Dvořáks erste Oper ‚Alfred‘: Beginn auf dem Weg zur Meisterschaft

Heiko Mathias Förster (Foto: Cornelia Fischer, Free Domain)

Mehr als 140 Jahre lag die erste Oper des Komponisten Antonín Dvořák – bis auf eine Ausnahme – in Vergessenheit. Der 29jährige Dvořák hat die Oper „Alfred“ im Jahr 1870 komponiert. Zu seinen Lebzeiten wurde sie weder aufgeführt noch herausgegeben. Später wurde sie nur einmal einstudiert, und zwar 1938 in Olmütz, damals allerdings in tschechischer Übersetzung. Dvořák vertonte in seiner ersten Oper ein Libretto des deutschen Romantik-Dichters Karl Theodor Körner. Es schildert den Heldenkampf der Briten unter Alfred dem Großen gegen die dänischen Wikinger im 10. Jahrhundert. Beim Festival „Dvořáks Prag“ erklang nun zum überhaupt ersten Mal die originale deutsche Version der Oper. Das einzigartige Konzert wurde mitgeschnitten und „Alfred“ soll bis Ende dieses Jahres auf einer CD herausgegeben werden. Radio Prag hat kurz vor dem Konzert mit dem Dirigenten Heiko Mathias Förster gesprochen.

Heiko Mathias Förster  (Foto: Cornelia Fischer,  Free Domain)
Sie leiten die Aufführung der Oper „Alfred“ von Antonín Dvořák. Wir war Ihr erster Eindruck, nachdem sie die Noten gesehen haben. Eine Aufnahme haben Sie nicht hören können, weil die Oper eigentlich bisher nicht aufgeführt wurde…

„Ich habe einen Klavierauszug zur Verfügung gestellt bekommen und den habe ich am Klavier erstmal durchgespielt. Schon nach wenigen Seiten habe ich zu meiner Frau gesagt, du, ich glaube, das ist keine Oper von Dvořák. Er hat das nicht komponiert, das ist ein Witz, das hat jemand anderes komponiert. Inzwischen, über die Monate der Vorbereitung weiß ich natürlich, dass es die erste Oper von Antonín Dvořák ist. Ich konnte das Autograph lesen, auch als wir uns auf die Suche gemacht haben: In einigen Stellen vermuteten wir Fehler, deshalb musste man natürlich im Autograph nachschauen. Und so ist die feste Überzeugung in mir entstanden, dass es sich tatsächlich um eine erste Opernarbeit von Antonín Dvořák handelt. Es ist tatsächlich nicht auf den ersten Blick oder nicht im ersten Moment des Hörens erkennbar. Den Dvořák, der auf der ganzen Welt geliebt wird – der eine Neunte Symphonie und die Oper ‚Rusalka‘ komponiert hat – diesen Antonin Dvořák hören wir in dieser frühen Oper noch nicht.“

Antonín Dvořák
Wie würden Sie die Oper charakterisieren – im Kontext anderer Werke von Dvořák oder im Kontext der Opernkunst jener Zeit?

„Wenn wir mal die Uraufführung der ‚Verkauften Braut‘ von Smetana als Vergleich nehmen: Das war 1866, also fast zur gleichen Zeit (vielleicht hat Dvořák sogar bei der Uraufführung im Orchester mitgespielt), dann müssen wir sagen, dass Dvořák seiner Zeit weit voraus war. Was sich als allererstes einstellt, ist die Überzeugung, dass dieser Mann sehr, sehr talentiert war. Ein sehr talentierter Musiker, dem schon als Anfänger, als Komponist einer ersten Oper, alle Möglichkeiten des symphonischen Orchesters zur Verfügung standen. Er hat alle Instrumente sehr schön gesetzt, er hat gute Wirkungen in seiner Kompositionstechnik erzielt, er hat sich in dieser Oper, die drei Akte und eine Ouvertüre hat, eine Überfülle von Melodien einfallen lassen. Er hat schnelle Wechsel von besonderen Situationen und von besonderen Charakteren erfunden. Das verdient auf jeden Fall unsere Hochachtung. Auch deshalb bin ich der Meinung, dass diese frühen Werke von Antonín Dvořák endlich auch gespielt werden müssen. Nicht, dass man beim Symphoniker Dvořák erst bei der Nummer Sieben anfängt. Ich persönlich habe die Symphonie Nummer 6 und die Symphonie Nummer 5 oft aufgeführt und finde diese Werke ganz toll. So müsste man eigentlich auch mit den Symphonien 1, 2, 3 und 4 verfahren. Und vielleicht tatsächlich auch mehrere frühe Opern, die alle noch nicht aufgeführt worden sind, alles, was vor der Oper ‚Wanda‘ komponiert wurde, noch nacharbeiten. Man muss das alles noch zu Gehör bringen.“

Wie schwierig war die Einstudierung? Welche Ansprüche legt der Komponist an die Sänger und Musiker?

„Diese Oper ist extrem schwer. Sie ist einerseits schwer, weil Dvořák einen sehr kräftigen, fast manchmal bombastischen Sound erfunden hat. Das Orchester spielt immer mit großem Ton, mit großer Kraft, oft auch pompös, bei der Begleitung von Chören zum Beispiel. Und so sind die Einzelstimmen sehr stark gefordert. Auch für das Orchester ist das eine sehr große Herausforderung und eine schwere Aufgabe, weil dieser frühe Dvořák uns nicht in jedem Moment erahnen lässt, wie seine Komposition, wie seine Melodie weiter gehen wird. Wir sind ständig überrascht, dass wir innerhalb von wenigen Takten durch die gesamte Harmonienwelt, die uns zur Verfügung steht, hindurchwandern. So eigensinnig und kreativ gleichzeitig hat er zu dieser Zeit seine Oper komponiert.“

Kann man auch Einflüsse durch andere Komponisten erkennen?

„Ja. Da bin ich sicher, dass er sich durch Musik, die er gerne mochte, die er sicherlich gerne gespielt hat oder die ihn sehr berührt hat, von Komponisten wie Schumann, Mendelssohn und Wagner, inspirieren lassen hat. Wir können dort deutliche Einflüsse hören. Aber nicht als Kopie. Jeder Zuhörer, der sich nur ein bisschen auskennt, wird nach dem Konzert sagen, das klang manchmal wie eine Wagner-Oper. Und sie liegen damit auch richtig. Aber – ich wiederhole mich – er ist so talentiert, dass das, was wir jetzt hier spielen, schon als eine eigenständige Komposition gelten muss, und als der Beginn auf dem Weg zur Meisterschaft. Dvořák hat mit dieser den Einstieg in die Komposition von Opern gefunden, und dieser Weg endete für ihn mit der Komposition von ‚Rusalka‘ als Meisteroper.“

Ist es bekannt, inwieweit er die Gelegenheit hatte, zum Beispiel die Opern von Wagner zu sehen und zu hören?

„Da bin ich mir nicht so sicher. Ich glaube, dass zu dieser Zeit, von der wir jetzt reden, Wagner hier gar nicht gespielt wurde. Wenn er sein Werk gekannt hat, dann vielleicht wenige seltene Aufführungen, die er an anderen Orten besucht hat. Aber was ihm natürlich zur Verfügung gestanden hat, das waren die Partituren. Er konnte fast alle Wagner-Opern an der Partitur studieren. Denn im Jahr 1870, als ‚Alfred‘ entstand, hatte Wagner fast alle seine Opern schon komponiert. Das heißt, Dvořák könnte sie alle zumindest aus der Partitur gekannt haben.“

Richard Wagner
Dvořák hat für seine erste Oper einen deutschen Text verwendet. Warum war es so?

„Ich kann es nicht sagen, sondern nur Vermutungen anstellen. Ich glaube, dass er sehr gute Kenntnisse der deutschen Sprache hatte, und das würden Wissenschaftler wohl bestätigen. Wir wissen, dass Dvořák sehr viel, auch im Familienkreis, Deutsch gesprochen und auch für seine Arbeit Deutsch benötigt hat. Und vielleicht ist da tatsächlich ein Zusammenhang zu erahnen, weil er den Stil von Richard Wagner geliebt hat. Bei Wagner war es ja auch so, dass sich der deutsche Text mit der Musik gegenseitig befruchtet hat. Richard Wagner hat es sogar so gemacht, dass er jedes Wort in seinen Opern selber geschrieben hat. Das war bei Dvořák nicht so, aber ich glaube, dass diese Kombination, dass er sich für das deutsche Opernwesen, für den Komponisten Wagner interessiert hat und selber sehr gut mit der deutschen Sprache umgehen konnte, die Begründung war, dass er diese erste Oper mit dem deutschen Text gewählt hat.“

Ist es bekannt, wie Dvořák zu seiner ersten Oper stand? Hat er eine Aufführung angestrebt? Oder war es nur ein Übungsstück für ihn?

„Ich glaube nicht, dass jemals ein Komponist eine Komposition in diesem Umfang – wir reden ja von über zwei Stunden Musik mit großem Orchester und acht Solisten und Chor – nur als Übung komponiert. Er wird sich gewünscht haben, dass diese Oper aufgeführt wird. Vielleicht hat er dann gespürt, dass es mit einer Aufführung erst einmal noch nichts wird, und hat die Ouvertüre der Oper genommen und sich vehement für deren eigenständige Aufführung eingesetzt. Ich vermute, dass sie aus diesem Grund den Namen ‚Tragische‘ oder manchmal auch ‚Dramatische Ouvertüre‘ bekommen hat. Denn eigentlich müsste dieses Musikstück ‚Ouvertüre zur Oper Alfred‘ heißen. Und Dvořák hat sofort weitergemacht. Er hat gleich eine zweite und dritte Oper komponiert. Die zweite Oper ‚Der König und der Köhler‘ ist zur Aufführung angenommen worden. Sie wurde geprobt, ist aber vom Theater nach zwei Wochen Proben wieder abgesetzt worden, weil es eben auch Schwierigkeiten mit den Sängern gab, mit den Anstrengungen, so ein Stück aufzuführen. Er musste auf diesem Weg weiter gehen, wie jeder anderer Komponist auch. Die frühen Wagner-Opern sind auch keine Meisterwerke, die in der ganzen Welt gespielt werden. Die ersten zwei Opern von Giuseppe Verdi spielt auch niemand. Das ist ein ganz normaler Prozess. Man spürt das Talent Dvořáks, mit diesen Tönen, mit dem Orchester umzugehen, und deshalb ist es auch sinnvoll, diese frühe Oper von ihm jetzt endlich aufzuführen.“

Die Oper wurde nur einmal inszeniert, und zwar in tschechischer Übersetzung kurz vor dem Zweiten Weltkrieg. Welches Notenmaterial stand Ihnen eigentlich für die jetzige Aufführung zur Verfügung?

„Da kann ich wunderbar an dieser Stelle ein Lob aussprechen, nämlich den Mitarbeitern im Tschechischen Rundfunk. Uns stehen eigentlich nur die autographen Partiturseiten zur Verfügung. Das sind über 600 Partiturseiten. Aus dieser Handschrift von Dvořák mussten geübte Menschen mit geübten Augen herauslesen, was dort an Tönen niedergeschrieben wurde, und das in einem modernen Computerprogramm neu aufschreiben, so dass ein heutiges Orchester dieses Stück spielen kann. Diese Vorarbeit ist die Basis, um an so ein Stück überhaupt heranzukommen.“

Der weltberühmte und weltweit gespielte Dvořák hat insgesamt 11 Opern geschrieben. Davon hat sich nur eine – „Rusalka“ – weltweit durchgesetzt. Warum ist das Ihrer Meinung nach so?

„Nehmen wir mal den ‚Alfred‘. Wenn wir in Anrechnung bringen, dass es auf Deutsch ist. Es ist noch kein gesetzter, kein erfahrener Stil, in dem Dvořák komponiert. Und es macht enorme Schwierigkeiten für Sänger, die Oper einzustudieren. Dann liegt da eine Begründung, warum so ein Stück nicht ins Repertoire gekommen ist. Eine weitere Begründung ist natürlich: Wenn Stücke komponiert worden sind, die nicht gleich zur Aufführung kommen, und möglicherweise der Komponist stirbt, bevor das Stück aufgeführt wurde, und die Jahre gehen dahin – dann wird es immer schwerer, solche Stücke den Opernhäusern ans Herz zu legen. Natürlich sind auch die zweite, die dritte und die vierte Oper, die Dvořák komponiert hat, alles Werke, die ihn auf seinem Weg der Opernkomposition zeigen. Er musste sich, wie jeder andere auch, mit großen Konkurrenzen auseinandersetzen, mit den Opern von Wagner, von Verdi, von Smetana. Ich glaube, wenn ihm früher so ein großer Wurf gelungen wäre, wie ‚Rusalka‘, hätte er danach noch weitere Opern komponieren können und alle wären gespielt worden. Nun ist Dvořák aber diese Meisteroper erst als letztes gelungen. Und jetzt will man natürlich nicht unbedingt Werke, die noch nicht so meisterhaft sind, die vorher komponiert wurden, hören und dagegensetzen. Und trotzdem sage ich, doch, das ist wichtig, was wir jetzt machen. Mit dieser Aufführung und vor allen Dingen der CD-Aufnahme erhalten wir ein Gesamtbild von einem Komponisten – was er uns gegeben hat, was er uns vererbt hat, womit er ja wirklich die Welt beschenkt hat – und reduzieren ihn nicht auf ein Drittel seiner Arbeiten.“