Die Übersetzerin Eva Profousová
Übersetzen ist schwer. Literatur übersetzen grenzt schon an Kunst. Im heutigen Kultursalon stellt Ihnen Martina Zschocke eine der derzeit besten Übersetzerinnen aus dem Tschechischen vor: Eva Profousová. Sie übersetzte u.a. Jáchym Topol und Vaclav Havel und schrieb Artikel über tschechische Literatur für verschiedene deutsche und schweizerische Zeitungen.
Nimmt man ein ausländisches Buch zur Hand, sieht man wohl selten zuerst auf den Übersetzer. Sollte man aber! Der Übersetzer hat die Qualität eines Buches in der Hand. Zweifellos. Nicht umsonst hat sich selbst Milan Kundera in einem Essay aufs Ausführlichste über seine Übersetzer beschwert und einigen schlicht das Material entzogen. Andere wiederum helfen einem Buch auf die Sprünge: bringen verwaschene Prosa auf den Punkt und polieren glanzlose Lyrik nach. Übersetzen ist sehr oft selbst literarische Arbeit. Ohne die Übersetzungen von Reiner Kunze wäre die Lyrik Jan Skácels in Deutschland bei weitem nicht so bekannt. Das kann man wohl mit Fug und Recht behaupten.
Ist in Rezensionen tschechischer Belletristik von kongenialen Übersetzungen ins Deutsche die Rede, taucht immer wieder der Name Eva Profousová auf.
Grund genug für mich, sie zu einem Interview einzuladen. Eva Profousová übersetzte u.a. gemeinsam mit Beate Smandek "Die Schwester" und "Nachtarbeit" von Jáchym Topol und von Milos Urban "Die Rache der Baumeister" und gemeinsam mit Katrin Liedtke den "Indianerlauf" von Tereza Boucková. Allein übersetzte sie außerdem die Essays von Vaclav Havel und den "Himmel unter Berlin" von Jaroslav Rudis. Momentan arbeitet sie gerade an einer Übersetzung von Michal Viewegh.
Bei derart vielen Übersetzungen aus dem Tschechischen liegt die Frage nahe, wen sie gern und wen sie weniger gern übersetzt. Sie ist sich da ganz sicher:
"Ach, ich würde schon sehr gerne so Leute wie Topol übersetzen, klar. Das macht einfach Spaß. Da merkt man auch, wenn ein Autor wirklich hundertprozentig mit der Sprache umgehen kann und ich kenne wirklich keinen Anderen, der das genauso gut macht. Dann können sie sich von der Sprache leiten lassen, sie können einfach nur nachfragen, was genau ist da jetzt gemeint und was macht die Figur, aber sprachlich ist alles eigentlich klar. Und das ist bei vielen anderen Autoren so, dass man eigentlich nicht weiß, was für ein Wort sie da gemeint haben, warum sie jetzt dieses Wort gewählt haben. Das ist eigentlich alles sehr zufällig und dann muss man als Übersetzer eine wahnsinnige Arbeit leisten, die eigentlich die Arbeit des Autors ersetzt, wogegen man sich manchmal sträubt, bis man dann das Gefühl bekommt, okay, das kann ja auch Spaß machen, die Bücher nicht umzuschreiben, das nicht, aber man muss dann mehr tatsächlich in das Buch eingreifen als bei einem Autor, der wirklich hundertprozentig weiß, was er macht. Also daher liebend gern weitere Topols oder auch ähnliche Autoren, wenn's die dann gibt, ja."
Nun kann man sich mit einem Text hinsetzen und ihn gleich übersetzen oder ihn erst einmal lesen. Wie geht nun Eva Profousová vor?
"Ich lese alle Bücher vorher mindestens ein Mal und ich suche mir die auch meistens selber aus. Das finde ich, ist das Allerspannendste für mich an der Übersetzertätigkeit, dass ich einfach seit Jahren beobachte, was in Tschechien geschieht und dann habe ich meine Verlage mit denen ich darüber rede, was da jetzt Interessantes ist und ich weiß schon so ungefähr, was wohin passen würde und das macht mir großen Spaß. Und dann hat man einen Autor und dann klappt´s und man kann den übersetzen: das finde ich absolut herrlich.
Und meine Kollegin Beate Smandek, die hat die Bücher zum Beispiel nie gelesen. Das fand ich total irre, aber für sie war es dann wiederum auch stimmig. Das könnte ich nicht machen. Ich glaub also tatsächlich, jeder hat so seinen eigenen Zugang zu der Sache."
Und was sind für sie die Freuden und Schwierigkeiten beim Übersetzen? Was macht sie besonders gern und was würde sie lieber vermeiden?
"Ich glaube, es gibt auch unterschiedliche Arten von Übersetzern und jeder hat so seine speziellen Freuden. Ich habe die größte Freude daran, mich einfach hinzusetzen und die erste Fassung zu schreiben. Das ist so ein bisschen wie Klavier spielen, man sitzt so da und liest das Buch und tippt und ich kann ziemlich schnell tippen und das ist absolut herrlich. Das mag ich sehr gerne. Was ich auch mag, mit der Beate Smandek war das ganz toll, die Texte dann zu besprechen: Sich hinzusetzen und sich stundenlang wegen irgendeinem Satz zu streiten und zu sagen 'Nee, nee, das muss doch ganz anders klingen und da ist doch das und das', bis man dann rausgefiltert hat, was das ist. Das finde ich auch sehr spannend. Was ich nicht so mag ist das Feilen an der Rohübersetzung, was manchmal bedeutet, dass man Tausende von Wörterbüchern wälzt und es hängt sehr stark auch von der Tagesstimmung ab. Manchmal hat man keine Lust, genau zu sein. Man merkt, man muss jetzt hier nachsehen. Das mag ich vielleicht nicht so gerne, aber das ist vielleicht meine eigene Persönlichkeit."
Was ist nun das Spezifische beim Übersetzen vom Tschechischen ins Deutsche?
Gibt es eklatante Unterschiede zwischen beiden Sprachen? Gibt es Worte oder Sinnkonstruktionen, die sich nicht 1:1 übersetzen lassen, frage ich Eva Profousová:
"In letzter Zeit würde ich sagen, dass tatsächlich im Tschechischen viel mehr 'geschwafelt' wird. Aber es gibt tatsächlich wahnsinnig viele Füllwörter, die auch unnötig sind. Es gibt Zusatzdinge. Also wenn man ganz genau aus dem Tschechischen übersetzt, dann heißt es, was weiß ich: 'Er setzte sich in ein Boot hinein.' Aber er könnte ich auch ins Boot setzen, das hinein braucht man nicht. Also immer diese Zusatzanordnungen: wohin und wie. Das ist vielleicht nicht notwendig, das immer zu übersetzen. Es gibt auch im Tschechischen dieses: 'Sie begann zu beschleunigen.' Warum? Also: Sie beschleunigte. Fertig. Ja und dann denke ich, das wird dann manchmal in den Übersetzungen nicht zur Kenntnis genommen, dass man das anders machen könnte."
Eva Profousová schlägt nicht nur Bücher bei Verlagen vor, sie bespricht mitunter auch den tschechischen Buchmarkt - meist in Form von Reportagen - für deutsche und Schweizer Zeitungen, so zum Beispiel für die Süddeutsche Zeitung und die Neue Zürcher Zeitung. Es kommt ihr in erster Linie darauf an, dass diese Bücher im deutschen Sprachraum erscheinen. In gewisser Weise begreift sie sich als Kultur- und Literaturmissionar. So hat sie ein Portrait von den Brüdern Topol geschrieben und im letzten Jahr ein Profil über die neue tschechische Literatur.
Dass sich Eva Profousová derart für die Präsenz Tschechiens in Deutschland einsetzt, liegt in ihrer eigenen Biographie begründet. Sie lebt seit über 20 Jahren in Deutschland. Eva Profousová erzählt, wie es dazu kam.
"Ich bin 1983 weggegangen. Eigentlich ziemlich spontan, obwohl ich das immer geplant habe. Ich habe mir das eigentlich gar nicht zugetraut. Ich bin dann 1983 nach Hamburg gekommen - eigentlich durch meinen Exfreund in Jugoslawien, der mir gesagt hat, also wenn man das machen will, dann muss man das jetzt machen und dann habe ich mich innerhalb von einer Nacht entschlossen. Ich hatte damals schon angefangen an der Karls-Uni zu studieren und eigentlich wollte ich da nicht weg, weil ich das sehr spannend fand. Ich habe Englisch und Deutsch studiert und ich dachte, das wäre irgendwie schön, aber dann war es eine Entscheidung, die man innerhalb von einer Nacht getroffen hat und dann war ich in Hamburg und stellte fest, dass ich mein Abi nachmachen muss und dann habe ich mein 2. Abitur gemacht. Dann habe ich angefangen in Hamburg Osteuropäische Geschichte, Slawistik und Russistik zu studieren. Und ich habe mich dann eigentlich mehr auf Russisch spezialisiert und habe meine Magisterarbeit über Nabokov geschrieben. Ich habe dann noch ein Jahr in Schottland studiert: Tschechische Literatur. Weil moderne Literatur ja in Deutschland nicht angeboten wurde. Das hörte alles mit Karel Capek auf. Und ich habe dann witzigerweise als Magisterarbeit über Motive des Exils bei Nabokov geschrieben, weil es tatsächlich... man muss sich damit irgendwie auseinandersetzen. ´92 habe ich meinen Abschluss gemacht und dann hat sich angeboten, dass in Hamburg das Honorarkonsulat der Tschechoslowakei gegründet wurde und ich habe da eine Stelle bekommen und habe es 10 Jahre lang quasi geleitet das Büro, aber wir waren da nur zu zweit, also es war dann wenig leiten. Und 2002 habe ich mich dann entschlossen, tatsächlich das zu machen, was mich eigentlich mehr interessiert, weil ich immer schon nebenbei übersetzt habe und das war dann sehr, sehr schwierig. Ich habe noch Familie und das ist dann schwierig drei Berufe zu haben und dann habe ich mir überlegt: 'Okay, dann hören wir auf mit dem Konsulat' und seit 2002 bin ich freiberufliche Übersetzerin und habe jetzt zwei Jahre mit der tschechischen Bibliothek zusammengearbeitet."
Sie hat praktisch die Hälfte ihres Lebens in Tschechien und die andere Hälfte in Deutschland verbracht. Wo fühlt sie sich wohler und gibt es etwas von Tschechien, was ihr in Deutschland fehlt und umgekehrt?
"Wenn ich in Prag bin, da wo meine Eltern herkommen, gibt es so eine innere Rührung, die man manchmal empfindet und das habe ich nirgendwo in Deutschland. Ich habe Stellen, die ich wahnsinnig gerne mag: Ich bin wahnsinnig gern an der Nordsee und ich finde schon, dass mir Hamburg sehr wichtig ist und Norddeutschland. Aber trotzdem diese innere Rührung, wie wenn man das Nationalmuseum sieht oder das Nationaltheater in Prag, was absolut lächerlich ist, aber trotzdem, das habe ich halt nur in Prag. Und deshalb denke ich, man wird wahrscheinlich bis zum Tode so bleiben, so zwischen zwei Stühlen und das Schönste ist eigentlich, wenn man beides machen kann und so denke ich, müsste das eigentlich sein. Ich finde das einfach so herrlich, man hat zwei Sprachen und zwei Kulturen und dann kann man immer hin und her wechseln und man merkt, auch in der Sprache wechselt man unwillkürlich. Wenn ich auf Tschechisch rede, bin ich anders als wenn ich Deutsch rede. Ja, man hat ein völlig anderes Verhalten, man guckt, glaube ich, auch anders. Die Stimm-, die Tonlage ist anders. Das ist doch total spannend."
Was genau verändert sich, wenn sie Tschechisch oder Deutsch spricht, frage ich Eva Profousová, die in beiden Sprachen gleichermaßen zu Hause ist.
"Auf jeden Fall auf Deutsch würde ich sagen, dass ich präziser bin, vielleicht schneller. Dass man auch nicht so viele Rückversicherungsfragen hat. Auf Tschechisch ist man weniger bestimmt, bin ich weiblicher wahrscheinlich, man kokettiert vielleicht auch bisschen mehr, als man das auf Deutsch machen würde. Man bleibt so unbestimmter. Auf Tschechisch führt man eigentlich keine Debatten, man setzt sich mit den Leuten nicht so auseinander wie hier. Hier in Deutschland kann man eigentlich über alles reden und man beleidigt die Leute auch nicht, wenn man eine Frage stellt. Wenn ich auf Tschechisch eine Frage stelle, merke ich manchmal, dass ich meinen Gegenüber beleidigt habe und das wollte ich überhaupt nicht. Ich wollte einfach nur wissen, wie er sich jetzt fühlt und ob da ein Problem drin liegt."
Damit sind wir am Ende unseres heutigen Kultursalons. Wir stellten Ihnen die Übersetzerin Eva Profousová vor. Und wenn Sie demnächst ein Buch in die Hand nehmen, das aus dem Tschechischen übersetzt wurde, sehen Sie doch mal nach dem Übersetzer. Es könnte schon einiges über Ihre Lesefreude verraten. Und vielleicht ist es ja ein Buch, was Eva Profousová nicht nur übersetzt, sondern auch vorgeschlagen hat. Viel Spaß beim Lesen wünscht Ihnen Martina Zschocke.