In die Zukunft investieren: 20 Jahre tschechisch-deutsche Berufspraktika bei Tandem
Der tschechisch-deutsche Jugendaustausch hat viele Facetten. Die bekanntesten Programme betreffen schulische und außerschulische Kontakte oder kulturelle Projekte. Ein wichtiges Kontinuum, mit dem die beiden Tandem-Büros in Plzeň / Pilsen und Regensburg zu den gemeinsamen Beziehungen beitragen, ist zudem die Förderung von freiwilligen Berufspraktika im jeweils anderen Land. Dieses Programm hatte schon im vergangenen Jahr sein 20-jähriges Jubiläum. Wegen der Corona-Pandemie fand der Festakt aber erst in der vergangenen Woche statt.
Im Lobkowitz-Palais trafen am Mittwoch vergangener Woche viele Partner zusammen, die sich seit anderthalb Jahren nicht gesehen hatten. Entsprechend gehoben war die Stimmung, wenn auch immer noch Abstand gehalten und Maske getragen werden muss. Die meisten Redner drückten ihre tiefe Zufriedenheit aus, dass man sich endlich wieder persönlich begegne – ein Aspekt, der allgemein im tschechisch-deutschen Jugendaustausch seit Ausbruch der Corona-Pandemie viel zu kurz komme.
Auch für die freiwilligen Berufspraktika mussten neue Wege der Umsetzung gefunden werden, als die Grenze geschlossen war. Dass dies gelungen ist, bewertet die Leiterin des Pilsener Tandem-Büros, Lucie Tarabová, als einen der Erfolge des Austauschprogramms:
„Lassen Sie uns heute feiern, dass wir gemeinsam die Praktika für unsere Schüler ermöglichen können. Mittlerweile finden diese auch wieder direkt vor Ort statt. Sollten jedoch Präsenzpraktika demnächst wieder einmal nicht möglich sein, sind wir nun in der Lage, dank einer funktionierenden virtuellen Mobilität auch Alternativen umzusetzen.“
Die Anpassung an ein Krisenregime mit Online-Konferenzen und Projektrealisationen über den Bildschirm ist in vielen Fällen gelungen. Dabei half, dass die Projektkoordinatoren von Tandem mit ihren Partnerschulen und -organisationen oft schon seit langer Zeit zusammenarbeiten. Wie Tarabová resümierte, haben in den 20 Jahren mehr als 200 Einrichtungen in Tschechien und Deutschland am Austausch der Praktikanten teilgenommen. Den Lehrern komme dabei eine besonders wichtige Funktion zu, weil sie nicht nur die Schüler motivierten, sondern oft auch die Direktoren, Kollegen oder Eltern zum Mitmachen überzeugten, so Tarabová. Ihre Kollegin Kathrin Freier-Maldoner, die Chefin von Tandem Regensburg, fasste zusammen:
„Was für ein wunderbares Programm und welch eine Dimension! Ich bin tief beeindruckt, wie viele Teile zusammenspielen, um es möglich zu machen – von den geldgebenden Einrichtungen, die den finanziellen Rahmen stellen, über die Berufsschulen und Ausbildungsbetriebe bis hin zu den jungen Menschen, die das Programm mit Leben füllen. Und was für ein cleveres Programm, das an der Gemeinsamkeit ansetzt, nämlich an einem ähnlichen Ausbildungsberuf. Es ist nicht die Sprache oder Nationalität – also nicht das Trennende, von dem man ausgeht –, sondern es ist die ähnliche Ausbildung, also das Verbindende.“
Auszubildende: Beim tschechisch-deutschen Jugendaustauch zu wenig vertreten
Hans-Peter Hinrichsen von der Deutschen Botschaft in Prag sieht die Bedeutung des Programms in seiner Ausrichtung auf Auszubildende:
„Diese Gruppe wird leider immer noch zu oft beim internationalen Jugendaustausch übersehen. Denn es sind gerade die Ausbildungsberufe, die häufig zu einer Anstellung im Nachbarland verhelfen. Und es sind Absolventen von beruflichen Ausbildungen, die sowohl in Deutschland als auch in Tschechien händeringend gesucht werden. Fachkräftemangel ist in unseren beiden Ländern ein großes Problem.“
Für diese Bemühungen hat Tandem in den 20 Jahren insgesamt 4,5 Millionen Euro ausgegeben. Fast die Hälfte der Gelder, mit denen die Koordination der internationalen Praktika finanziert wird, kommt vom Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds. Geschäftsführer Tomáš Jelínek lobte das Programm als eines der wichtigsten seiner Art im Rahmen des bilateralen Jugendaustausches. Dank Tandem werde das Netzwerk der teilnehmenden Schulen und Organisationen ständig erweitert:
„Es ist unschätzbar, wie das Programm zur späteren grenzüberschreitenden Arbeitsmobilität beiträgt. Das ist unseren gegenseitigen Beziehungen sehr zuträglich. Es wird immer wieder deutlich, dass Tandem in dieser Hinsicht oft einen Schritt voraus ist. Wir haben gerade eine kleine Studie in den Grenzregionen durchgeführt, bezüglich der Corona-Krise und den Grenzschließungen. Dabei hat uns überrascht, dass gerade die sehr wichtige Gruppe der Pendler eigentlich gar nicht so enge Kontakte ins Nachbarland hat, wie wir es erwartet hätten. Oft handelt es sich lediglich um Arbeitsbeziehungen. Und manchmal kommen sie mit den deutschen Kollegen gar nicht in Kontakt, so dass sich da kaum etwas entwickeln kann. In der Hinsicht kann sich unsere gesamte Gesellschaft von Tandem inspirieren lassen.“
Jelínek hob zudem die Wechselseitigkeit des Praktikantenaustausches hervor. Es sei förderlich, dass eben nicht nur Fachkräfte ins andere Land geschickt werden und womöglich später dort auch arbeiten, sondern gleichzeitig Auszubildende aus Deutschland nach Tschechien kommen und hier eine mögliche Perspektive präsentiert würde.
In dieser Hinsicht gibt es allerdings ein leichtes Ungleichgewicht im Programm von Tandem. Während der 20 Jahre seiner Durchführung kamen nur 43 Prozent der Praktikanten aus Deutschland, aber 57 Prozent aus Tschechien. Insgesamt waren es 6676 Jugendliche. Sehr ausgeglichen ist hingegen die Genderstruktur der Teilnehmer, die jeweils zur Hälfte männlich oder weiblich sind.
Jeweils zur Hälfte weibliche und männliche Teilnehmer
Nicht selten werden dabei die Klischees von geschlechtstypischen Berufen überwunden. Am häufigsten vermittelt Tandem Praktikumsplätze im Hotel- und Gaststättengewerbe, im kaufmännischen Bereich sowie im Baugewerbe und der Holz- und Kunststoffverarbeitung. Gefragt sind außerdem Forstarbeit und Landwirtschaft, der soziale und Gesundheitsbereich, Praktika als Koch oder in Elektroberufen. Marius Meier witzelte, vermutlich sei nur die Schifffahrt nicht vertreten. Der Pädagoge von Tandem Regensburg erläuterte zudem, dass gerade mit der beruflichen Spezialisierung noch ein weiterer bedeutsamer Aspekt des Praktikantenaustausches zusammenhänge:
„Die Sprachanimateure sind ein sehr wichtiger Bestandteil dieses Programms. Denn mit den Vorbereitungstagen, mit der Sprachanimation und der Orientierung vor Ort wird das erste Eis gebrochen. Im Gegensatz zur klassischen Sprachanimation kommen bei diesem Konzept noch weitere inhaltliche Bausteine hinzu – sei es etwa die Fahrt zur Einsatzstelle, die Fahrt mit den öffentlichen Verkehrsmitteln im fremden Land oder auch der Fachwortschatz, der in klassischen Kursen nicht den Stellenwert hat wie bei uns im Förderprogramm.“
Die Erfahrung zeige, so fuhr Meier fort, dass es gerade dieser zusätzliche Service sei, der die Schulen von der Zusammenarbeit mit Tandem überzeuge. Und er fördere die gegenseitige Verständigung der Praktikanten selbst. Davon profitiert haben etwa die Auszubildenden zweier Schulen, die sich erst vor kurzem als Projektpartner zusammengetan haben. Die Fachschule für Design und Mode im mährischen Prostějov / Proßnitz und das Berufliche Schulzentrum im oberfränkischen Selb konnten die neuen Kontaktmethoden der virtuellen Mobilität gleich ausprobieren, denn sie haben mitten in Pandemiezeiten ein grenzüberschreitendes Fotoprojekt durchgeführt. Kamila Kmentová lehrt in Prostějov und berichtete von ihrer anfänglichen Skepsis:
„Als ich eine E-Mail bekommen habe, ob wir Interesse an einer virtuellen Zusammenarbeit hätten, ging mir als Einziges durch den Kopf: Nein, auf keinen Fall. Also habe ich so getan, als ob ich diese E-Mail gar nicht gelesen hätte, und nicht darauf geantwortet. Dann kam es zum Telefonat, und da war es schon viel schwieriger abzulehnen. Denn was ich bei Tandem sehr schätze, das sind die enge Zusammenarbeit und die persönlichen Beziehungen zu den einzelnen Mitarbeitern. Wir stehen nun schon seit drei Jahren in sehr engem Kontakt zueinander, und alles kann geregelt werden.“
Fotoprojekt "Time of Corona"
Aktuelles Ergebnis dieser Partnerschaft ist eine Fotoserie mit dem Namen „Time of Corona“. Anhand der von Tandem gestellten Instant-Kameras haben die Fachschüler neue Techniken ausprobieren können und Inspiration gefunden in den schwierigen Pandemie-Zeiten. Dabei haben sich die Teilnehmer ihre Werke abwechselnd digital zugeschickt. Benedikt Meyer, Lehrer an der Berufsschule in Selb, führte weiter aus:
„Die Fotografie ist ein günstiges Medium, um es ortsversetzt zu bearbeiten. Ohnehin lebt das Produktdesign davon, dass mehrere Menschen an unterschiedlichen Orten der Welt an den gleichen Themen arbeiten. Diese Arbeitsweise ist uns also geläufig. Die Besonderheit der Pandemie hat uns zudem gezwungen, schnell funktionsfähige Methoden zu entwickeln. Uns alle, egal in welcher Disziplin, hat Corona genötigt, ganz schnell ganz viel zu lernen über digitale Austauschmöglichkeiten. Die Lernkurve war hier extrem hoch.“
Dank des Austauschprogramms konnten den Praktikanten nicht nur technische Hilfsmittel zur Verfügung gestellt werden. Durch Online-Konferenzen sorgte Tandem außerdem für den nötigen persönlichen Austausch über die Grenze hinweg, und dies trotz strenger Kontaktbeschränkungen.
Auch wenn diese Beschränkungen aktuell fast aufgehoben sind, gestaltet sich die Arbeit im Tandem-Team immer noch nicht so wie in Vor-Corona-Zeiten. Die Regensburger Chefin Freier-Maldoner gab zum Abschluss deshalb einen vorsichtigen Ausblick:
„Für Tandem ist es jetzt erst einmal wichtig, dass wir erneut in den Austausch gehen können. Wir sind noch nicht wieder bei einer Normalität angelangt. Der persönliche Kontakt ist das Zentrale des Programms. Wir hoffen, dass diese Normalität bald wieder eintritt. Kurzfristig ist es außerdem notwendig, wieder die Partnerschaften in Gang zu bringen, die es vor der Pandemie gab. Denn ein nahtloses Weitermachen in der Zusammenarbeit ist keine Selbstverständlichkeit. Es gab einige personelle Wechsel, Übergaben konnten nicht erfolgen, die Partner kämpfen mit den Herausforderungen der Pandemie und können sich solchen Programmen vielleicht nicht mehr widmen. Dies wird für uns ein Fokus sein.“
Auf längere Frist soll das Programm dann auch mit neuen Partnerschaften angereichert werden. Mit Blick in diese Zukunft wurden beim Festakt in der Deutschen Botschaft gute Nachrichten für die Teams aus Pilsen und Regensburg verkündet. Nicht nur der Deutsch-Tschechische Zukunftsfonds sagte die weitere Unterstützung des Praktikantenaustausches zu. Auch Martina Jeřichová von der Nationalen Agentur in Prag konnte verkünden, dass die Finanzierung für Tandem aus diesem Topf für den neu beginnenden Programmzeitraum bis 2027 gesichert ist.