„Die Verbindungen bestehen auch heute noch“
Der Historiker Bernd Rill über die Beziehungen zwischen Bayern und Böhmen und seine eigenen Wurzeln.
„Nach dem bayerischen Landeshistoriker Max Spindler sind die Bajuwaren im 5. und 6. Jahrhundert allmählich von Böhmen her in Bayern eingewandert. Es waren Germanen mit Beimischungen dabei, es könnten auch versprengte allerletzte Hunnen gewesen sein. Das war ein allmählicher Stammesbildungsprozess. Und einer der Faktoren, die zur Stammesbildung beigetragen haben, war die Wanderung der Germanen von Böhmen ins Donauland. Es ist aber nur eines der Elemente beim Stammesbildungsprozess der Bajuwaren.“
Gibt es bestimmte geistliche Verbindungen zwischen Bayern und Böhmen seit dem Mittelalter?
„Ja, die gibt es sicherlich. Mit der deutschen Einwanderung sind im Mittelalter auch Bayern nach Böhmen gekommen, da war auch geistliches Personal dabei. Verschiedene Klostergründungen sind – sehr vereinfacht gesagt – durch bayerische Kleriker vermittelt worden, und die ersten Mönche im Kloster stammten manchmal aus Bayern. Diese Verbindungen bestehen auch heute noch. Es gibt beispielsweise gemeinsame bayerisch-tschechische Böhmerwald-Wallfahrten. Diese Verbindungen sind nicht abgerissen.“Hat die in Böhmen entstandene hussitische Bewegung im 15. Jahrhundert auch das Geschehen in Bayern beeinflusst?
„Ich glaube, dass bei der Bevölkerung des damaligen Herzogtums Bayerns und bei den verschiedenen Grafen, die damals in der Oberpfalz saßen, das hussitische Gedankengut keine Rolle gespielt hat. Die Hussiten haben Sympathien in einigen größeren deutschen Städten gehabt – da gab es ein paar Anhänger in München und auch in Nürnberg. Das waren aber sehr spärliche Gruppen, obwohl bekannt ist, dass das hussitische Gedankengut im Heiligen Römischen Reich auch außerhalb Böhmens und Mährens rezipiert worden ist. Ein Beispiel dafür: Als Luther begann, seine reformatorische Bewegung zu führen, gab es jedenfalls unter den frommen Leuten und den Theologen allgemeine Kenntnisse über das Wesentliche des Hussitentums. Denn die Utraquisten haben im ganzen 15. Jahrhundert auch nach Ende der Hussitenkriege eine sehr wichtige Rolle gespielt. Ich erinnere nur an den böhmischen König Georg von Podiebrad.“
„Hussitisches Gedankengut ist auch außerhalb Böhmens und Mährens rezipiert worden.“
Sie haben vor kurzem ein Buch über Luther herausgebracht. Gibt es da Bezüge zu den Böhmischen Ländern?
„Natürlich. Luther hat sich zu Beginn seiner Laufbahn auf Hus berufen. Bekannt ist Luthers Streitgespräch mit Doktor Johannes Eck von 1519, in dem Luther dem Konstanzer Konzil vorwirft, dass er Hus auf dem Scheiterhaufen verbrennen ließ, ohne ihn angehört zu haben. Dies widersprach dem lutherschen Ideal einer freien Diskussion besonders in Glaubensfragen. Luther und Hus, das ist bestimmt ein interessantes Thema. Aber mein Buch konzentriert sich eher darauf, das Verhältnis der beiden großen christlichen Konfessionen, der Katholiken und der Evangelischen, in Deutschland seit Luther darzustellen.“
Gab es in der Geschichte Momente, in denen die Böhmen einen bayerischen Herrscher hätten haben können?„Ja, zweimal. Erstens 1526, als Ludwig Jagiello ohne Erben gestorben ist. Es gab großes Interesse bei den Habsburg-Gegnern in ganz Europa, dass die Habsburger ihre Erbansprüche auf Böhmen nicht geltend machen. Für einige Wochen herrschte diplomatische Konjunktur für den Herzog von Bayern. Aber Ferdinand, der Bruder Karls V., war diplomatisch schlauer als Ludwig von Bayern. Der zweite Moment für die Bayern kam während des Österreichischen Erbfolgekrieges, als die Franzosen, die Schutzmacht der Bayern, daran interessiert waren, die Habsburger Macht zu verkleinern. Sie wollten Böhmen aus den Habsburger Ländern herausbrechen und haben diese Aufgabe dem bayerischen Kurfürsten übertragen. Der ist dann natürlich mit kräftiger französischer Nachwirkung auch zum Kaiser ausgerufen worden. Der bayerische Kurfürst Karl Albrecht ist in Prag eingezogen, hatte Sympathien im Landvolk und in der Aristokratie. Es ist ihm die Königshuldigung widerfahren, obwohl die Adeligen einige Monate vorher schon Maria Theresia gehuldigt hatten. Er hatte also eine Partei im Lande. Er fand Unterstützung für seine böhmische Königsherrschaft nicht nur bei den Franzosen, auf die es vor allem ankam, sondern auch bei den Preußen, da diese an der Schwächung Österreichs interessiert waren. Dieser Weg erwies sich jedoch als Sackgasse, da die Preußen nur Schlesien haben wollten und sonst nicht an der Zerstörung der Monarchie interessiert waren.“
Herr Rill, ihre Eltern stammten aus Brno / Brünn. Hat Sie dies bei der Wahl Ihres Studienfaches Geschichte beeinflusst?
„Es besteht eine Affinität meinerseits, die unbewusst oder bewusst ist.“
„Nein. Denn ich bin sozusagen wurzellos aufgewachsen, abgesehen davon, dass meine Eltern manchmal miteinander auch Tschechisch gesprochen haben. Das konnten sie fließend. Im Laufe der Zeit habe ich doch ein größeres Interesse für das Land meiner Vorfahren entwickelt. Es besteht eine gewisse Affinität meinerseits, die unbewusst oder bewusst ist. Deswegen habe ich auch ein Buch mit dem Titel ,Böhmen und Mähren. Geschichte im Herzen Europas‘ geschrieben. Darum bin ich jedoch gebeten worden. Ob ich das aber auch gemacht hätte, wenn ich nicht dort herkäme, weiß ich nicht. Es ist eine unsentimentale, undramatische Sache für mich, aber ich kann meine Wurzeln nicht verleugnen. Wie Hugo von Hofmannsthal in einem Gedicht gesagt hat: ,Ganz vergessener Völker Müdigkeiten kann ich nicht abtun von meinen Lidern.‘“
Kommen Sie öfter nach Tschechien?„In letzter Zeit ja. Das ist so eine Spezialität von mir. 2016 habe ich mehrere Orte besucht, die ich zuvor nicht kannte. Zuvor habe ich Olmütz und das Altvatergebirge besucht. Auf der Rückreise habe ich mir die herrliche Stadt Leitomischl und die Burg Rosenberg in Südböhmen angeschaut. Das hat mich begeistert. Was mich auch stark beeindruckt hat, war die historische Substanz von Olmütz. Das Altvatergebirge ist eine majestätische Sache – das ist Adalbert Stifter und Joseph von Eichendorff in Einem sozusagen.“
Bernd Rill hat Rechtswissenschaften und Geschichte studiert. Er hat viele Bücher zur Historie geschrieben, darunter ein zweibändiges Werk mit dem Titel „Böhmen und Mähren. Geschichte im Herzen Mitteleuropas“. Auf Einladung des Kulturverbands der Bürger deutscher Nationalität, des Prager Sudetendeutschen Büros und der Repräsentanz des Freistaats Bayern in Tschechien hat Bernd Rill vor kurzem Prag besucht. Er hielt einen Vortrag zum Thema „Historische Gemeinsamkeiten Bayerns und Böhmens“. Bei dieser Gelegenheit entstand das Gespräch.