Jan Faktor (Teil 1): „Nicht als Freizeit-Revolutionär da einfach mitmischen“

Jan Faktor

Es ist noch nicht allzu lange her, da kannten nur Eingeweihte den Namen Jan Faktor. Sein Buch „Georgs Sorgen um die Vergangenheit oder Im Reich des heiligen Hodensack-Bimbams von Prag“ hat in diesem Herbst Furore gemacht – es war für den Deutschen Buchpreis nominiert. Der Tscheche Jan Faktor lebt nämlich seit Jahrzehnten in Deutschland und schreibt auch auf Deutsch. Vor wenigen Tagen jedoch war er in seiner Heimat auf Lesereise. Und da hat Christian Rühmkorf ihn vor das Mikrophon gebeten. Hier der ersten Teil des Interviews mit dem Schriftsteller Jan Faktor.

Jan Faktor  (Foto: www.radiobremen.de)
Jan Faktor, Sie sind nur knapp am Deutschen Buchpreis vorbeigeschliddert. Sie waren auf der Shortlist mit ihrem Roman „Georgs Sorgen um die Vergangenheit“. Sie waren ebenso nominiert für den Preis der Leipziger Buchmesse und Sie haben den Candide-Preis für Ihr Gesamtwerk erhalten. Und das alles im Jahr 2010. War das ein gutes Jahr für Sie, haben Sie lange auf diesem Erfolg gewartet?

„Ja, das Jahr war wirklich sehr gut, und mehr konnte ich auch nicht erwarten. Diese Nominierung an sich war schon so wichtig, brachte wirklich so viele gute Kritiken und Folgen und Aufmerksamkeit, dass ich da überhaupt nicht mehr enttäuscht sein konnte. Und das geht jetzt auch weiter, weil ich im Grunde sehr spät gestartet bin als Romanautor, und jetzt warten die auf das nächste Buch. Ich lass mir Zeit, und das Buch muss noch besser werden. Und ich bin im Grunde auch jetzt in der Lage, mich noch zu steigern.“

Jan Faktor: „Georgs Sorgen um die Vergangenheit oder Im Reich des heiligen Hodensack-Bimbams von Prag“
Sie sind Tscheche, Sie wurden 1951 in Prag geboren. Dort haben Sie auch studiert. Was war das für ein Studium?

„1970 habe ich angefangen, das war EDV, aber angegliedert an die Ökonomische Hochschule, das heißt ich musste auch Buchhaltung und Ökonomie machen und so weiter. Das war ziemlich quälend, das war ein Problem. Das andere Problem war, dass die politischen Fächer immer schärfer wurden. Und ich wusste, das geht nicht lange gut. Das waren so Fächer wie die Geschichte der Arbeiterbewegung. Also das war richtig Horror für mich. Und auch die Atmosphäre war so albern, verschult. Da habe ich ziemlich gelitten, habe das also geschmissen, bin raus aus Prag, sehr bald…“

Sie sind in die Slowakei gegangen.

„Ja, denn ich dachte: Also wenn weg von hier, dann so weit und so hoch wie möglich, und das war natürlich die Hohe Tatra, unser einziges Hochgebirge. Und das war eine unheimlich tolle Befreiung. Ich habe schon damals geschrieben, habe meine Schreibmaschine dabei gehabt, und wollte eben Schriftsteller werden und gleichzeitig ein gute Bergsteiger, ein Naturbursche. Und das ganze politische Klima und die Bedrückung waren auch halb vergessen, denn die Natur war wunderbar, im Winter unberührt. Ich hatte da sehr gute Freunde, sehr gute Dinge erfahren und ein völlig anderes Leben geführt und auch viel gelesen.“

Hohe Tatra
Wovon haben Sie gelebt in der Zeit?

„Ich habe dort auf einer Schutzhütte gearbeitet, also Tee gekocht, sauber gemacht, Betten gemacht und die Touristen betreut, aber auch als Träger gearbeitet, als Hochgebirgsträger. Also immer wieder ins Tal runter und Vorräte, Proviant, Holz, Baumaterial, Gasflaschen und so weiter hoch geschleppt und habe ich dann auch so gesteigert, dass ich wirklich mithalten konnte. Ich bin nicht sehr groß, war damals aber wirklich drahtig und jung. Ich habe mit 25-30 Kilo angefangen und habe dann bis 60, 65, 67 Kilo geschleppt. Also das war schon richtig hart, aber sehr befriedigend. Eine ganz tolle Zeit. Das Problem war, dass ich mit dem Schreiben nach und nach auch nicht so zufrieden war wie erhofft. Und dann habe ich es dort abgebrochen, bin nach Prag zurück und wusste: Auf diese Hochschule kann ich nicht zurück. Ich habe dann angefangen als Operator an einem Großrechner…“

Russische Rechner DVK  (Foto: Sergei Frolov,  www.wikimedia.org)
Sie waren Programmierer für russische Großrechner, wenn ich das richtig gelesen habe.

„Ursprünglich war ich kein Programmierer, ich war einfach Student. Und alles, was ich gelernt habe über diesen Rechner und auch allgemein über Programmiersprachen und Computer, habe ich im Selbststudium und nicht im Studium gelernt. Auch später nicht. Alles, was ich speziell konnte – ich habe auch Softwareprogramme geschrieben – das habe ich mir alles alleine beigebracht mit Hilfe von Kollegen, die gut waren. Dort bin ich vom Operator sehr schnell zum Programmierer aufgestiegen, und gleichzeitig habe ich mich beworben als Fernstudent auf der Ökonomischen Hochschule, um dieses Studium abzuschließen. Das war der einzige Weg, wie ich diesen politischen Dingen entgehen konnte. Politisch war mein Betrieb für mich verantwortlich, das heißt, da gab es keine Überprüfung, keine Schikane. Und die Hochschule hat sich nicht um mich gekümmert, weil ich nun mal angestellt war. Das war natürlich eine anstrengende Zeit. Ich habe auch viele Wochenenden dort verbracht, auch Nachtschichten. Das war sehr intensiv, aber in der Zeit habe ich nicht geschrieben. Also die Literatur war erst mal vergessen, weil ich wirklich sehr kreativ Programme geschrieben habe. Ich bin also Vollblut-Programmierer geworden.“

Ostberlin nach 1970  (Foto: www.ddr-geschichte-vermitteln.de)
Machen wir einen Zeitsprung – Sie sind dann 1978 nach Ostberlin gegangen. War die Liebe der Grund?

„Ja, also ich habe meine Frau, die ich schon aus der Kindheit kannte, 1974 wiedergesehen, und dann kamen wir wieder zusammen. Dann haben wir 1977 geheiratet, aber in Prag. Und als ich das Studium 1978 abgeschlossen hatte, bin ich dann offiziell rüber nach Ostberlin. Und nicht wegen Ostberlin und nicht wegen der DDR, sondern wegen meiner Frau. Die Alternative Prag gab es nicht, weil meine Frau nicht Tschechisch kann. Sie arbeitet als Psychologin und hätte hier überhaupt nicht arbeiten können. Ich bin gern gegangen und habe es nie bereut.“

Es war ja die Zeit, in der die Charta 77 in Aktion trat? Tat es Ihnen Leid, nicht dabei zu sein in der Tschechoslowakei? Oder hatten Sie Kontakt zu Vaclav Havel und anderen tschechoslowakischen Dissidenten?

Václav Havel
„Also ich hatte ziemlich viel mitbekommen. Ich wusste sehr viel, von dem, was los ist. Dank meiner Mutter, die in diesen Kreisen war. Sie war Redakteurin der Literární noviny, und viele kamen zu uns zu Besuch. Ich kannte Havel nicht persönlich, aber Vaculík und Machonin und Jungmann, den Chefredakteur. Ich kannte also sehr viele Leute persönlich - dank meiner Mutter – aber nicht die Leute aus meiner Generation, weil ich in der Tatra war und dann beruflich sehr eingespannt war. Und ich wollte auch das Studium zu Ende machen, ich wollte erstmal etwas lernen, und als Schriftsteller - der ich ja auch werden wollte – dann etwas beitragen oder mitmachen und nicht als Freizeit-Revolutionär da einfach mitmischen. Ich hatte auch nichts zu bieten. Ich war noch ziemlich jung, und sowieso: Ab 1974 war klar, dass ich weggehen werde. Ich war schon die ganze Zeit mit einem Fuß in Ostberlin.

PDS
Was war das damals für ein Gefühl, als tschechischer Intellektueller, der sich privat viel Freiheit genommen hat, auf DDR-Bürger zu treffen. Die galten ja doch als ziemlich verbohrt und staatstreu, anders als Tschechen, die sich ihren Weg oft anders, inoffiziell gesucht haben. Wie war das für Sie – ein Kulturschock?

„Nein, ich kannte das schon alles ziemlich gut von früher. Ich habe aber begriffen, wie das funktionierte. Also die gängige Meinung hier war: die sind verbohrt, die sind ideologisch verdorben und staatstreu. Das ist von außen gesehen nicht ganz falsch. Aber die Gründe haben die Leute nicht begriffen. Die Leute dort waren einfach beeinflusst durch die Linke aus dem Westen. Das heißt dieses ´Staatstreue´ war im Grunde ideologisch untermauert durch die Illusionen, die die Westlinken auf dieses System projiziert haben. Und die Illusionen, die man in Ostdeutschland noch hatte, waren im Grunde Illusionen, die sie auch reimportiert haben von den West-Linken. Das heißt: Viele dieser Leute, die ich dort kannte, waren Oppositionelle, aber links von der PDS. Das gab es hier in Prag nur ausnahmsweise…“

Propaganda der DDR
…damals links von der SED…

„Links von der SED, genau. Und dahinter standen die ganzen Bücher und Schriften der West-Linken. Und die kamen auch herüber aus Westberlin und haben dort auch ein bisschen agitiert: ´Macht mal weiter. Und bleibt mal hier. Das ist doch das bessere Land. Also, das war nicht so, dass sie die eigene Propaganda der DDR ernst genommen hätten, sondern die haben die theoretisch hoch gebildeten und kompetenten West-Linken als ihre kompetenten Partner gesehen. Und durch diesen Umweg sind die diesem System näher gekommen. Aber nicht aus Dummheit – das ohnehin nicht – und nicht aus Staatstreue, sondern rein ideologisch. Und das ist alles sehr schräg, weil die eigentlich ja das Ganze besser kannten als die West-Linken. Trotzdem: Die Autoritäten saßen im Westen. Und die waren links. Die ganzen intellektuellen Eliten waren links. Das muss man sich auch klarmachen. Und die Ausstrahlung durch die Medien in die DDR war riesig.“