„Eigentlich ist gute Laune in jeder Weltlage unpassend“ – Jan Faktor und sein Roman „Trottel“

Jan Faktor im Jahr 2015

Der Schriftsteller und Übersetzer Jan Faktor wurde 1951 in Prag geboren. Ende der 1970er Jahre siedelte er nach Ost-Berlin über. Dort schrieb er experimentelle Gedichte und engagierte sich in der inoffiziellen Literaturszene. Faktors jüngster Roman erschien im September dieses Jahres und heißt „Trottel“. Das Buch wurde nicht nur mit dem Wilhelm-Raabe-Literaturpreis ausgezeichnet, es ist auch für den Deutschen Buchpreis nominiert, der am Montagabend in Frankfurt vergeben wird. Wie auch der Autor geht auch der Protagonist des Buchs von Prag nach Berlin. Eine Wunde, die in dem autobiographischen Roman immer wieder auftaucht, ist der Tod des Sohnes. Wir haben mit Jan Faktor über seinen „Trottelroman“ gesprochen.

Herr Faktor, was ist denn der Grund für Ihre gute Laune?

„Das ist harte Arbeit gewesen. Bevor ich angefangen habe, den Roman zu schreiben, habe ich circa zwei Jahre an dieser Haltung gearbeitet. Ich habe einen Trottel in mir geschaffen, der alle Dinge, die in der Vergangenheit passiert sind und schlimm waren, hinter sich lässt. Die Figur muss so funktionieren: gute Laune trotz intellektueller und sonstiger Schwächen. Es gab bereits etliche Versuche bei mir, einen Trottelroman zu schreiben. Die haben aber nicht funktioniert. Entweder waren sie zu peinlich oder zu wehleidig oder eine Art Selbstbeschimpfung, das habe ich dann sofort abgebrochen. Ich wusste, der Trottel muss anders sein. Und dann kam es einfach – ohne dass ich genau wusste, was ich eigentlich schreiben will und wie ich die Handlung aufbauen werde. Ich habe am Anfang einfach still an der Haltung gearbeitet, ohne zu schreiben.“

Ich dachte, Sie antworten „einfach alles“. Denn das ist der erste Satz im Buch. Da steht: „Was ist der Grund für meine gute Laune? Einfach alles.“

„Das ist eine kleine Absurdität, aus der der ganze Roman geboren wurde. Ich hatte ein Aufenthaltsstipendium in Rheinsberg und hatte nichts dabei – nur ein Stück Pappe. Darauf stand: ‚Was ist der Grund für meine gute Laune? Einfach alles.‘ Mit diesem Zettel bin ich dort hin, und dann ging es los. Hemmungslos ging es los! Und mit Leichtigkeit! Die Erstschrift ist einfach dahingeflossen. Ich hatte keine Pläne, keine Struktur, keine Notizen und keine Skizzen. Ich habe einfach chaotisch losgeschrieben, so wie das Buch jetzt chaotisch ist. Geboren ist der Roman aus diesen zwei Sätzen, das war mein einziges Material. Sie haben diese Spannung in sich, denn sie sind nicht ganz logisch. Eigentlich ist gute Laune doch in jeder Weltlage unpassend.“

Ein ernstes Thema in einem albernen Buch

Foto: Verlag Kiepenheuer & Witsch

Worum geht es in Ihrem Buch?

„Der Trottel erzählt, wie er aus dem muffigen, normalisierten Prag nach Ostberlin gekommen ist. Er schildert das dortige Leben im Unterholz, also in den inoffiziellen Bereichen. Ich beschreibe nicht die Künstlerszene, sondern die politischen Untergrundzirkel. Ich kenne sie gut, ohne dort damals aktiv gewesen zu sein. Darüber hat, glaube ich, noch niemand geschrieben. Das sozialistische Prag nach dem Einmarsch (der Truppen des Warschauer Paktes 1968, Anm. d. Red.) wird Ostberlin gegenübergestellt, das zwar muffig, hässlich und kaputt ist, aber auch voller Leben. Und natürlich gibt es eine Liebesgeschichte, also eine Frau und ein Kind. Dieses begeht mit 33 Jahren jedoch Selbstmord. Der Leser erfährt das gleich am Anfang und wartet mit Schrecken, wann das wieder vorkommt – es durchzieht den ganzen Roman. Das Leben, Scheitern und die Krankheit des Sohnes finden sich überall im Buch. Trotz dieses Kernthemas ist der Roman im Grunde genommen albern. Es gibt viele Leute, die damit ein Problem haben.“

Ihr Buch liest sich sehr autobiographisch, auch wenn es fiktional ist, wie Sie auf der ersten Seite schreiben…

„Teile des Buches, zum Beispiel die Verquickungen, die zum Weggang in die DDR geführt haben, sind fiktiv – nicht um irgendetwas zu verschleiern, sondern weil die Geschichte sonst nicht funktioniert hätte. Außerdem sagt etwa Woody Allen, dass die Realität langweilig ist.“

Was war der Ausgangspunkt, an dem Sie sich gesagt haben, dass Sie dieses Buch schreiben müssen? Wie lange haben Sie daran gearbeitet?

„Insgesamt habe ich drei Jahre daran gearbeitet. Mit den Korrekturen kamen dann noch einmal sechs Monate dazu. Die Idee, den Trottel erzählen zu lassen, hatte ich – wie gesagt – schon länger. Ich wusste, wenn ich anfange und wieder scheitere, also nicht zufrieden bin, dann wird es schwierig. Durch das Stadtschreiber-Stipendium in Rheinsberg lebte ich fünf Monate lang alleine in einer Wohnung – mitten in der Natur. Das Rheinsberger Schloss war in der Nähe, dort gab es viel Kultur, aber ich war eben auf mich gestellt. Ich wusste, ich werde dort arbeiten müssen, sonst gehe ich ein. Also habe ich mich getraut, anzufangen. Die ersten zwei Seiten habe ich am Stehpult von Peter Brasch (1955–2001, Schriftsteller, Anm. d. Red.) von Hand geschrieben – und ich habe gemerkt, dass das gut funktioniert. In Berlin hätte ich das noch weiter hinausgezögert. Dort in der Abgelegenheit musste ich aber die Zeit füllen. Ich habe zwar auch viel Zeit auf dem Rennrad verbracht, an den Vormittagen habe ich aber konsequent geschrieben. Das Buch verdanke ich also ein wenig der Stadt Rheinsberg – der Atmosphäre vor Ort, der Abschottung, diesem Gefühl, Ferien zu haben. Es war ein wunderbarer Sommer, und die Seenlandschaft in der Gegend ist herrlich. Ich war jugendlich glücklich. Und diese jugendliche Frische merkt man dem Buch auch an – hoffe ich zumindest.“

Was macht den Protagonisten denn zu einem Trottel?

„Das kennt ja im Grunde jeder von sich selbst. Man sagt etwas Dummes, macht etwas kaputt oder versaubeutelt etwas. Und dann sagt man sich: Mann, bin ich ein Trottel! Es geht um dieses Gefühl, nicht vollkommen zu sein. Ich mag es, wenn ich beim Schreiben lachen kann, und wollte auch Leichtigkeit hineinbringen. Die Figur bin nicht ich, aber die Konstruktion ermöglicht mir wahnsinnig viele Freiheiten. Ich konnte sehr viel Unsinn erzählen, Dinge, die mir eingefallen sind – auch wenn sie nicht stimmig oder passend waren –, denn es sagt ja alles der Trottel! Das Gemisch von Unsinn, echten Gedanken und verarbeiteten Gefühlen macht die Figur aus. Der Trottel gibt auch Peinlichkeiten preis, seien das Streits mit der Frau oder Probleme mit der eigenen Vorhaut. Scham kennt er kaum. Der Roman ist am Ende wirklich bunt: Recherchen zu Ostberlin, Realität in der DDR, wissenschaftlicher Unsinn oder aber tatsächliche Nachforschungen habe ich einfließen lassen.“

Professor Ramm schreibt über Rammstein

Welche Rolle spielt bei alldem die Band Rammstein?

„Ich verwende die Theorie zum diesem Musik-Phänomen. Es handelt sich dabei um Zitate aus einer großen Arbeit von Professor Ramm. Professor Ramm schreibt also über Rammstein. Es gibt diesen Mann tatsächlich, ich bin mit ihm befreundet. Er hat mir erlaubt, in seinem Namen im Buch zu tun, was ich will. Er hat das dann abgesegnet.“

Sie schreiben am Anfang, dass es viele Rammstein-Anspielungen gebe, diese aber harmlos seien und das Buch trotzdem für alle verständlich bleibe. Das hat mich beruhigt, denn ich bin kein Kenner der Band…

„Das muss sich ändern!“

Gibt es denn auch Anspielungen aufs Tschechische?

„Wenn, dann ist das nicht gewollt. Es gibt kleine ‚Ausrutscher‘, die das Trottelhafte verdeutlichen sollen. Dieser Charakter zeigt sich also nicht nur darin, was der Protagonist für Unsinn und Peinlichkeiten erzählt, sondern auch in der Lexik. Gleich auf der ersten Seite spricht der Trottel etwa von ‚Riechzentralen‘ statt ‚Riechzentren‘. Der Lektor hat das am Anfang markiert, lexikalische Ausrutscher wie dieser sind aber Absicht. Es gibt auch viele Neologismen und Wort-Modifikation, die die mangelhafte Bildung des Trottels verdeutlichen. Ich habe den gesamten Text wahnsinnig oft überarbeitet. Die Erstschrift ging schnell, aber dann habe ich daran gefeilt. Das war alles andere als leicht, hat sich aber gelohnt.“

In Ihrem Buch finden sich sehr viele Fußnoten – 262 an der Zahl. Sind das Überbleibsel Ihres Schreibprozesses? Haben Sie darin etwas für sich oder den Lektor vermerkt? Oder was ist die Geschichte dahinter?

„Der Trottel will auch wissenschaftlich arbeiten. Ich, der ich dahinter stehe, mache mich also ein wenig über die wissenschaftliche Arbeitsweise lustig. Zum Teil befinden sich in den Fußnoten übertriebene Details. Das zeigt das Trottelhafte: Der Protagonist will genau sein, aber dadurch macht er die Form kaputt, er stört den Ablauf. Für mich waren das auch Dinge, die ich loswerden wollte, die im Text aber keinen Platz mehr hatten. Kleine Witzchen halt. Es wird etwa der Lektor angesprochen: ‚In diese Schreibweise bitte nicht reinpimmeln.‘ Kleine Dialoge also, auch den Korrekturprozess betreffend. So wird etwa kommentiert, dass eine Stelle gestrichen werden könnte, der Erzähler sich aber noch unsicher sei. Das sind Dinge, die man eigentlich nicht machen sollte. So ein Trottel ist aber eben nicht so einfach zu steuern.“

Unverhoffte Erfolgsmeldungen

Sie haben für den „Trottel“ den Wilhelm Raabe-Literaturpreis bekommen und sind auch für den Deutschen Buchpreis nominiert. Haben Sie denn damit gerechnet, dass Ihr Buch so viel Erfolg haben wird?

„Meine Taktik war, gar nicht an diese Dinge zu denken. Das ist mir auch gelungen. Ich dachte, mein Buch muss es alleine schaffen – auch ohne irgendwelche Listen oder Preise. Ich wusste gar nicht, wann die Longlist verkündet wird oder die Shortlist. Ich hatte genug mit Nachdichtungen von Egon Bondy (1930–2007, tschechischer Untergrund-Schriftsteller, Anm. d. Red.) zu tun, und dann, bei der Arbeit, kamen die Anrufe. Ich war natürlich happy, aber genauso wie der Trottel wollte ich mich nicht abhängig machen von Erfolgsmeldungen von außen. Dafür, was ich zusammengestoppelt habe, kam nun die Belohnung. Ich habe mich gefreut, im Grunde hätte ich es aber auch überlebt, wenn ich nichts bekommen hätte. Der Wilhelm-Raabe-Preis war schon eine Überraschung. Die Auszeichnung ist sehr bekannt, und die Jury ist hochkarätig besetzt. Das ist schon ein Qualitätsmerkmal, wenn man diesen Preis bekommt. Nun wird es einen Festakt geben, und ich muss in Braunschweig eine Rede halten. Da freue ich mich schon drauf, denn ich halte gerne Reden – wenn ich darf.“

Vielleicht wird es ja auch am Montagabend klappen mit einer Rede beim Deutschen Buchpreis…

„Darüber wollen wir nicht sprechen! Ich denke gar nicht darüber nach.“

Sie waren schon einmal für den Deutschen Buchpreis nominiert mit ihrem Roman „Georgs Sorgen um die Vergangenheit oder Im Reich des heiligen Hodensack-Bimbams von Prag“. Wie unterscheidet sich ihr neues Buch von diesem Roman?

„Er ist spielerischer und hat sich zu einer ganz anderen Art Buch entwickelt. Wenn jemand ‚Schelmenroman‘ dazu sagt, muss ich widersprechen. Es ist eher ein ‚Trottelroman‘, das ist eine eigene Gattung. ‚Georgs Sorgen um die Vergangenheit oder Im Reich des heiligen Hodensack-Bimbams von Prag‘ war sprachlich sehr experimentell und wild, auch ein bisschen zu sehr in die Breite erzählt. Der ‚Trottel‘ ist viel konzentrierter. Ich schweife auch ab, und es ist viel Müll reingerutscht, aber im Satzbau ist er auf ein Minimum reduziert. Der Trottel sagt an einer Stelle: ‚In diesem Buch gibt es kein überflüssiges Wort – ein, zwei vielleicht, da und dort.‘ Das ist ernst gemeint! Ich habe wirklich lange an den Sätzen gefeilt, die kürzeste Lösung war immer die beste. So ist es trotz dieser ganzen Abschweifungen für mich ein sehr kompaktes und konzentriertes Buch geworden. Im ‚Georg‘ habe ich mich wunderbar mit den Ausschweifungen ausgetobt. Die gibt es im ‚Trottel‘ nicht.

Wichtig ist noch dazu zu sagen: Es gibt eine tschechische Ausgabe vom ‚Georg‘ – ‚Jiříkovy starosti o minulost‘. Radovan Charvát und ich haben dafür brutal gekürzt. Diese Kürzung im Rahmen der Übersetzung hat dem Buch sehr gut getan. So gesehen ist die Übersetzung ins Tschechische die bessere Variante des ‚Georg‘.“

„Trottel“ ist nicht gleich „blbec“

Vielleicht wird der „Trottel“ ja auch noch ins Tschechische übersetzt…

„Ich fürchte, das Buch ist nicht übersetzbar. Wenn, dann würde ich es lieber nochmal selbst auf Tschechisch schreiben. Das Problem ist, dass sich manche Formulierungen nicht adäquat in der Übersetzung übertragen ließen. Man müsste es ganz umschreiben. Diese Freiheit hätte ein Übersetzer nicht. Ich müsste selbst vieles verändern und so zum Beispiel den Sprecher anders quatschen lassen, volkstümlich tschechisch. Wenn man beim Übersetzen dem Original zu treu bliebe, würde es am Ende zu deutsch klingen. Der tschechische Trottel würde ein anderer Mensch sein. Außerdem gäbe es auch das Problem der Namensgebung. ‚Blbec‘ není úplně Trottel, že jo? Trottel je v němčině, to je moje štěstí – jetzt habe ich Tschechisch gesprochen… Ich meine, es ist mein Glück, dass der Trottel im Deutschen auch ein netter Kerl ist. Die Bezeichnung ist nicht wirklich böse. Ein ‚blbec‘ wäre dumm. Ein Trottel ist aber nicht nur dumm. Er ist zwar auch nicht schlau, aber er ist ein gradliniger, netter Mensch mit offenem Visier.“

Jan Faktors „Trottel“ ist im Verlag Kiepenheuer & Witsch erschienen. Der Roman hat 400 Seiten und kostet 24 Euro.