Erinnerungen an die Grenzöffnung – Der Förster

Grenztreffen (Foto: Archiv Centrum Bavaria Bohemia)

Vor 30 Jahren wurden die Grenzübergänge zwischen Bayern und Böhmen für den regulären Verkehr geöffnet. Für viele Menschen auf tschechischer und deutscher Seite war es ein prägendes Ereignis. In den kommenden Wochen stellen wir Ihnen einige von Ihnen und ihre persönlichen Erinnerungen vor. Den Auftakt macht ein ehemaliger Förster aus der Oberpfalz.

Tillenberg  (Foto: Archiv des Tschechischen Rundfunks - Radio Prague International)

Franz Danhauser kommt aus Altmugl in der nördlichen Oberpfalz. Der kleine Ort gehört zur Marktgemeinde Neualbenreuth und liegt am Tillenberg, tschechisch Dyleň. Auf dem Gipfel auf tschechischer Seite war bis zur Wende eine militärische Abhörstation des Tschechoslowakischen Militärs in Betrieb. Als Revierleiter der Forstdienststelle Altmugl war Franz Danhauser damals häufig an der Grenze unterwegs:

„Der erste Kontakt zu den Tschechen vor der Grenzöffnung kam so zustande: Ich hatte einen jungen Hund bekommen. Der ist mir mit drei Monaten ausgeschlitzt und in die Tschechei abgehauen. Ich hörte nie wieder von ihm. Dann habe ich alle Hebel in Bewegung gesetzt, habe tschechischen Holzhauern einen Brief in tschechischer Sprache überreicht und sie gebeten, ob sie mir helfen könnten, etwas auf die Beine zu stellen, habe dann aber nichts mehr davon gehört.“

Franz Danhauser  (Foto: Archiv des Geschichtsparks Bärnau-Tachov)

Monatelang lang gab es keine Reaktion. Erst über einen Bekannten mit Kontakten über den Eisernen Vorhang hinweg kam Bewegung in die Suche. Danhauser erhielt einen Brief, der Hund sei in Dolní Žandov / Unter Sandau hinter dem Dyleň aufgetaucht. Nach Formalitäten mit der Botschaft in München durfte er seinen Hund schließlich am Grenzübergang Schirnding abholen.

„Mit der Polizei und mit Blaulicht fuhren wir auf die tschechische Seite. Dort warteten schon die Tschechen mit meinem Hund. Er war bereits ausgewachsen, ich erkannte ihn fast nicht mehr. Sie übergaben ihn mir und dazu einen Zettel. Es stellte sich heraus, dass man ihn tierärztlich untersucht hatte und dass er gesund ist. Ich dachte mir, das wird wohl eine teure Sache, und zog meinen Geldbeutel heraus. Doch sie wehrten ab, das sei schon in Ordnung, und verabschiedeten mich mit ‚Lovu zdar‘, also Weidmannsheil. Einer rief mir noch etwas hinterher. Der deutsche Polizist, der ein bisschen Tschechisch konnte, hat es mir übersetzt. Es habe geheißen: ‚Pass auf deinen Hund auf‘.“

Neumugl  (Foto: Jan Macura,  Wikimedia Commons,  CC BY-SA 4.0)

Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs wollte Franz Danhauser die Möglichkeit nutzen, sich auf der anderen Seite, in Neumugl umzusehen. Das Dorf auf der tschechischen Seite musste nach der Vertreibung dem Grenzstreifen weichen, wurde niedergerissen und lag jahrzehntelang im Niemandsland. Bei seinem Spaziergang im Juni 1990 traf er noch auf deutscher Seite einen Tschechen.

„Wir haben uns dann schön unterhalten, und es stellte sich heraus, dass er auch Jäger war. Er war aus Marienbad und ging dort auf die Jagd. Ich habe ihn dann auch ein wenig ausgefragt. Und ich weiß noch: Oberhalb von Neumugl waren Baracken, da waren die tschechischen Grenzer untergebracht. Man hatte schon lange keine Autos mehr gehört, und ich fragte ihn, ob die Behausungen noch stünden. Nein, sagte er, das sei alles weg. Komm mit, komm mit...“

Tillenberg  (Foto: Archiv des Tschechischen Rundfunks - Radio Prague International)

Franz Danhauser stieg mitsamt seiner Jagdausrüstung zu seinem neuen Bekannten und dessen Freund in einen Jeep.

„Dann fuhren sie eine Stunde lang mit mir herum, hinauf bis zum Tillen. Unterwegs dachte ich mir: ‚Du kennst die gar nicht, setzt dich einfach rein mit Gewehr, Fernglas, Geldbeutel und Ausweis. Wenn sie dir eine auf den Schädel hauen, findet dich niemand.‘ Dem war aber nicht so! Nach einer Stunde setzten sie mich wieder ab. Ich fragte sie, ob sie irgendetwas brauchen. Da drucksten sie ein wenig herum, Joghurt bekämen sie drüben nicht, und Waschmittel hätten sie kein gescheites.“

Für den nächsten Tag 18 Uhr verabredete sich Danhauser wieder mit seinen neuen Bekannten. Zuvor besorgte seine Frau einige Paletten Joghurt und Waschmittel von Aldi.

Grenztreffen  (Foto: Archiv Centrum Bavaria Bohemia)

„Dann bin ich also am nächsten Tag raufgefahren und wir haben ausgetauscht. Sie hatten Schnaps mit, Becherovka, und Oblaten. Und so ist dann eine richtig schöne Freundschaft entstanden. Sie haben mich zur Jagd eingeladen, damals musste man ja noch über Schirnding fahren. Zum Jägerball habe ich meine Freunde alle mitgenommen. Das war wirklich ein tolles Verhältnis.“

Einige Jahre lang pflegte Franz Danhauser diese Bekanntschaft über die Grenze hinweg intensiv.

„Es hat sich nach zwanzig Jahren abgeschliffen. Einige sind gestorben. Die Jungen sind in alle Winde verstreut. Heute besteht praktisch kein Kontakt mehr.“

Die Zeitzeugenaufnahmen stammen aus dem Ausstellungsprojekt „Wieder Nachbarn – 30 Jahre Grenzöffnung“ der Museumsfachstelle der Ikom Tirschenreuth und wurden von deutschen und tschechischen Schülern aus Waldsassen und Marienbad aufgenommen. Wir danken Barbara Habel für die freundliche Genehmigung zur Verwendung. Die komplette Ausstellung wird wegen Corona erst im nächsten Jahr gezeigt, ist aber jetzt schon online abrufbar: https://www.bbkult.net/projekte/kulturbruecke/30-jahre-grenzoeffnung