Die Viehschneider aus Bojkovice

Viehschneider aus Bojkovice und Komňa (Foto: Jitka Mládková)
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Das Kastrieren von Nutztieren verhalf einer mährischen Gegend ab der frühen Neuzeit zu Wohlstand. Die Männer von dort waren als Fachleute sogar international gefragt.

Bojkovice  (Foto: palickap,  CC BY 3.0)
Bojkovice ist eine kleine Stadt mit 5.000 Einwohnern am Fuß der Weißen Karpaten. In der Nähe liegt der Wlara-Pass, über den seit dem Mittelalter die sogenannte Ungarische Straße führte. Diesen Weg nutzten wiederholt fremde Heerestruppen, um aus dem Gebiet der heutigen Slowakei, damals Oberungarn, in Mähren einzudringen. Besonders im 17. Jahrhundert litt auch die Gegend um Bojkovice unter den verheerenden Plünderungen. Die Geschichte des Ortes ist mit mehreren Adelsfamilien verknüpft, die Besitzer der umliegenden Ländereien waren. Zu den ältesten gehörten die Landsteins, Sternbergs oder Serenyis.

Wann das Dorf Bojkovice genau zur „Kleinstadt“ erhoben wurde, das lässt sich nicht sagen. Eine entsprechende Urkunde fehlt. Der erste Beleg stammt daher von 1449. Ab dem 16. Jahrhundert lassen sich dort auch mehrere Handwerkszünfte nachweisen. Der Historiker Tomáš Hamrlik leitet das Regionalmuseum Bojkovice:

Zunftstangen,  St. Laurenzi-Kirche in Bojkovice  (Foto: Jitka Mládková)
„Als erste wurde 1511 die Zunft der Tuchmacher in Bojkovice gegründet. Sie war damals die bedeutendste. Wollstoffe und Schurwolle aus Bojkovice hatten einen guten Ruf und wurden vor allem nach Ungarn exportiert. Von dort gelangte die Ware auch auf weitere Märkte. Die Wollstoffherstellung hatte mehrere Jahrhunderte lang eine wichtige Stellung in Bojkovice inne. Selbst als im 19. Jahrhundert diese Betätigung langsam niederging, waren noch ungefähr 80 Familien von ihr abhängig. Der Zunft konnten auch Einwohner aus umliegenden Dörfern beitreten.“

Wolle trug man seinerzeit zu vielen Gelegenheiten. Auf dem mährischen Land wurde sie auch für Trachten genutzt. Einige lassen sich heute im städtischen Museum von Bojkovice bewundern. Dort sind zudem historische Webstühle ausgestellt.

Neue Arbeitsmöglichkeiten

Viehschneider aus Bojkovice und Komňa  (Foto: Jitka Mládková)
Eine der interessanten Sammlungen des Regionalmuseums in Bojkovice erinnert an einen weiteren bedeutenden Berufszweig, den mehrere Generationen von Männern in diesem Teil Mährens betrieben haben. Tomáš Hamrlík erläutert, worum es geht:

„Für einen Großteil der hiesigen Bevölkerung wurde im Laufe der Zeit die Selbstversorgung durch die traditionelle Landwirtschaft immer schwieriger. In der hügeligen Umgebung gab es nicht genügend fruchtbaren Ackerboden. Deswegen suchte man nach neuen Arbeitsmöglichkeiten. Als ‚Marktlücke‘ erwies sich der Beruf des sogenannten Viehschneiders. Eine andere Bezeichnung sprach von fahrenden Sauschneidern. Es ging um die Kastration von Nutztieren. Erstmals wurde ein Viehschneider bei uns im ‚Rechts- und Handelsbuch‘ aus dem Jahr 1567 erwähnt. Im 18. Jahrhundert galt unsere Region bereits als Zentrum dieses Handwerks in Mähren. Im 19. Jahrhundert war ungefähr die Hälfte der männlichen Einwohner in diesem Bereich beschäftigt. Das Knowhow der Viehschneider war sehr gefragt. Bullen und Hengste wurden zum Beispiel nach dem Eingriff ruhiger und konnten besser bei der Feldarbeit beziehungsweise als Zugtiere eingesetzt werden. Positive Wirkung hatte die Kastration auch beim Mastvieh. Kastrierte Rinder nehmen schneller an Gewicht zu, und ihr Fleisch schmeckt besser.“

Tomáš Hamrlík am Webstuhl  (Foto: Jitka Mládková)
Die Bojkovicer Viehschneider waren aber nicht nur in den Böhmischen Ländern gefragt, sondern auch in Ungarn, Deutschland oder Russland.

„Für die Reise in andere Länder brauchte man allerdings die Zustimmung des Gutsherrn beziehungsweise eine behördliche Bewilligung und nicht zuletzt auch einen Reisepass. In unserem Museum zeigen wir einen Pass von Anfang des 19. Jahrhunderts, in diesem sind auch interessante Daten zum Besitzer angeführt. Die Obrigkeit wusste gut, dass immer mehr Bauern ihren Lebensunterhalt nicht mehr vor Ort bestreiten konnten. Um möglichen Unruhen vorzubeugen, erklärten sie sich bereit, Reisedokumente auszustellen“, so Historiker Hamrlík.

Von der Fronarbeit befreit

Das Kennzeichen der Viehschneider war die Ledertasche  (Foto: Jan.Kamenicek,  CC BY-SA 3.0)
Bis Ende des 18. Jahrhunderts waren die Bauern jedoch Leibeigene und kannten daher eigentlich keine Freizügigkeit. Diese wurde ihnen erst 1781 durch das Untertanenpatent von Kaiser Josef II. zugestanden. Doch der größte Grundherr von Bojkovice, Gabriel Serenyi, später Landeshauptmann von Mähren, lockerte bereits im Jahr 1636 auf seinem Gut die Fesseln. Die ihm hörigen Bauern wurden von der Fronarbeit befreit, mit Ausnahme einiger spezieller Pflichten.

Das Kennzeichen der Viehschneider war die Ledertasche. Sie war manchmal mit kleinen Metallplatten verziert, auf denen Haustiere abgebildet waren. In der Tasche bewahrten sie ihr Arbeitswerkzeug auf. Beim Rundgang durch eine Gemeinde riefen sie einen speziellen Spruch, um auf sich aufmerksam zu machen. Die Fahrten der Viehschneider konnten lange dauern. Und Frau und Kinder blieben häufig monatelang allein, erzählt Tomáš Hamrlík:

Instrumentarium der Viehschneider  (Foto: Archiv des Museums von Bojkovice)
„Die Männer machten sich meist im Frühjahr auf den Weg und kehrten erst im Herbst zurück. Einige, die sich nicht allzu weit von ihrem Heimatort aufhielten, kamen im Sommer zurück, um ihren Frauen bei der Ernte zu helfen. Diejenigen, denen es im Ausland finanziell gut erging, insbesondere in reicheren deutschen Gebieten, brachten verschiedene Mitbringsel nach Hause. Dazu gehörten neben Geschenken auch nützliche Gegenstände für den Haushalt. Außerdem erwarben sie neue Kenntnisse beziehungsweise Fertigkeiten in der Fremde.“

Mancher Viehschneider war nach seiner Rückkehr motiviert, etwas von den gesammelten Erfahrungen selbst zu erproben. Zum Beispiel einen modernen Pflug oder einen neuen Typ der Egge. Damit hätten sie ihrer Gegend zu einem gewissen Fortschritt verholfen, so Hamrlík. Doch sie brachten auch Nachrichten aus der Welt mit. Die Berichte über die Revolutionsereignisse von 1848 zum Beispiel sollen laut dem Museumsleiter die Einheimischen jedoch beunruhigt haben. Die Rückkehrer wurden daher von der Obrigkeit als Unruhestifter getadelt.

Verbot durch die Nazis

Museum in Komňa  (Foto: Jan.Kamenicek,  CC BY-SA 3.0)
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts erlebte die Viehschneiderei eine weitere Blütezeit, diese währte aber nicht lang. Der Niedergang setzte nach dem Ersten Weltkrieg ein, mit dem Zerfall der Habsburger Monarchie und der Entstehung der Nachfolgestaaten. Während des Zweiten Weltkriegs wurde das Gewerbe dann von der deutschen Besatzungsmacht verboten. Das endgültige Ende kam unter dem kommunistischen Regime. Durch ein Gesetz von 1951 wurden die Viehschneider in den sogenannten Veterinärdienst integriert und durften praktisch nicht mehr selbstständig arbeiten. Laut Hamrlík profitieren aber bis heute einige Gemeinden der Region von der langen Tradition dieses Handwerks:

„Das benachbarte Komňa ist zum Beispiel dadurch reich geworden. Die Viehschneider lebten dort auf hohem Niveau, weil sie viel Geld verdienten. Das Gemeindegebiet umfasst heute große Waldflächen. Diese haben betuchte Vertreter des Handwerks in der Vergangenheit erworben.“

Sammlungen des Viehschneider-Museums in Komňa  (Foto: Jan.Kamenicek,  CC BY-SA 3.0)
2006 hat der Gemeinderat auf dem Gebiet von Komňa ein kleineres unter Denkmalschutz stehendes Haus aus dem Jahr 1850 gekauft. Dies ist mittlerweile restauriert worden und beherbergt ein Museum. Die Sammlungen geben eben gerade Einblick in das mittlerweile verschwundene Handwerk des Viehschneiders. Dasselbe bietet auch das Regionalmuseum in Bojkovice.

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