Jan Faktor (Teil 2): „Im Grunde muss ich dem Scheißsozialismus dankbar sein.“

Jan Faktor

Vor zwei Wochen haben wir den ersten Teil des Interviews mit dem tschechischen, aber in Deutschland lebenden Schriftsteller Jan Faktor gebracht. Sein Buch „Georgs Sorgen um die Vergangenheit…“ war in diesem Herbst für den Deutschen Buchpreis nominiert worden. Christian Rühmkorf sprach mit Jan Faktor auch über sein Leben in Ostberlin. Nach Ansicht des Autors saßen vor der Wende die eigentlichen Autoritäten für linke gesellschaftspolitische Vorstellungen im Westen.

Jan Faktor
Jan Faktor, hatten Sie diese Erkenntnis über die West-Linken und ihren Einfluss auf die DDR-Bürger schon damals, so dass Sie deshalb diesem literarischen Underground in der Prenzlauer-Berg-Szene, in der Sie sich ja bewegt haben, den Rücken gekehrt haben? War diese Erkenntnis der Grund?

„Nein, das ist zeitlich auseinander zu halten. Diese Erkenntnis musste ich mir irgendwie zurechtlegen, um das zu verstehen, oder hier zu erläutern, um für mich eine Klarheit darüber zu haben. Gleichzeitig habe ich es dann später aufgegeben, darüber zu reden. Denn die DDR-Leute waren den Tschechen unsympathisch, und die kamen mit diesen Trabis und mit den weißen Hemden - ´DDRons´ und so. Das hatte keinen Sinn über Ideologie zu sprechen. Die kannten nur dieses äußere nicht schöne, steife DDR-Völkchen. Und diese Leute, mit denen ich zu tun hatte, die kannte man einfach nicht. Es gab da wirklich ein Parallelleben, von dem zu erzählen auch keinen Sinn hatte, und die Freiheiten, die man dort hatte, in dieser inoffiziellen Szene waren im Grund viel größer als hier in Prag, denn die Stasi dort hat uns im Grunde in Ruhe gelassen im Großen und Ganzen. In Ostberlin – nicht in der Provinz. In der Provinz war das natürlich schlimmer. Die haben das anders gelöst. Die hatten ihre Spitzel da, die wussten Bescheid und sind nicht reingegangen, haben uns nicht zusammengeschlagen, haben keine Dinge verhindert. Das war relative Freiheit oder Narrenfreiheit, die wir dort hatten.“

Topmodern 1972: Minikleider aus der Kunstfaser Dederon  (Foto: www.kas.de)
Wie kann man sich das erklären? Heute hat man die Vorstellung, die Stasi war knochenhart und ist überall dazwischen gegangen mit Knüppeln oder mit Spitzeln, auf die fiese Tour von hinten. Aber Sie beschreiben da – sagen wir mal - ein literarisches Underground-Colloquium, das relativ in Ruhe gelebt hat.

„Das war in Ostberlin auf jeden Fall so, weil die sich das in Ostberlin nicht leisten konnten. Korrespondenten waren dort, und die Vertretung war dort. Und Westfreunde kamen aus Westberlin zu Besuch. Das heißt, da bliebe nichts verborgen, wenn die sich Übergriffe geleistet hätten. Wir waren auch relativ apolitisch. Diese politische Opposition, die wurde natürlich viel stärker verfolgt. Wir waren ganz bewusst apolitisch. Weil mit dieser greisen Politführung sich zu streiten, wollte niemand mehr. Das war einfach zu albern.“

Westberlin und Ostberlin
War das für Sie eine literarisch wertvolle Zeit?

„Auf jeden Fall. Also das waren hochbegabte, tolle Leute. Ich habe da wirklich auf einen Schlag neue Freunde, neue Kreise von Leuten kennen gelernt und bin viel sozialer geworden als ich in Prag war. In Prag war ich ein totaler Einzelgänger, und ich habe mich auch nicht getraut, in andere Kreise vorzudringen. Also die Bedrückung, die ich aus Prag kannte, weil sehr viel mehr Angst hier war, das war dort alles viel ruhiger. Und diese Ossis da in Ostberlin, die waren wirklich geselliger. Ich habe Ostberlin als…also in meinen Kreisen …natürlich gab es diese steifen Leute. Mit denen hatte ich aber nichts zu tun, mit der offiziellen DDR. Ich hatte nicht publiziert, ich habe dann als Schlosser gearbeitet, habe mit diesem steifen und zusammengeschnittenen Kulturleben nichts zu tun gehabt. Und in den Kreisen, in denen ich mich bewegt habe, da gab es Partys, Konzerte, Ausstellungen – alles illegal, alles ohne jegliche Genehmigung, ohne Einschränkung. Eine wirklich gute Atmosphäre. Ich kann das nicht anders beschreiben. Mitten in dieser furchtbarsten Stadt. Ostberlin war doch hässlich ohne Ende. Trotzdem hatte das auch einen Charme des Untergangs. Und man konnte sich auch über viele Sachen – also ich jedenfalls – ganz gut amüsieren. Das war absurd. Die Stadt wirkte manchmal wie kurz nach dem Krieg. Und dieses Morbide – mich zog das irgendwie an. Und der Sozialismus zeigte da wirklich die nackte Hässlichkeit. Prag war immer noch irgendwie schön und dadurch auch verlogener. Und in Ostberlin gab es keine Normalität. Das war einfach absurd mit dieser Mauer mitten in der Stadt. Und solche Absurditäten gefallen mir einfach. Also ich fühlte mich da echt sauwohl. Egal wie absurd das klingt – ich bleibe dabei.“

Stenograf oder Graf des Stenos?
Wann haben Sie begonnen auf Deutsch zu schreiben? Gab es ein Schlüsselerlebnis? Und wie waren Ihre Erfahrungen mit Deutsch als Sprache Ihrer Literatur im Vergleich zur Muttersprache Tschechisch?

„Mein Vorteil war, dass ich den Ehrgeiz nicht hatte, korrektes Deutsch zu schreiben und mich mit meinen Freunden zu messen. Meine Experimente sahen ganz anders aus. Ich habe viel mit Wörterbüchern gearbeitet, mit einem rückläufigen Wörterbuch, und habe Fremdtexte zerhackt. Ich musste kein korrektes Deutsch produzieren. Also Dinge zu verfremden, das war im Grunde meine Richtung, in die ich ging. Ich habe zum Beispiel eine erweiterte Einsatzmöglichkeit des deutschen Genitivs erfunden und das auch durchexerziert. Also Stenograf – Graf des Stenos, oder Abendbrot – Brot des Abends. Auch Worte, die man nicht trennen kann, kann man auch trennen und mit ´des´ verbinden und das klingt wirklich irre. Und solche Dinge fielen den Deutschen nicht ein, denn das macht man nicht, so was. Das war so meine Spezialität. Und dieses Deutsche hat auch Spaß gemacht bei den ganz radikalen Experimenten. Die haben sich aber irgendwann erschöpft, und irgendwann hatte ich auch den Ehrgeiz, wirklich mehr zu können, Prosa zu können. Und da ist sehr viel Zeit vergangen. Insgesamt, muss ich sagen, bin ich froh, dass ich nicht zu früh angefangen habe, Prosa zu schreiben, weil ich sprachlich nicht soweit war und habe auch die Reife noch nicht gehabt. Ich war irgendwie so ein bisschen ein Spätentwickler. Viele Sachen – wenn ich die damals aufgeschrieben hätte – hätte ich verbraten. Ich hätte die nicht gut genug gemacht und hätte die nicht noch mal schreiben können. Und im Grunde muss ich auch dem Scheißsozialismus dankbar sein, dass ich so viele Jahre nicht publizieren konnte. Sonst hätte ich jetzt vielleicht kein Thema mehr.“

Jan Faktor mit dem Candide-Preis  (Foto: Ursula Koch,  www.mt-online.de)
Sie haben eben schon über den Unterschied gesprochen zwischen „DDR-Deutschen“ und Tschechoslowaken.

Deutsche gelten in Tschechien immer noch als steif und humorfrei. Ihr Beispiel scheint einen Unterschied zwischen Deutschen und Tschechen zu bestätigen: Denn Sie als Tscheche schreiben einn Schelmen-Roman, der vor Witz sprüht. So steht es eigentlich in allen Rezensionen und Würdigungen. Glauben Sie, dass es solche Unterschiede zwischen Deutschen und Tschechen tatsächlich gibt?

Gelten Deutsche als steif und humorfrei?  (Foto aus der humorvollen Serie „Ein Herz und eine Seele“)
„In der Literatur scheint es zu stimmen. Also so viele humorvolle Romane gibt es nicht. Aber im Alltagsleben kann ich das eigentlich nicht bestätigen. In den Kreisen, in denen ich mich bewege, sind die Leute nicht steif, sind gesellig, sind humorvoll, sind witzig-ironisch. Also ich habe dort auch sehr viel Ironie gelernt, weil die Leute zum Teil auch ein bisschen dickere Haut haben. Tschechen machen zwar viele Witze und witzeln manchmal sogar über Dinge, die viel zu ernst sind. Das ist auch nicht so schlimm. Aber sie sind auch sehr empfindlich, wenn man sie wirklich mit Witz angeht. Da muss man schon auch vorsichtig sein, dass man Leute nicht verletzt. Auch ok. Aber da sind die Deutschen ein bisschen dickhäutiger. Das heißt, man kann sich da auch ein bisschen mehr Frechheiten erlauben, die Leute foppen. Also ich kann auch frech sein, und wenn ich merke, das kann einer vertragen, dann mach ich auch weiter. Das traue ich mich zum Teil hier nicht. Also ich habe Humor im Alltag in Deutschland nicht vermisst – kann ich nicht sagen.“

Fühlen Sie sich heute als Deutscher oder als Tscheche? Oder sind Sie - wie viele gern antworten – Mitteleuropäer? Wo ist Ihr zu Hause?

„Ich bin ein Tscheche, der in Deutschland lebt. Ich habe auch einen tschechischen Pass. Ich habe auch die DDR-Staatsbürgerschaft nicht haben wollen und die bundesdeutsche dann im Grunde auch nicht, ich hätte meine tschechische abgeben müssen, und bin froh darüber, dass ich Tscheche geblieben bin. Das entspricht mir, weil ich weiß, ich bin der kleine Honza von der Bašta in Prag, und das will ich auch nicht ablegen. Und dieses Buch ist ein tschechisches Buch, das ist auch für Prag geschrieben, aber eben auf Deutsch. Obwohl: Im Grunde ist das auch die Sprache meiner Familie. Die Muttersprache meiner Mutter war noch Deutsch, bei uns wurde auch zum Teil Deutsch gesprochen. Aber natürlich: Meine eigentliche Sprache und Muttersprache ist und bleibt das Tschechische.“