Schmuggeln, Betteln, Lieben: Egon Bondy mäandert durch die ersten zehn Jahre seines Dichterlebens

Egon Bondy

Der Lyriker Egon Bondy gilt in Tschechien als „Vater des Undergrounds“. Berühmtheit erlangte er unter anderem, weil die Band The Plastic People of the Universe seine Gedichte vertonte. Die Erinnerungen an sein Heranwachsen und seine Zeit als junger Erwachsener in der stalinistisch geprägten Tschechoslowakei sind nun auch auf Deutsch erschienen. „Die ersten zehn Jahre“ heißt die Biographie, in der Bondy sein Leben zwischen 1947 und 1957 schildert.

„Egon Bondy's Happy Hearts Club Banned“ heißt ein Album der legendären tschechischen Undergroundband The Plastic People of the Universe. Ende der 1970er Jahre erschien die Platte im Westen. Die Texte der ruppigen, schrammeligen Rocksongs stammen aus der Feder von Egon Bondy – und das teils aus den Anfangsjahren dessen Daseins als Dichter.

Egon Bondy, das war ohne Frage einer der bedeutendsten tschechischen Lyriker des 20. Jahrhunderts. Seine Autobiographie über die Jahre 1947 bis 1957 wollte er aber eigentlich nie schreiben. Doch es kam anders.

Eva Profousová | Foto: Anja Kapunkt

Die Übersetzerin Eva Profousová sieht sich nicht gerade als Bewunderin von Bondys Werk. Und doch hat gerade sie das Buch mit dem Titel „Die ersten zehn Jahre“ ins Deutsche übertragen. Im Interview von Radio Prag International sagt sie:

„Er ist nicht so richtig mein Autor. Ich habe einfach keine große Beziehung zu Bondy. Es gibt Schriftsteller und Texte, die mich sofort ansprechen. Bei ihm ist das nicht so. Vielleicht ist mir seine Sprache einfach zu salopp und auch zugleich ein wenig unverständlich.“

Dass „Die ersten zehn Jahre“ nun doch auf Deutsch im Verlag Guggolz in Berlin erschienen sind, ist unter anderem dem Schriftsteller Jan Faktor zu verdanken. Er sagt:

„Sebastian Guggolz ist immer auf der Suche nach älteren, nicht so bekannten Autoren. Er hat mich gefragt, wen man von den Tschechen übersetzen könnte. Da fiel mir als erster Bondy ein. Er war sofort einverstanden. Ohne das Buch zu kennen, hat er mir vertraut.“

Ein blühender Dichter in der stalinistischen Wüste

Anders als Eva Profousová ist Faktor bekennender Bondy-Fan. Vertraut war ihm der Autor bisher vor allem durch die Songs der Plastic People. Den Underground-Schriftsteller hat er aber auch einmal persönlich getroffen…

„Irgendwann in den 1990er Jahren war ich in Prag und traf mich mit einem Freund, dem Sohn des Philosophen Kosík (Karel Kosík, Anm. d. Red.). Er sagte, dass Hrabal und Bondy gemeinsam in der Kneipe U Dvou slunců Geburtstag feiern würden. Also sind wir vom Hradschin runter. Als wir ankamen, war die Feier schon fast zu Ende. Aber auf der hinteren Bank saßen zusammengeschrumpelt zwei kleine, bescheidene Männer. Das waren Hrabal und Bondy. Völlig unspektakulär hockten sie dort und tranken ihr Bier.“

Doch warum hat gerade Eva Profousová die Autobiographie des Dichters übersetzt, obwohl sie sich für Bondy so gar nicht begeistern kann?

„Ich fand diesen Text sehr, sehr lustig und spannend. Denn er schildert eine Zeit, die ich nicht erlebt habe, die aber für die Tschechoslowakei, die ich erlebt habe, sehr wichtig ist. Deswegen habe ich Ja gesagt. Von alleine wäre ich aber nie darauf gekommen.“

Aber… wer war eigentlich dieser Egon Bondy? Eins nach dem anderen.

Egon Bondy, geboren am 20. Januar 1930 in Prag als Zbyněk Fišer, war Tscheche, Tschechoslowake. Er war Philosoph. Übersetzer. Und Alkoholiker.

Ich holte mir grad Franzbranntwein
und dreißig Kronen waren weg
jetzt will ich horchen in mich rein
ob der Stoff schlägt den Rumverschnett

Bondy war auch Vater, wenngleich ihm das womöglich egal war. Er war Marxist. Regimegegner. Mitarbeiter der Staatssicherheit. Vor allem aber war Bondy eines: Dichter.

„Er war wirklich ein geborener Dichter. Ein explosiver Dichter! Das muss man sich klarmachen. Er war kein Reimarbeiter und Jongleur wie Nezval. Seine Texte sind urig und eigen und gehen gegen den Strich. In den 1950er Jahren, in denen man Oden auf Stalin dichtete, schrieb er zum Beispiel Fäkalgedichte, die sich zwar reimten, aber alles andere als schön waren.“

Zu cool für eine Biographie

Wie eingangs erwähnt, hatte Egon Bondy kein Interesse, seine Erinnerungen an die Zeit von 1947 bis 1957 zu publizieren. Jan Faktor sagt:

„In seiner Coolness fand er das alles überhaupt nicht besonders, was er da erlebt hatte. Das war nun einmal sein Leben: ein einziges Chaos. Und was sollte er darüber schon erzählen? Aber offenbar hat er die Geschichten zum Besten gegeben.“

Schließlich war es sein Bewunderer Martin Machovec, der Bondy zur Niederschrift seiner Autobiographie drängte. Bondy ließ sich breitschlagen, 1981 war das. Er widmete seinem Buch „sieben sommerliche Arbeitsnachmittage mit Pause“, wie es am Ende des Textes heißt. Entstanden sei nicht nur eine in rabiatem Stil dokumentarisch verfasste Biographie, sondern auch ein bedeutendes Zeitdokument, findet Profousová:

„Wenn er nur über sich geschrieben hätte, hätte ich das Buch wahrscheinlich doch ziemlich schnell langweilig gefunden. Aber alles spielt sich eben vor dem Hintergrund der Zeit ab. Er schildert etwa, wie er mit Honza Krejcarová in kleinen Läden betteln geht und die Geschäfte hinterher enteignet werden. Er war glühender Marxist und zeitgleich Surrealist, was schon an sich eine lustige Verbindung ist. Dann verändert er sich und wird eher zu einem Regimegegner. Das war für mich total interessant.“

Egon Bondy: Die ersten zehn Jahre | Foto: Ferdinand Hauser,  Radio Prague International

In seiner vor allem anhand von Tagebucheinträgen verfassten Autobiographie schildert Bondy seine Anfangsjahre als Dichter. Er bewegt sich am Rande der Gesellschaft – wenn überhaupt. Seine große Liebe zu jener Zeit ist Honza Krejcarová, die später Jana Černá heißen sollte. Honza, so Bondy, schläft mit jedem und jeder, der oder die nicht bei spätestens zwei auf den Bäumen ist. Und obwohl man die Beziehung der beiden heute wohl als „toxisch“ bezeichnen würde – Bondy kann seine Freundin nicht loslassen, immer wieder findet sie den Weg zurück zu ihm. Wie die beiden stehlen, betteln, sich durchs Leben schlagen, ist dabei nur ein Aspekt von Bondys Ausführungen. Der Dichter schildert auch, wie er böhmisches Kristallglas nach Österreich schmuggelt. Wie er in Wien mit dem französischen Geheimdienst kollaboriert. Oder wie er in die Psychiatrien eingewiesen wird, der Wehrpflicht entkommt und von der Hinrichtung eines Wegbegleiters erfährt.

All dies aufzuschreiben, muss Egon Bondy einiges an Mut gekostet haben, meint Jan Faktor. Nur wenige Schriftsteller hätten damals derart brisante Texte verfasst. Den damit einhergehenden Gefahren muss sich auch Bondy bewusst gewesen sein. Denn aus Angst vor einer eventuellen Verfolgung habe er entsprechende Sicherheitsmaßnahmen gewählt, schildert Faktor:

Jan Faktor | Foto: Ferdinand Hauser,  Radio Prague International

„Das Manuskript wurde lange in wenigen Exemplaren an unterschiedlichen Orten geheim aufbewahrt – aus gutem Grund. Zum Glück ist es erhalten geblieben und wurde publiziert.“

Veröffentlicht wurde das Buch dabei freilich erst nach der Samtenen Revolution, im Jahr 2002. Egon Bondy wohnte zu dieser Zeit bereits in Bratislava. Fünf Jahre später starb er.

„Die schwierigste Übersetzung, die ich je gemacht habe“

Eva Profousová ist im Rückblick dankbar, dass sie Bondys Biographie übersetzt hat. Sie sagt aber auch:

„Das war die schwierigste Übersetzung, die ich jemals gemacht habe. Das hängt damit zusammen, dass ich Bondy als Autor überhaupt nicht greifen konnte. Auch sonst, wenn ich ihn lese, ist er mir schwer verständlich. Bei diesem Text kam aber hinzu, dass er nun einmal 1981 retrospektiv entstanden ist. Innerhalb von sieben Arbeitstagen! Das merkt man dem Buch an. Bondy mäandert, erzählt mal hier und mal dort etwas. Es gibt keine tragende Geschichte.“

Noch herausfordernder sei aber gewesen, den richtigen Ton zu finden, so die Übersetzerin:

„Bondy bewegt sich zwischen einer totalen Hybris, schildert wie toll und klug er ist. Dann gibt es auch wieder lustige, eher ironische Statements. Und dazwischen diesen Menschen zu finden, war für mich wahnsinnig schwierig.“

Um dem Autor näher zu kommen, hat sich Eva Profousová unter anderem Filme über Egon Bondy angeschaut…

„In einer Dokumentation konnte ich etwa hören, wie Bondy rezitiert hat. Irgendwann habe ich dann auch eine Stimme für das Buch gefunden – aber das hat wahnsinnig lange gedauert. Das war so, als würde man in eine wabernde Materie greifen und gar nicht wissen, was man dort herausholt.“

Egon Bondy | Foto: Guerilla Records

Eva Profousovás Arbeit bestand aber nicht nur in der Übersetzung der Biographie. In Gesprächen mit dem Verleger wurde ihr immer wieder klar, dass die unzähligen Namen und Realien, die Bondy in seinem Text erwähnt, für ein deutschsprachiges Zielpublikum einiger Erklärungen bedürfen. Und so hat die Übersetzerin ein Glossar erstellt und dem Buch angehängt – das erste Mal überhaupt in ihrer Laufbahn…

„Ich bin diese Tätigkeit nicht gewohnt, das ist etwas ganz Anderes. Man muss die Informationen so komprimieren, dass sie verständlich sind, gleichzeitig aber auch nicht zu lang. Ich bin dabei an meine Grenzen gestoßen und fand das schon hart. Aber ich habe es geschafft.“

Regimegegner und Mitarbeiter der Geheimpolizei

Wer Egon Bondys Buch und das Glossar von Eva Profousová durchgelesen hat, der stößt im Anhang des Bandes auf ein umfangreiches Nachwort von Jan Faktor. Der Autor geht auf Bondys literarisches Schaffen ein, thematisiert den Entstehungskontext der Autobiographie, aber etwa auch die Übersetzungen Egon Bondys aus dem Deutschen. Faktor spannt den Bogen dabei weiter und blickt nicht nur auf die „ersten zehn Jahre“. So erläutert er die Vertonungen der Plastic People, aber auch die dunklen Seiten von Bondys Lebensgeschichte – nämlich seine Zusammenarbeit mit dem tschechoslowakischen Geheimdienst StB. Faktor sagt dazu:

„Bondy wurde als Informant verpflichtet. Die Zusammenarbeit wurde aber immer wieder beendet, aufgrund der Unzuverlässigkeit Bondys. Er hat sich nämlich auch herumgedrückt, Leute gewarnt und sich dekonspiriert. Auf der anderen Seite hat er tatsächlich Aufträge erfüllt, die ziemlich übel waren. Andere Menschen wiederum hat er geschützt und nicht über sie berichtet.“

Eine ambivalente Persönlichkeit also, dieser Zbyněk Fišer alias Egon Bondy, und die Frage nach der Schuld ist von daher womöglich nicht angebracht. Denn dass er überhaupt mit der Geheimpolizei kooperierte, habe wohl auch damit zusammengehangen, dass der Autor Angst hatte – vor den Strafanstalten und eventuellen Mitinhaftierten…

„Er hätte das Gefängnisleben nicht überstanden – und das war ihm klar. Das ist auch die Erklärung dafür, warum man ihn als Dichter dennoch akzeptiert: Er war sozusagen nicht das reine Schwein, sondern hat aus Angst gehandelt. Und dieses Recht auf Angst billigt man ihm zu.“

Bondy schrieb auch auf Deutsch

Dem Anhang hat Jan Faktor auch einige Gedichte Egon Bondys vom Beginn der 1950er Jahre angefügt. Dabei ist die Wahl unter anderem auf Texte gefallen, die im Ausgangstext bereits auf Deutsch sind…

„Ich war zunächst unsicher, ob diese Gedichte mit aufgenommen werden sollten. Aber ich finde sie wirklich gut, und gerade die ‚Dagmara‘-Gedichte sind echt witzig.“

Dagmara schläft um zu träumen
Sie will nichts Hübsches versäumen
Sie schläft und schläft und träumt und träumt
und hat die Vorlesung versäumt

Die tschechischen Gedichte für den Anhang hat Jan Faktor gemeinsam mit seiner Frau, Annette Simon, übersetzt. So herausfordernd wie die Übertragung der „Hilfsschule Bixley“ von Ivan Blatný, die das Paar ebenfalls ins Deutsche übertragen hat, seien Bondys Verse bei Weitem nicht gewesen, meint Faktor. Schwierigkeiten habe es aber dennoch gegeben. Immer habe man aber eine Lösung gefunden, so der Autor – fast immer:

„Es gibt ein Gedicht zum Thema Verstopfung, das bei den Plastic People natürlich toll präsentiert wird. Leider funktionierte diese Reimerei im Deutschen nicht ganz so gut wie im Tschechischen. Da war ich schon traurig, denn das ist eines der witzigsten und härtesten Gedichte. Aber Annette und ich haben unser Bestes gegeben.“

„Die ersten zehn Jahre“ von Egon Bondy ist in Berlin bei Guggolz erschienen. Aus dem Tschechischen hat das Buch Eva Profousová übersetzt, mit einem Nachwort versehen wurde es von Jan Faktor. Der Titel hat 236 Seiten und kostet 23 Euro.