Ein bisschen wie Masaryk – das Präsidentenamt in Tschechien

T.G. Masaryk

Nicht Václav Havel, sondern Tomáš Garrigue Masaryk gilt für die Tschechen immer noch als der Präsident aller Präsidenten. Seine Auslegung des Amtes prägt zudem bis heute das Verständnis vom Staatsoberhaupt in Tschechien. Till Janzer nun mit einem Beitrag über Gegenwart und Geschichte des höchsten Mannes auf der Prager Burg.

„Väterchen“ nannten ihn viele Bürger des Landes. In gewisser Weise muss sich TG Masaryk aber auch gegenüber der restlichen politischen Repräsentanz als Vaterfigur gesehen haben. In jedem Fall nahm sich der erste Staatspräsident der Tschechoslowakei viel heraus. Schon in der Verfassung von 1920 ließ er sich eine Sonderstellung sichern. Dort heißt es nämlich, wie der Historiker Vratislav Doubek sagt:

„Der Staatspräsident darf nicht mehr als zweimal hintereinander gewählt werden, mit Ausnahme des ersten tschechoslowakischen Präsidenten. Das war natürlich Masaryk direkt auf den Leib geschnitten.“

Tatsächlich ließ sich das „Väterchen“ gleich viermal in Folge zum Staatsoberhaupt wählen. 17 Jahre lang war er im Amt, und das nutzte er weidlich, um in die Regierungsbildung einzugreifen. Von der Verfassung her hatte der Präsident damals die Kompetenz, den Premier und die Minister zu ernennen sowie den Ministern ihre Ressorts zuzuteilen.

„Masaryk ging noch um einen Schritt weiter, indem er den einzelnen Ministern vorschrieb, wie sie ihr Amt zu führen hätten. Er versuchte ihnen neben dem Ernennungsdekret auch noch eine Art politisches Programm unterzuschieben, in welchem er als Staatspräsident erläuterte, wie und in welche Richtung der jeweilige Minister arbeiten sollte. Das löste bei den Ministern geringeren oder größeren Unwillen aus, der von Zurückhaltung bis zu offenem Widerstand reichte“, so Vratislav Doubek.

Der Popularität Masaryks tat dieses etwas dreiste Vorgehen jedoch keinen Abbruch. 1935 schied dann Masaryk aus Altersgründen aus dem Amt. Seitdem haben die Tschechen insgesamt neun weitere Staatspräsidenten erlebt - inklusive Václav Klaus. Erhalten geblieben ist der Wahlmodus: Auch in der damaligen Tschechoslowakei schritten schon nicht die Bürger zur Urne, sondern die Abgeordneten beider Parlamentskammern. Im Prinzip also wie in Deutschland. Doch welche Stellung hat das heutige tschechische Staatsoberhaupt? Radio-Prag-Mitarbeiter und Politologe Robert Schuster erläutert dies im Vergleich:

„Der deutsche Bundespräsident ist eher eine moralische Autorität, derjenige, der in Krisenzeiten durch eine Rede oder durch ein Interview das politische Leben beeinflusst, das heißt eher durch indirekte Maßnahmen. Der tschechische Präsident hat in dieser Hinsicht in Krisenzeiten mehr Kompetenzen, zum Beispiel beim Ernennen einer neuen Regierung. Er ist da nicht an die Ergebnisse der Parlamentswahlen gebunden, er kann zweimal praktisch aus dem Stehgreif jemanden zum Premierminister ernennen, der nicht Mitglied der stärksten Partei sein muss. Dass es doch meistens anders ist, ist ein parlamentarischer Brauch. Theoretisch aber könnte der Präsident auch den Vertreter der kleinsten Partei zum Regierungschef machen und ihm so eine Chance geben, eine Mehrheit zusammenzubasteln.“

Aber auch von der Stellung im politischen Gefüge her ist der tschechische Präsident dem deutschen Staatsoberhaupt überlegen.

„Der Bundespräsident hat eine eigene Passage im Grundgesetz, in der er nicht als Teil der Exekutive gesehen wird. In Tschechien ist der Präsident aber Bestandteil dieser ausführenden Macht. Das heißt: Hierzulande wird angenommen oder praktisch vorausgesetzt, dass der Präsident und die Regierung irgendwie miteinander zusammenarbeiten müssen, auch wenn sie vielleicht unterschiedlicher Couleur sind. Denn der Staatspräsident ist in Tschechien auch Oberbefehlshaber der Armee. Er wird also zu Beratungen und Regierungssitzungen herangezogen, wenn es um die Reform der Streitkräfte geht. Es ist auch unvorstellbar, dass über Auslandseinsätze der tschechischen Armee ohne den Präsidenten entschieden wird“, sagt Schuster.

Aber auch die Außenpolitik kommt die Regierung an der Prager Burg nicht einfach so vorbei, wenn sie nicht riskieren will, dass das Staatsoberhaupt sich einfach querstellt. Robert Schuster erläutert:

Die Prager Burg - Sitz des tschechischen Präsidenten
„Bei Großereignissen wie Gipfeltreffen von Staatschefs teilen sich Präsident und Premierminister häufig die Rollen, Früher war es so, dass Václav Havel oft zu Veranstaltungen der Vereinten Nationen gefahren ist, also dieses Globale aufgesucht hat, das seinem Naturell auch sehr nahe kommt, währen die konkreten politischen Entscheidungen im Rahmen zum Beispiel von Nato-Treffen der Premier bearbeitet hat. Das heißt, da ist das deutsche Modell ein völlig anderes. Dort gibt es die Kanzlerdemokratie. Der Bundeskanzler, also zur Zeit die Bundeskanzlerin ist klare Nummer eins des politischen Geschehens und auch der politischen Entscheidungsfindung.“

Haben die Politologen denn für das tschechische System eine eigene Bezeichnung?

„Eigentlich nicht. Tschechien ist schon eine parlamentarische Demokratie. Aber die starke Stellung des Präsidenten ist vielleicht auch gar nicht einmal so eine Folge der Kompetenzen, die ihm die Verfassung gibt, sondern entstammt eher der Tradition. Schon TG Masaryk hatte auf dem Papier relativ wenige Kompetenzen, aber umso stärkeren informellen Einfluss. Ich würde sagen, dass das auch das tschechische Präsidentenamt geprägt hat. Und obwohl zwischen 1918 und 2008 immerhin 90 Jahre liegen, ist diese Prägung durch Masaryk immer noch sehr stark. Und alle Präsidenten werden versuchen, an dieses von Masaryk einmal vorgegebene Modell anzuknüpfen und werden versuchen, das Amt auch dementsprechend zu füllen.“

Autor: Till Janzer
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