Diplomat in schweren Zeiten: Ferdinand Marek und die österreichisch-tschechoslowakischen Beziehungen

Ferdinand Marek

Er war ab 1918 der erste diplomatische Vertreter Österreichs in der Tschechoslowakei. Und er erneuerte hierzulande auch die Tätigkeit der österreichischen Botschaft nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Rede ist von Ferdinand Marek, einem gebürtigen Prager, der aber in den Diensten Österreichs stand. Er starb vor 75 Jahren, und deswegen wurde vergangene Woche an der österreichischen Botschaft in Prag eine Gedenktafel für ihn enthüllt. Im Folgenden mehr zum Schicksal von Ferdinand Marek.

„Heute, an seinem 75. Todestag, gedenken wir Ferdinand Mareks, eines großen österreichischen Diplomaten“, so leitete die österreichische Botschafterin Bettina Kirnbauer die Gedenkfeier am Mittwoch vergangener Woche ein. Zum Höhepunkt der Veranstaltung wurde eine Gedenktafel am Botschaftsgebäude enthüllt. Sie trägt die Worte:

„Zur Erinnerung an den Diplomaten Ferdinand Marek, der 1945 in diesem Gebäude die Tätigkeit der österreichischen Gesandtschaft wiederaufnahm und vielen Landsleuten Schutz und Hilfe bot. In die Sowjetunion verschleppt, starb er am 4. Mai in Haft in Moskau. 1993 wurde er rehabilitiert.“

Bettina Kirnbauer und Karel Schwarzenberg an der Gedenktafel | Foto: Till Janzer,  Radio Prague International

Dass nun diese Gedenktafel installiert wurde, geht auf eine Initiative des früheren tschechischen Außenministers Karel Schwarzenberg zurück. Er hatte bei Botschafterin Kirnbauer angeklopft und auf den nahenden runden Todestag aufmerksam gemacht. Nach der Gedenkveranstaltung sagte die Diplomatin gegenüber Radio Prag International:

„Ferdinand Marek war ein großer Kollege, der leider unter sehr unglücklichen Umständen in die Nachkriegswirren geraten ist und in Moskauer Haft starb. Aber davor hat er vielen Menschen das Leben gerettet. Für uns war es ein großes Anliegen, an ihn, seine Leistungen und seinen großen Mut zu erinnern.“

Kontakte bis hoch zum Präsidenten

Geboren wurde Ferdinand Marek im Januar 1881 im damaligen Prag-Karolinenthal, dem heutigen Stadtteil Karlín. In Prag und Wien studierte er Jura. Ab 1915 war er für das Kriegsministerium in Wien tätig. Nach Ende des Ersten Weltkriegs wurde Marek im November 1918 als diplomatischer Vertreter Österreichs nach Prag geschickt. Er habe Tschechisch wie Deutsch gesprochen, sagt David Schriffl. Der Geschichtswissenschaftler leitet das historische Referat „Rudolf Agstner“ am österreichischen Außenministerium:

David Schriffl | Foto: Till Janzer,  Radio Prague International

„Das hat einen großen Unterschied gemacht. Es gibt Berichte von Politikern, die gemeint haben, er spräche besser Tschechisch als sie selbst. Diese persönliche Ebene ist in der Diplomatie wichtig. Marek hat sie auch durch seinen langen Aufenthalt in Prag verkörpert. Und trotz verschiedener Reibungsflächen im politischen Bereich war er ein großer Aktivposten in den bilateralen Beziehungen.“

Dass die Beziehungen zwischen der jungen Tschechoslowakei und der ebenfalls neu entstanden Österreichischen Republik schwierig waren, erklärt sich aus der gemeinsamen Geschichte. Denn Tschechen und Slowaken kämpften gegen Ende des Ersten Weltkriegs für die Loslösung von der Habsburger Monarchie. Umso wichtiger war wohl Ferdinand Marek – jemand, der die Gemeinsamkeiten beider neuen Staaten verkörperte. Ota Konrád ist Historiker am Institut für internationale Studien der Prager Karlsuniversität und Mitglied der Ständigen Konferenz österreichischer und tschechischer Historiker zum gemeinsamen kulturellen Erbe:

Tomáš Garrigue Masaryk | Quelle:  Nationalmuseum in Prag,  eSbírky,  CC BY-NC-ND 4.0 DEED

„Seine Bedeutung bestand vor allem darin, dass er als langjähriger österreichischer Gesandter in der Tschechoslowakei sehr gute Beziehungen zu den Politikern in Prag pflegte. Dazu gehörten Staatspräsident Masaryk sowie sein Nachfolger Edvard Beneš, der zuvor Außenminister war. Wegen seiner Kontakte war Marek fähig, über viele Probleme direkt in Prag zu sprechen und häufig auch Konflikte zu lösen. Dazu muss man sagen, dass die Beziehungen zwischen beiden Staaten nicht reibungslos waren. Und das vor allem ab Mitte der 1930er Jahre, als in Österreich das Dollfuß-Schuschnigg-Regime entstand und die emigrierten österreichischen Sozialdemokraten in Prag ein Büro eröffneten. Es gab zunehmend Konflikte und Diskussionen zwischen Prag und Wien. Da wurde es auch für Marek problematisch, in diesem Umfeld noch zu steuern und Kompromisse zu finden.“

Ferdinand Marek stand im Übrigen nicht wie andere schon zu k. u. k.-Zeiten im diplomatischen Dienst. Doch in seiner neuen Rolle machte er sich gleich verdient um den Erwerb des Gebäudes in Prag, in dem noch bis heute die Botschaft Österreichs sitzt. Diese liegt nicht wie die Vertretungen vieler weiterer Staaten im Stadtzentrum, sondern im Arbeiterviertel Smíchov.

Botschaft Österreichs | Foto: ŠJů,  Wikimedia Commons,  CC BY-SA 3.0

„Marek hatte als erster Gesandter auch den Auftrag, sozusagen eine Unterkunft für die österreichische Vertretung zu finden. Er hat dann verschiedene Gebäude ausgesucht. Wie das häufig so ist, waren die erstgereihten zu teuer für die Republik. Zudem hatte er im Sinn, eine Residenz und ein Gesandtschaftsgebäude anzukaufen. Das wurde dann auf ein Gebäude reduziert, das beides war. Deswegen hat er auch hier gewohnt“, so David Schriffl.

Wie Historiker Ota Konrád ergänzt, war man bei der tschechoslowakischen Regierung froh, dass Smíchov zum Sitz der österreichischen Vertretung wurde:

Ota Konrád | Foto: Till Janzer,  Radio Prague International

„In den Dokumenten lässt sich lesen, dass die Beamten des tschechoslowakischen Außenministeriums mit einer gewissen Genugtuung zur Kenntnis nahmen, dass das ‚alte Österreich‘ mit all seinen negativen Konnotationen nur eine Vertretung am Rande Prags bekam.“

Ferdinand Marek vertrat Österreich bis 1938 – also auch dann noch, als Bundeskanzler Engelbert Dollfuß sowie sein Nachfolger Kurt Schuschnigg an der Macht waren. Sie ersetzten ab 1933 die Republik durch einen faschistischen Ständestaat.

Schwierig wurde für den Diplomaten erst die Zeit nach dem sogenannten „Anschluss“ Österreichs an Deutschland im März 1938 und vor allem dann mit der Besetzung der restlichen Tschechoslowakei durch Hitler ein Jahr später. Und das auch, weil seine Frau jüdisch war…

An der österreichischen Botschaft in Prag wurde eine Gedenktafel für Ferdinand Marek enthüllt | Foto: Till Janzer,  Radio Prague International

„Er geriet sofort unter Druck, da er für die Nazis als Vertreter des österreichischen Ständestaat-Regimes galt. Ferdinand Marek stand also unter Beschuss. In dieser Lage wurden seine persönlichen Kontakte wichtig, damit es ihm nicht noch schlechter ging. So hat sich auch der deutsche Gesandte für ihn eingesetzt. Und seine Frau konnte noch das Land verlassen, bevor sie die rassische Verfolgung getroffen hätte. Das Gesandtschaftsgebäude wurde entzogen und dem deutschen Reichsfiskus überschrieben. Marek musste daher auch die Dienstwohnung verlassen. Er und seine Familie standen damit auf der Straße, aber die Schwarzenbergs sprangen ein und stellten ihr eine Wohnung zur Verfügung. Der ehemalige Gesandte war dann privatwirtschaftlich tätig und verbrachte die Kriegszeit in Prag“, berichtet Schriffl.

Hilfe für Österreicher und Verhaftung

Nach Kriegsende stellte sich Ferdinand Marek sofort wieder in den Dienst der österreichischen Diplomatie. Zusammen mit dem früheren Generalkonsul in Prag, Herbert Schallenberg, erneuerte er die Tätigkeit der Gesandtschaft. Dabei wurden mehrere Tausend Flüchtlinge im Gebäude der Vertretung aufgenommen und mit Ausreisepapieren versorgt. Es handelte sich um jene, die bis zum „Anschluss“ österreichische Staatsbürger gewesen waren, oder Sudetendeutsche, die nun vertrieben wurden und sich als Österreicher verstanden. David Schriffl:

Vertreibung der Sudetendeutschen | Foto:  Nationalmuseum in Prag,  eSbírky,  CC BY 4.0 DEED

„Die Repatriierung dieser Personengruppen war die erste Aufgabe für alle österreichischen Stellen in der Tschechoslowakei. Es gab mehrere solche Stellen, unter anderem in Brünn und in Bratislava. Zu Beginn war es nur in geringerem Umfang eine diplomatische Mission, sondern eher eine Hilfsmission für die in Not geratenen Bürger. Das hat er selbst organisiert, ohne Betrauung aus Wien, was letztlich zu einem Problem wurde. Aufgrund seiner persönlichen Kontakte wurde er von den tschechoslowakischen Behörden schnell als De-facto-Vertreter akzeptiert.“

Illustrationsfoto: Aaron Burden,  Unsplash,  CC0 1.0 DEED

Ferdinand Marek bemühte sich aber sehr um eine offizielle Anerkennung. Mehrmals wandte er sich an die entsprechenden Stellen in Wien. Am 21. Mai 1945 schrieb er zum Beispiel an den Legationsrat Karl Wildmann:

„Ich dachte, daß mir der Herr Staatskanzler irgendeine provisorische Vollmacht oder Zustimmung zukommen lassen wird, damit ich den Ämtern endlich einmal sagen kann, ich handle im Einvernehmen mit ihm. Bisher bin ich der reinste Usurpator, mache alles auf eigene Faust, improvisiere und verhandle (…). Kurz und gut ich spiele accreditierte Gesandtschaft, die jedoch zum Unterschied von normalen Zeiten keine Verbindung mit der Heimat hat und lustig drauf los improvisiert. Manchmal wird mir unheimlich zumute, aber das Bewußtsein, tausenden von Landsleuten Leben und Gesundheit gerettet zu haben, richtet mich wieder auf.“

Letztlich half das aber nicht…

„Aus Wien kamen gute Worte, aber keine Betrauung. Die Gründe dafür sind nicht endgültig belegbar. Es gibt mehrere Theorien, warum das passiert ist. Möglicherweise hat die kommende Verhaftung schon ihren Schatten vorausgeworfen, und man wollte nicht, dass ein beglaubigter österreichischer Gesandter dann festgenommen wird. Das ist aber leider nicht eindeutig zu belegen, es bleibt also eine Hypothese“, erläutert David Schriffl.

Mai 1945 in Prag | Foto:  Nationalmuseum in Prag,  eSbírky,  CC BY 4.0 DEED

Für diese spricht allerdings auch, dass sein Nachfolger recht schnell beglaubigt wurde. Ferdinand Marek indes wurde Ende Mai 1945 von den Sowjets verhaftet. Dazu der Historiker:

„Marek ist ja in der Kriegszeit in Prag geblieben. Und von der sowjetischen Spionageabwehr wurde ihm vorgeworfen, mit der Gestapo zusammengearbeitet zu haben. Wegen der jüdischen Herkunft seiner Frau war er unter Druck gesetzt worden. Es scheint so zu sein, und er selbst hat es in sowjetischer Haft auch in Protokollen bestätigt – was man aber immer mit Vorsicht beurteilen muss –, dass er solche Berichte geschrieben hat. Allerdings hat er nur offene Quellen genutzt. Er wurde dazu gedrängt, mit seinen persönlichen Kontakten zu sprechen und seine Kenntnisse mitzuteilen. Das wurde ihm offiziell vorgeworfen, und deswegen wurde er auch verhaftet. Am 23. Mai wurde er zu einem Gespräch in die Prager Stadtkommandatur bestellt und von dort nicht mehr weggelassen. Der Haftbefehl trägt das Datum 26. Mai, aber de facto war er da schon festgesetzt. Marek wurde dann ins Hauptquartier nach Baden bei Wien überstellt, dort verhört und anschließend nach Moskau gebracht. Seit den 1990er Jahren lassen sich die Akten einsehen. Und da lässt sich interessanterweise feststellen, dass die sowjetischen Stellen die genannten Vorwürfe sehr bald nicht weiter verfolgt haben. Es gab auch intern Überlegungen, die Ermittlungen einzustellen.“

Da hatte Ferdinand Marek aber schon schwerwiegende gesundheitliche Probleme. Viel zu spät an ein Gefängniskrankenhaus überstellt, starb er in der Haft. Erst 1993 wurde Marek von den russischen Behörden rehabilitiert.

Autor: Till Janzer
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