Ivan Binar und der Sprung aus dem Fenster eines brennenden Hauses
Das Schreiben ist für Ivan Binar weder Beruf noch Berufung - ein ungewöhnliches Bekenntnis für einen Schriftsteller. Doch in Ivan Binars Leben ist manches ungewöhnlich verlaufen – wenn nicht sogar paradox. So endete die Aufführung eines harmlosen Musicals mit einer gerichtlichen Verurteilung. Ein paar Jahre darauf entschied sich Ivan Binar, nach Österreich ins Exil zu gehen – allerdings nicht freiwillig. Trotz solcher Paradoxe zieht sich ein roter Faden durch Ivan Binars Leben: Der Schriftsteller ist sich selbst und seinen Grundsätzen stets treu geblieben.
Herr Binar, Sie wurden 1942 im mährischen Boskovice geboren. Seit Ihrer Rückkehr aus dem Exil nach der Wende leben Sie in Prag. Fühlen Sie sich als Mähre, Böhme oder Tscheche?
„Ich glaube, ich fühle mich als Mensch und als Europäer.“
Im mährischen Schlesien haben Sie auch Ihre Berufslaufbahn begonnen, und zwar als Lehrer in Ostrau…
„Ich habe in Ostrau studiert, unterrichtet habe ich danach nur ein knappes Schuljahr. Ich war kein guter Lehrer, ich fühlte mich in diesem Beruf nicht wohl, denn eigentlich wollte ich etwas anderes machen.“
Sie sind Lehrer geworden, weil Sie damals nichts anderes studieren konnten…
„Ja. Nach dem Abitur in Opava wollte ich Tierarzt werden. Aber mein Vater war nicht in der kommunistischen Partei und es war mir verboten, an einer Hochschule zu studieren. Aber dann fand meine Mutter einen Fürsprecher an der Fakultät in Ostrau, und so konnte ich endlich da studieren.“
Und wie haben Sie dann zur Literatur gefunden?
„Eigentlich wollte ich zuerst Maler werden. Ich habe auch bildende Kunst studiert, neben Tschechisch. Als ich aber später im Gefängnis war, da hatte ich keine Möglichkeit zu malen, doch schreiben konnte ich im Gefängnis. Das Schreiben war also praktisch, das kann man überall tun.“
Da sind wir jetzt schon in den siebziger Jahren. Zuvor war aber noch der „Prager Frühling“ im Jahr 1968, also der Versuch, einen „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“ zu schaffen. Wie haben Sie den „Prager Frühling“ und die Zeit unmittelbar danach erlebt?
„Wir hatten damals in Ostrau ein Theater. Bereits nach der Okkupation im August 1968 haben wir dort ein Theaterstück aufgeführt. Es war die Paraphrase eines Kinderbuchs des russischen Autors Valentin Katajew. Wir haben uns in dem Stück über die sowjetischen Soldaten lustig gemacht. Aber wir haben es übertrieben und die Staatssicherheit hat uns verhaftet und ins Gefängnis geschickt.“
Sie sprechen von dem Musical „Der Sohn des Regiments“. Sie wurden dann vor Gericht gestellt. Was hat man Ihnen konkret vorgeworfen?
„Aufwiegelung und Feindschaft der Sowjetunion gegenüber.“
Sie waren danach ein Jahr im Gefängnis. Das ist eine lange Zeit. Kann man eine solche Erfahrung je überwinden?
„Überwinden kann man sie, aber vergessen kann man sie nicht.“
1977 wurden Sie dann aus der Tschechoslowakei ausgewiesen. Hing das damit zusammen, dass Sie die „Charta 77“ unterzeichnet haben?„Durchaus. Aber schon vor der Charta 77 habe ich Zeitschriften aus dem Westen für meine Freunde von Prag nach Ostrau geschmuggelt. Außerdem habe ich mit verschiedenen Personen verkehrt, die beim Regime nicht besonders gut angeschrieben waren. Auch habe ich bei der ´Edice petlice´, das war ein Untergrund-Verlag, publiziert. Ich habe dort ein Buch herausgebracht. Die Staatssicherheit war irgendwie böse auf mich. Ich hatte Verhöre. Dann hat sie mir ein Angebot gemacht: Ich sollte entweder mit ihr zusammenarbeiten und meine Freunde denunzieren oder, als zweite Möglichkeit, wieder ins Gefängnis zurückkehren - aber nicht nur ein Jahr, sondern wesentlich länger. Die dritte Möglichkeit war: raus aus der Tschechoslowakei. Ich habe diese dritte Möglichkeit gewählt. Mit der ganzen Familie, mit meiner Frau und den zwei Kindern, sind wir nach Österreich ausgewandert.“
Eigentlich sind Sie also ausgewiesen worden, Sie sind je nicht freiwillig gegangen. Können Sie, bevor wir zu Ihrer Zeit im Exil kommen, für unsere Hörer kurz in Erinnerung rufen, worum es bei der „Charta 77“ ging?
„Das war eine Petition gegen Menschenrechtsverletzungen. Es sollte die Regierung und die kommunistische Partei daran erinnern, dass sie ein mit der Schlussakte der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa auch eine Vereinbarung über die Menschenrechte unterzeichnet hatten. Wir, die Bürger, die die Charta 77 unterzeichneten, wollten erreichen, dass sich die Politiker daran halten.“
Ab 1977 waren Sie dann im Exil, zunächst in Wien. Wie war diese erste Zeit im Exil?
„Zuerst möchte ich erwähnen, wie gut es war, dass uns Bruno Kreisky, der Kanzler von Österreich, anbot nach Österreich zu kommen. Er hat uns eine neue Heimat geschaffen. Die ersten Erfahrungen damals würde ich mit der Situation eines Menschen vergleichen, der in einem brennenden Haus ist und aus dem Fenster springt. Wir waren plötzlich in einer ganz anderen Welt gelandet und gewissermaßen ohne Sprachen. Niemand aus unserer Familie sprach Deutsch, die Kinder waren klein, ich hatte dort keine Arbeit. Es war ziemlich hart und auch ziemlich riskant. Aber wir hatten keine andere Wahl. Wir mussten das tun.“
Welche Erinnerungen haben Sie an Wien?
„Die besten, muss ich sagen. Obwohl wir nicht viel Geld hatten und in Not lebten, war es sehr angenehm, dort zu sein. Wir haben sehr schnell Freunde gefunden und haben sehr gut gelebt.“
Nach sechs Jahren in Wien sind Sie 1983 nach München umgezogen und haben dort für die amerikanische Rundfunkstation Radio Freies Europa gearbeitet.
„Das war sehr gut, weil ich dabei auch Tschechisch schreiben und meinen Beruf frei ausüben konnte. Denn vor meiner Haft hatte ich in Ostrau als Redakteur gearbeitet.“
1994 sind Sie nach Tschechien zurückgekehrt. War das rückblickend die richtige Entscheidung?
„Das war eigentlich eine ganz natürliche Folge der damaligen Ereignisse. Wir sind nämlich mit dem Rundfunk nach Prag gekommen. Ich habe also einen Tag an meinem Schreibtisch in München gearbeitet und am nächsten Tag am Schreibtisch in Prag.“
Sie sind also mit Radio Freies Europa nach Prag zurückgekommen, das ja 1994 von München nach Prag umgezogen ist und jetzt noch immer von Prag aus sendet. Kommen wir jetzt aber zu Ihrer Literatur. Einige Bücher von Ihnen sind auch auf Deutsch erschienen. Den Anfang machte der Roman „Wer ist, was war Herr Gabriel“. Das zweite Buch, das es auch auf Deutsch gibt, heißt „Rekonstruktion“. Es befasst sich eigentlich auch mit Ihnen selbst. Sie schildern darin humorvoll die Verurteilung und die Wanderung durch verschiedene Gefängnisse. Dieser Roman ist vor einem Vierteljahrhundert entstanden…
„Das Schreiben war damals sehr abenteuerlich. Ich hatte Angst. Ich habe das Buch in Ostrau geschrieben, und das war gefährlich. Denn die Staatssicherheit wusste davon, dass ich so etwas schreibe, obwohl ich darüber nur mit ein paar Leuten gesprochen hatte. Aber dennoch war einer darunter, der mich denunzierte. Die Leute von der Staatssicherheit zitierten mir sogar Passagen aus dem Manuskript, an dem ich arbeitete.“
Politisch stehen Sie der Partei der Grünen nahe. Ihre Unterstützung für die Grünen haben Sie einmal auch damit begründet, dass diese Partei eine klare Sprache spreche und die Probleme deutlich beim Namen nenne. Sollte das nicht eine Selbstverständlichkeit sein?
„Es sollte so sein, ist aber nicht so. Die Politik verwendet eine Sprache, die nicht klar ist, sondern vielmehr eine Camouflage der Idee. Diese Sprache ist der Sprache von Orwell sehr ähnlich – dem „Newspeak“. Mit den Worten wird gezaubert, um nichts zu sagen oder nicht die Wahrheit zu sagen.“
Welches ist das letzte Buch von Ihnen, das auf Deutsch bei einem Verlag herausgekommen ist?
„Es ist ein funkelnagelneues Buch. Der Verleger Toni Kurz aus Horn hat darin vier Erzählungen von mir herausgegeben. Es ist unter dem Titel ´Vom Tier Jaromír´ erschienen – das war vor ungefähr zwei Wochen.“