Die unvollendete Karriere – Fibingerová ist Botschafterin der EM in Prag

Helena Fibingerová (Foto: YouTube)

Vom Donnerstag bis Sonntag dieser Woche finden in der Prager O2-Arena die 33. Leichtathletik-Halleneuropameisterschaften statt. Seit der Freiluft-EM 1978 in Prag sind sie das erste große Stelldichein der europäischen Elite in Tschechien. Wie vor seit 37 Jahren mit dabei ist eine der erfolgreichsten Leichtathletinnen des Landes, die ehemalige Kugelstoßerin Helena Fibingerová. Damals war sie Aktive, diesmal ist sie Mitglied des EM-Organisationskomitees und Chefin des sogenannten Botschafter-Projekts der Titelkämpfe. Für die Medien hat sie unlängst Episoden aus ihrer Karriere Revue passieren lassen.

Helena Fibingerová  (Foto: Alžběta Švarcová,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)
Die Leichtathletik-Halleneuropameisterschaften wurden zum ersten Mal 1970 ausgetragen. Sie lösten die seit 1966 veranstalteten Europäischen Hallenspiele ab. Gastgeber der Hallenspiele im Jahr 1967 war Prag, die Hauptstadt der damaligen Tschechoslowakei. Seitdem sind 48 Jahre vergangen. Eine halbe Ewigkeit also, in der sich die besten Athletinnen und Athleten Europas nicht mehr zu einem kontinentalen Gipfel in der Moldaustadt getroffen haben. Und das, obwohl die Tschechische Republik mit der ehemaligen Kugelstoßerin Helena Fibingerová eine der fleißigsten Medaillensammlerinnen bei einer Hallen-EM stellt. Mit achtmal Gold und dreimal Silber ist Fibingerová womöglich sogar die erfolgreichste Indoor-Athletin des Kontinents überhaupt. Auf alle Fälle aber kann die heute 65-Jährige auf eine Vielzahl von sportlichen Highlights zurückblicken. Zum Beispiel auf eine Europameisterschaft in Göteborg, bei der der Hallen-Weltrekord im Kugelstoßen der Frauen gleich dreimal verbessert wurde:

Helena Fibingerová stieß die Kugel auf die Weltrekordweite in Göteborg  (Foto: Tschechisches Fernsehen)
„Ich erinnere mich gern an die Hallen-EM 1974 in Göteborg. Meine härtesten Gegnerinnen waren die Russinnen und die Frauen aus der DDR. Ich stieß die Kugel auf die Weltrekordweite von 20,36 Meter, doch gleich darauf übertraf die Russin Nadeschda Tschischowa diese Weite. Die Zuschauer in der Halle aber feuerten mich an, und ich verbesserte den Weltrekord tatsächlich noch einmal auf 20,75 Meter“, so Fibingerová.

Mit diesem Resultat gewann die Athletin 1974 den zweiten ihrer acht Hallen-EM-Titel. Den vorletzten holte sie genau zehn Jahre später erneut in Göteborg, den letzten 1985 in Piräus – beide Male vor der westdeutschen Kugelstoßerin Claudia Losch. Dazwischen lag aber auch eine ihrer bittersten Niederlagen. Nachdem sie im Gymnasium der mährischen Kleinstadt Veselí nad Moravou ihr Abitur abgelegt hatte, war Helena Fibingerová nach Ostrava / Ostrau umgezogen. Sie hatte in der dortigen Eisenhütte Vítkovice eine Bürostelle erhalten und trainierte fortan im Leichtathletikverein der Industriestadt. Austragungsort der Hallen-EM 1975 war das polnische Katowice / Kattowitz – also eine Stadt, die von Ostrau per Luftlinie nur 70 Kilometer entfernt ist. Für Fibingerová war dies die Chance, sich quasi vor ihrem Heimpublikum zu präsentieren:

Marianne Adam  (Foto: Hartmut Reiche,  Bundesarchiv,  Bild 183-P0806-0037 / CC-BY-SA)
„Das war das peinlichste Championat für mich. Nach Kattowitz waren halb Ostrau und auch meine Eltern angereist, doch im Wettkampf hat mich Marianne Adam aus der DDR besiegt. Ich habe mich so geschämt. Aber geschämt habe ich mich eigentlich immer, wenn ich nicht gewonnen habe.“

Schmerzliche Niederlage vor eigenem Publikum

Die wohl schmerzlichste Niederlage aber erlitt Fibingerová 1978 in der tschechoslowakischen Hauptstadt. Die Freiluft-EM vor eigenem Publikum sollte Helenas große Stunde werden, doch wieder schnappte ihr eine Ostdeutsche die Goldmedaille vor der Nase weg:

„Diese Niederlage erlebte ich bei der Europameisterschaft in Prag. Das Wetter war schlecht, denn es goss aus Kübeln. Im Wettkampf lag ich von Anfang an in Führung, doch im letzten Durchgang hat mich Ilona Slupianek noch abgefangen.“

Helena Fibingerová in den 1980er Jahren  (Foto: YouTube)
Und zwar mit dem einzigen Stoß der Konkurrenz über 21 Meter. Heute kann Fibingerová über diese „Schlappe“ hinwegsehen, auch wenn ihrer damaligen Bezwingerin später die Einnahme von unerlaubten Präparaten in der Zeit von 1981 bis 1984 nachgewiesen wurde. Auch Fibingerová selbst stand in dem Verdacht, sich der vom kommunistischen Regime der Tschechoslowakei in den 1980er Jahren verordneten Dopingpraxis unterworfen zu haben. Auf diesen Vorwurf angesprochen, erwiderte sie, dass sie die Diskussion zum Thema Doping ablehne. Und vielsagend ergänzte sie, es sei naiv zu glauben, dass aktive Sportler – egal ob gestern, heute oder morgen – einen Fremden in ihre Welt Einblick nehmen ließen.

Ilona Slupianek  (Foto: Rainer Mittelstädt,  Bundesarchiv,  Bild 183-1983-0731-008 / CC-BY-SA)
Als Sportlerin habe sie sich mit Ilona Slupianek durchaus gut verstanden, und sie freue sich auch schon darauf, ihre ehemalige Konkurrentin als Gast der Hallen-EM in Prag begrüßen zu können, sagte Fibingerová vor kurzem auf einer Pressekonferenz. Überhaupt sei das Verhältnis zu den Sportlerinnen aus der ehemaligen DDR immer positiv gewesen. Und allen, die das nicht so recht glauben wollen, erzählt Fibingerová gerne diese Episode:

„Ich war beim Europacup in Frankfurt, und ich ging immer davon aus, dass von uns Leistungssportlern aus dem Ostblock niemand raucht. In unserem Land hätte mich die Kommission für politische Erziehung sofort dafür bestraft. Beim gemeinsamen Mittagessen der Athleten in Frankfurt – ich weiß noch bis heute, es gab Pökelkoteletts mit Kartoffelbrei – saß unter anderem Marita Koch neben mir. Dann aber ging sie mit Marlies Göhr nach draußen und kam nicht wieder. Ich dachte, muss doch mal schauen, was sie dort machen. Als ich nach draußen kam, sah ich beide an einem Tor stehen und eine Kent-Zigarette rauchen. Als ich hinzukam, boten sie mir gleich eine Zigarette an, und so habe auch ich die Kent in der Hand gehalten wie eine Dame von Welt.“

Zweimal Olympia verpasst

Helena Fibingerová redet über den Boykott der Spiele in Los Angeles  (Foto: ČT24)
In der damaligen Welt des Kalten Krieges aber wurden die Sportler leider auch für die politischen Interessen der beiden Blöcke instrumentalisiert. So boykottierten die USA, Kanada und viele westeuropäische Länder die Olympischen Spiele 1980 in Moskau. Die Staaten des sogenannten Ostblocks revanchierten sich daraufhin vier Jahre später mit dem Boykott der Spiele in Los Angeles. Von diesem Boykott direkt betroffen war auch Helena Fibingerová. Schweren Herzens trat sie damals vor die Kamera des Tschechoslowakischen Fernsehens:

„Ich muss zunächst sagen, dass mir das Reden wirklich schwer fällt. Ich habe bisher zweimal an olympischen Spielen teilgenommen, für die Spiele 1980 in Moskau war ich nominiert, doch eine schwere Verletzung hat mich drei Tage vor Beginn der Spiele meiner Träume beraubt. Los Angeles wären also meine vierten olympischen Spiele gewesen.“

Mit Bedauern drückte sie weiter aus, dass ihr ganzes Training, all die Anstrengungen in Vorbereitung der Spiele nun umsonst gewesen seien. Gern hätte sie den Olympiasieg errungen und dann bei der Siegerehrung die Nationalhymne ihres Landes gehört, sagte Fibingerová… und fuhr fort:

„Heute weiß ich, dass dieser Augenblick nicht eintritt. Trotzdem stehe ich fest hinter dem Standpunkt des Tschechoslowakischen Olympischen Komitees, denn in gewissen Kreisen ist eine anomale Situation entstanden, die die Reinheit des olympischen Gedankens nicht mehr garantiert.“

Foto: Archiv der Hallen-EM in Prag
Heute spricht Fibingerová nicht mehr allzu gern über diese Zeit, sondern erwähnt nur, dass man sich im kommunistischen Regime einzuordnen hatte. Der jungen Generation gibt sie mit auf den Weg, ihre weit größeren Freiheiten möglichst gut zu nutzen. Das gilt im Besonderen auch für die tschechischen Athleten, die ab Donnerstag bei der Hallen-EM in Prag an den Start gehen.

„Jetzt veranstalten wir die EM, darüber bin ich froh. Mein Wunsch ist es, dass so viele Medaillen wie möglich bei uns im Land bleiben“, sagt Fibingerová.

Fibingerovás Bäckerei im mährischen Uherský Ostroh  (Foto: Google Street View)
Etwas nachdenklicher fügt die Weltmeisterin von 1983 dann aber hinzu:

„Nehmen wir uns etwas zurück und wünschen unseren Athleten das Beste. Unter ihnen sind viele junge Sportler. Und für die Chance, sich zu zeigen, sollten sie den Heimvorteil einfach nutzen.“

Helena Fibingerová betreibt heute eine Bäckerei im mährischen Uherský Ostroh / Ungarisch Ostra. Darüber hinaus engagiert sie sich in der Marketing-Agentur des tschechischen Leichtathletik-Verbandes. Sie ist verheiratet, aber kinderlos.

Autor: Lothar Martin
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