Don Quijote aus dem Exil: Jan Šinágl

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In den Jahren 1968-1989 sind den Historikern zufolge etwa 200.000 tschechoslowakische Bürger ins Exil gegangen. Nach der vorübergehenden Grenzöffnung von 1968 beziehungsweise 1969 war es während der Zeit der so genannten „Normalisierung“ bedeutend schwieriger, nach Westeuropa auszureisen. Auch Jan Šinágl ist es erst nach einigen Jahren gelungen, zu emigrieren:

„Nach fast vier Jahre dauernden Versuchen habe ich es schließlich geschafft, das Land zu verlassen – ich bin offiziell mit einem Reisebüro gereist. Für die Emigration habe ich mich aus einigen Gründen entschieden: Ich hatte Probleme in der Arbeit und wegen der Vergangenheit meiner Eltern durfte ich nicht studieren. Als ich die Lehre als Maschinenschlosser abgeschlossen habe, habe ich immer mehr und mehr daran gedacht, dass ich mal weg muss und dass es keinen Sinn mehr hat, in diesem Land zu bleiben.“

Konnten Sie sich damals vorstellen, dass der Kommunismus mal doch zusammenbrechen könnte?

„Ich glaube nicht. Daran habe ich gar nicht gedacht. Dies war der Grund, warum ich weg wollte.“

Eine neue Heimat haben Sie in der Schweiz gefunden. Wo haben Sie gearbeitet?

„Ich habe als Mechaniker bei einer Firma in der Nähe von Luzern angefangen, die Fitnessgeräte herstellte. Danach arbeitete ich bei der bekannten Aufzugfirma Schindler: zuerst als Mechaniker und später als Programmierer – das war eine interessante Arbeit. Dann ging ich zu einer Computerfirma. Schließlich habe ich als Abteilungsleiter in einer Abteilung gearbeitet, die ich selbst aufgebaut hatte.“

Die Tschechoslowakei konnten Sie erst nach der Wende von 1989 wieder besuchen und anfangs pendelten Sie zwischen der Schweiz und der Tschechoslowakei hin und her. Wann entschieden Sie sich, sich hier wieder niederzulassen?

„Ich sage es so: Als ich 50 wurde, habe ich die Schweiz in den Gedanken nach 20 Jahren so zu sagen verlassen. 30 Jahre lang hatte ich damals in einem kommunistischen und 20 Jahre lang in einem demokratischen Land gelebt. Offiziell bin ich seit 2003 als Auslandsschweizer mit Daueraufenthalt als engagierter Bürger und Journalist in Tschechien tätig.“

Wie waren Ihre Vorstellungen über die Heimat nach der Wende und haben sie sich erfüllt?

„Am Anfang sieht man alles idealistisch, manchmal meint man, dass man einiges besser weiß als die anderen Leute hier zu Hause. Ich musste aufpassen, dass ich nicht wie ein Besserwisser wirke, und bemühte mich darum, mit Worten und Taten etwas in Bewegung zu bringen. Durch meine Tätigkeit habe ich die kranke Gesellschaft näher und näher kennen gelernt. Während der Jahre hat sich der Bereich, in dem ich mich engagiere und über den schreibe, erweitert. Ich meine, dass es hier in Tschechien an positiven Beispielen mangelt. Es gibt allzu viele negative Beispiele, und die jungen Menschen kopieren sie – oft im guten Glauben.“

Kommen Sie sich nicht manchmal wie ein Don Quijote vor, wenn Sie sich für etwas einsetzen, was kaum Chancen an Erfolg hat?

„Bereits 1987 hat eine meine Freundin vom Clevelander Sokol-Verein gesagt: Du bist ein Don Quijote. Aber für mich ist alles eine Herausforderung, denn ich bin vielleicht eine Ausnahme. Viele Leute machen mit, wenn etwas Erfolg bringt und hören auf, wenn es nicht klappt. Mir verleiht ein Versagen aber noch mehr Energie.“

Ob es um die Einhaltung der Menschenrechte in Tibet oder um einen ungerecht verurteilten tschechischen Bürger geht: Jan Šinágl ist hartnäckig und scheinbar unermüdlich. Das Archiv zu diesen Themen, die er auf seiner Webseite zur Verfügung stellt, kann fast mit dem Service einer Presseagentur verglichen werden. Für seinen größten Erfolg in der letzten Zeit hält er die Eröffnung einer Fotoausstellung im Prager Emmaus-Kloster, die die Gräueltaten der russischen Armee in Tschetschenien dokumentiert.