versöhnung in der Region zu unternehmen. Die erste Schindler-Ausstellung von 1994 zeigte, wie Fikejz erzählt, Dokumente aus dem Stadtarchiv sowie Zeitzeugen-Berichte von Juden, die dem Museum unzählige Briefe geschickt haben. Anlässlich des 100. Geburtstags von Oskar Schindler bereitete der Historiker vor einem Jahr eine modernere Ausstellung mit interaktiven Elementen im Stadtmuseum vor. Sie trägt den Titel „Die Suche nach dem Davidstern – Oskar Schindler, der Gerechte unter den Völkern“:
„Wir zeigen hier rund 200 einzigartige Fotos, die die Besucher in vielen Fällen überhaupt zum ersten Mal sehen können. Die Ausstellung betrifft nicht nur Oskar Schindler, sondern wie der Titel ´Die Suche nach dem Davidstern´ andeutet, auch das Schicksal der Juden im böhmisch-mährischen Grenzgebiet. Sie dokumentiert die Entstehung der jüdischen Religionsgemeinden, der Synagogen und Friedhöfe in der Region sowie deren heutigen Zustand. Einige Exponate haben wir auch vom Prager Jüdischen Museum als Leihgabe bekommen. Zu sehen ist hier beispielsweise Bekleidung der Häftlinge aus dem KZ-Lager Groß Rosen, das auch Schindlers Juden passierten. Die Besucher der Ausstellung können unter zwölf Dokumentarfilmen wählen. Sie können Materialien zu Oskar Schindler in tschechischer, englischer und deutscher Fassung bekommen. Außerdem steht in der Ausstellung ein Computer zur Verfügung. Dort finden die Besucher Links auf Internetserver, die sich mit dem Thema Holocaust befassen.“Oskar Schindler wurde am 28. April 1908 in der Iglauer Straße Nr. 24 geboren. Heute heißt die Straße Poličská. Er stammte aus de Familie des Kleinunternehmers Hans Schindler und seiner Frau Františka. Im Museum findet man Fotografien aus Schindlers Kindheit, die einzigartig sind. Radovan Fikejz:
„Diese Ausstellung dokumentiert anfangs einige weniger bekannte Momente aus Schindlers Leben, vor allem die Kinderjahre, die er in Svitavy verbrachte. Er gehörte nicht gerade zu den herausragenden Schülern. Von der Realschule wurde er sogar wegen Fälschung von Schuldokumenten ausgeschlossen. Im Stadtarchiv haben wir einige Dokumente gefunden: Beispielsweise darüber, dass er im Jahre 1924 im Stadtteil Vierzighuben eine Geflügelfarm gründen wollte. Oder sind wir auf ein Lehrbuch von der Grundschule gestoßen, in dem Schindlers Unterschrift zu finden ist. Ausgestellt sind auch Fotos von Schindler, als er 3, 5 und 11 Jahre alt war. Die sind für die Zwittauer ganz neu.“Fikejz beschrieb in der Ausstellung auch Schindlers Schicksal in Krakau, wo er als Treuhänder eine kleine jüdische Geschirrfabrik übernommen hat. Dorthin sei Schindler mit der Vorstellung gegangen, schnell reich zu werden, so der Historiker.
„Bis 1939 hätte man Schindler für einen Kriegsverbrecher halten können, weil er sich an gegen die Tschechoslowakei gerichteten Aktionen beteiligt hat. In Krakau hatte er als junger Unternehmer viele Interessen; ganz besonders gehörten dazu Frauen, Gesang und Wein. Dank seinen Kontakten gelang es ihm, die Produktion in der ehemaligen jüdischen Fabrik in Gang zu bringen. Aus der ´Deutschen Emaillenwarenfabrik´, wie die Firma umbenannt wurde, ist ein florierendes Unternehmen geworden. Zuerst beschäftigte er Polen. Nachdem sich die Situation im Krakauer Ghetto zugespitzt hatte, begann er auch Juden anzustellen. Unter den jüdischen Arbeitern hatte die Fabrik den Ruf einer Zufluchtstätte, denn sie hatten dort deutlich bessere Bedingungen als im Ghetto. Bei der Liquidierung des Ghettos ermöglichte Schindler seinen Juden, in der Fabrik zu bleiben, um sie vor eventuellen Risiken zu schützen.“Die Nachrichten über die Situation in der Fabrik haben sich schnell verbreitet. Durch Schindlers Vermittlung wurden den Juden finanzielle Mittel von zionistischen Organisationen überreicht. Der Historiker dazu:
„Ab 1943 sieht man Schindler in einer anderen Rolle als nur ein reicher Schürzenjäger. Seine Fabrik blühte auf, und die Juden konnten sich dort sicherer fühlen. Da die Juden wegen der SS-Eskorten oft zu spät zur Arbeit kamen, entschied sich Schindler, für seine jüdischen Arbeiter ein kleines Lager in Zablocie unweit der Fabrik zu errichten.“Die weitere Geschichte von Schindler und seinen Juden ist dank der Literatur und dem Film bekannt. Die Entstehung von „Schindlers Liste“ oder eher Listen ist nach Meinung des Historikers ein wenig rätselhaft: Als sich die Ostfront näherte, entschieden sich die Nazis, viele Lager samt ihren Häftlingen zu liquidieren. Schindlers Fabrik wurde geschlossen. Er musste die grundlegende Frage lösen: Entweder konnte er die Häftlinge ihrem Schicksal überlassen und in ein neutrales Land flüchten. Oder er konnte versuchen, die Fabrik samt Arbeitern ins Binnenland zu übertragen. Schindler entschied sich für die Übersiedlung ins Binnenland. Damals begannen die Vorbereitungen für die berühmte Liste mit Namen von etwa 800 Männern und 300 Frauen, die zum Transport zum neuen Ort bestimmt waren. Schindler habe selbst Namen in die Listen erst in der Endphase eingetragen. Zuerst wurde die Liste von den Juden selbst zusammengestellt, sagt der Historiker.
„Schindler hat nicht nur die etwa 800 Männer und 300 Frauen gerettet, die nach Brünnlitz gebracht wurden. Schindler hat auch in anderen individuellen Fällen mehreren Juden geholfen. Die Schindler-Juden, wie seine Arbeiter genannt wurden, sagten später: Er war unser Vater, er war unsere Mutter, er war der Gott. Die Juden selbst sagen, es sei unwichtig, aus welchen Beweggründen es Schindler gemacht hat. Wichtig sei, dass er es gemacht hat, so die Zeitzeugen. Darin besteht sein Verdienst. Er hatte die Möglichkeit, 1944 in die Schweiz zu flüchten. Aber er hat den anderen, unsicheren Weg gewählt.“Die Ausstellung schenkt auch Schindlers Frau Emilie Aufmerksamkeit, die die Juden „Engel von Brünnlitz“ genannt haben. Denn sie hatte dort Juden mit Medikamenten sowie mit Lebensmitteln versorgt.
Schindlers Verdienste waren bekannt, noch bevor der berühmte Film entstanden ist. Simon Wiesenthal schrieb bereits 1945 einen Brief, in dem er auf Schindlers Tat aufmerksam gemacht hat. Schindlers Lebensgeschichte habe die Filmemacher bereits vor Spielberg angezogen, sagt Radovan Fikejz:
„Das Filmunternehmen MGM wollte in den 60er Jahren Schindlers Geschichte verfilmen. Die Hauptrolle sollte Gregory Peck spielen. Das Projekt wurde aus finanziellen Gründen und wegen Urheberrechten nicht verwirklicht. Erst Steven Spielberg verfilmte nach gründlichen Vorbereitungen die Geschichte. Simon Wiesenthal hielt Schindlers Liste für den besten Film über den Holocaust, der je gedreht wurde. Ich habe Respekt gegenüber dem Film weil er von den Erinnerungen der Juden ausgeht. Meiner Meinung nach ist es ein gutes narratives Werk, aber es bietet einen amerikanischen Blick auf den Holocaust. Von der amerikanischen Historiografie, die sich mit Schindler beschäftigt, schätze ich insbesondere die neue Monografie von David Crowe.“Mit Hinweisen auf Spielbergs Film sowie die Literatur zu Schindler ist die Ausstellung in Zwittau abgeschlossen. Unter den Besuchern sind, wie Radovan Fikejz erzählt, oft Schulklassen oder Studenten. Für sie hat er methodische Unterlagen vorbereitet, die sie nutzen können. Besuchen auch Schindler-Juden das Museum in Zwittau?
„1998 haben wir einige der Zeitzeugen hier begrüßt. Damals veranstalteten wir ein Symposium zum 90. Geburtstag von Oskar Schindler. Ich bin seit 1994 inzwischen mit etwa 50 Schindler-Juden persönlich zusammengetroffen. Von ihnen habe ich viel erfahren, alles kann man natürlich nicht veröffentlichen. Auch wenn Schindler eine kontroverse Persönlichkeit war, hat er das gemacht, was er gemacht hat. Er war sich der eventuellen Folgen bewusst, denn er hätte im Gefängnis oder an der Front landen können. Und da hätten auch keine Kontakte mehr geholfen. Schindlers Legende lebt. Wer hören will, hört.“
Fotos: Autorin