Dirigent Jakub Hrůša in London: „Mit Jenůfas Geschichte kann sich jeder identifizieren“
Jakub Hrůša ist derzeit der meistgefragte tschechische Dirigent. Der Chefdirigent der Bamberger Symphoniker wird ab nächster Spielzeit Musikdirektor der Royal Opera in London. Hrůša dirigiert dort diese Woche zum ersten Mal Janáčeks Oper „Jenůfa“. Über die bevorstehenden Vorstellungen hat Martina Schneibergová am Telefon mit dem Dirigenten gesprochen.
Herr Hrůša, ab nächster Spielzeit sind Sie Musikdirektor der Royal Opera in London. Die erste Oper, die Sie nun als designierter Musikdirektor dirigieren, ist Janáčeks „Jenůfa“. Welche Stellung hat dieses Werk im internationalen Opernrepertoire?
„Ich glaube, Janáček insgesamt ist einer der wichtigsten Opernkomponisten zumindest des 20. Jahrhunderts, wenn nicht der ganzen Geschichte. Und ,Jenůfa‘ ist sicher sein erstes Meisterwerk und vielleicht eines der Werke, die mit dem Publikum am universellsten kommunizieren. Natürlich ist Janáček kein Giuseppe Verdi oder Wolfgang Amadeus Mozart. Das Publikum hat allgemein vielleicht eine differenziertere Einstellung zu seinen Werken. Aber ich bin davon überzeugt, dass jeder, der wirklich mit einem offenen Herz ins Theater geht, von diesem Werk berührt sein muss. Es ist eine Geschichte und Musik, die ganz unmittelbar funktioniert und direkt ins Herz geht. Ich habe auch gehört, dass viele Leute, die Vorurteile gegenüber Opern hatten und dachten, dass dies kein Genre für sie sei, durch dieses Werk oder durch Janáčeks Musik allgemein erfolgreich emotional in die Opernwelt eingestiegen sind. Denn es ist etwas anderes als Werke, die mit der Tradition und mit diesen Klischees der Opernwelt arbeiten. ‚Jenůfa‘ ist direkter, vielleicht auch menschlicher, realistischer. Jeder kann sich damit sozusagen identifizieren. Ich bin derzeit ja nur designierter Musikdirektor der Oper. Trotzdem hat man das Gefühl, dass es schon die erste richtige gemeinsame Zusammenarbeit ist, in der sich widerspiegelt, wie es zwischen uns funktioniert. Und ich muss sagen, es ist eine tolle Zusammenarbeit. Sie macht mir viel Spaß. Die Besetzung ist unglaublich gut. Das Orchester und der Chor sind so engagiert, dass man sich das gar nicht besser vorstellen kann. Und ich bin deswegen echt sehr froh.“
Die Hauptrolle der Jenůfa singt Corinne Winters. Mit ihr haben Sie zuvor einige Male zusammengearbeitet. Sie hat mir einmal gesagt, sie habe eigentlich wegen Janáček angefangen, Tschechisch zu lernen. Wie ist die Zusammenarbeit mit ihr als Sängerin?
ZUM THEMA
„Es ist einfach ideal, was wir zusammen kreieren. Sie ist so grenzenlos engagiert in dieser Musik. Es ist nicht nur so, dass sie diese Rolle toll kennt und jedes Wort, jede Note mit Präzision beobachtet und aufführt. Wie Sie schon gesagt haben, ist sie eine Künstlerin, die wirklich glaubt, dass Janáček einer der wichtigsten und stärksten Komponisten ist, und dazu gehört, auch seine Kultur und seine Umgebung kennenzulernen. Corinne spricht jetzt schon Tschechisch und lernt immer weiter. Für sie ist es, glaube ich, eine Mission für das ganze Leben, nicht nur Janáček, sondern auch die tschechische Musik überhaupt zu repräsentieren. Corinne hat zum Teil einen ukrainischen Background. Die slawische Kultur ist für sie sehr wichtig, und sie fühlt sich in dieser Musik und in diesen Theaterstücken zu Hause und möchte sie weiter entdecken. Wir haben auch andere Pläne. Sie singt genauso gerne zum Beispiel das italienische Repertoire. Eine ihrer Prioritäten ist jedoch Janáček und die tschechische Musik. In diesem Sinne kann man sich keine bessere Mitarbeiterin vorstellen.“
Ich möchte Sie noch nach zwei weiteren Persönlichkeiten von der Jenůfa-Besetzung fragen: Karita Mattila, die derzeit vielleicht als die beste Kostelnička gilt, und Nicky Spence, den die tschechischen Opernfans vor kurzem in Brno als Herrn Brouček bewundern konnten. Wie sehen Sie die beiden als Darsteller?
„Wieder ein Traum, ehrlich gesagt. Karita ist natürlich eine Sängerin, die ein Star ist und alle wichtigen Rollen von Janáček für ihre Stimme gesungen hat. Sie vertraut mir. Das ist, glaube ich, sehr wichtig, denn wenn sie auf der Bühne nicht zufrieden ist, kann das eine Komplikation sein, da sie eine Persönlichkeit mit unglaublich starken Vorstellungen ist. Also eine Diva im eigentlichen Sinne des Wortes, aber gleichzeitig eine Persönlichkeit, die sich, wenn sie von dem Konzept des Regisseurs und der Vorstellung des Dirigenten überzeugt ist, grenzenlos und unglaublich stark engagiert. Sie ist eine der am stärksten dramatisch fühlenden Persönlichkeiten der Opernwelt. Und Nicky ist einfach ein unglaublich gutes Herz. Er hat auch viel Janáček gesungen. Ich würde trotzdem sagen, dass der Unterschied zwischen Karita und Nicky auf der einen Seite und Corinne auf der anderen relativ groß ist. Die ersten zwei sprechen Tschechisch sehr gut aus. Sie haben eine tolle Erfahrung mit der Sprache, in dem Sinne, dass sie wissen, wie die Sprache auf der Bühne zu benutzen ist. Mit Corinne ist es ein bisschen anders, weil sie die Sprache auch wirklich spricht. Sie kann eine einfache Konversation mit uns Tschechen führen. Trotzdem ist am Ende aber das Wichtigste, dass es gut klingt, wenn man singt. Und das können alle drei unglaublich schön. Ich muss sagen, dass sie nicht nur fantastische Sänger sind, sondern auch die idealen Darsteller für diese Rollen. Sie passen unglaublich gut zusammen. Und es ist sehr berührend, sich dieses Paar, Jenůfa und Laca, nur anzuschauen, auch wenn sie noch gar nicht singen. Wie sie aussehen, wie sie das einfach als Schauspieler darstellen – das ist sehr rührend und toll.“
Die erste Jenůfa-Vorstellung, die Jakub Hrůša dirigiert, findet am 15. Januar in London statt, es folgen Reprisen am 18., 23., 27. und 30. Januar sowie am 1. Februar. Beginn ist jeweils um 19 Uhr.
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