Ein Denkmal gibt zu denken - Liberec erinnert an die Opfer des Kommunismus
Vor gut einem Viertel Jahr wurde in Liberec / Reichenberg ein Denkmal eingeweiht und zwar unter der Schirmherrschaft des ehemaligen tschechischen Dissidenten und Präsidenten Vaclav Havel. Es war der 27. Juni, der Tag, an dem vor genau 56 Jahren die tschechische Bürgerrechtlerin Milada Horakova hingerichtet wurde. Das Denkmal ist den Opfern des Kommunismus gewidmet. Christian Rühmkorf hat es sich für Radio Prag angeschaut.
Ein Denkmal für die Opfer des Kommunismus - wie könnte das aussehen? Schwere Panzerketten, die an die Übermacht der Warschauer-Pakt-Armeen im Jahre 1968 erinnern? Eiserne Gitterstäbe eines Gefängnisses oder ein überdimensioniertes Stück Stacheldraht? Sinnschwangere Symbole müssten wohl her! Die Architekten des Denkmals für die Opfer des Kommunismus in Liberec / Reichenberg sind andere Wege gegangen. Ein schmaler kopfsteingepflasterter Weg führt in den kleinen Park neben der Jablonecer Straße, teilt sich und umarmt eine kleine grüne Insel auf der ein paar alte Eichen stehen. Dort, wo die Wege wieder zusammenfließen, findet der Besucher zu seinen Füßen eine in den Boden eingelassene Inschrift: "Den Opfern des Kommunismus 1948 bis 1989". Sieht er wieder auf, so wird den Besucher spätestens jetzt sein eigenes Abbild aus einer gewaltigen ca. viereinhalb mal drei Meter großen Spiegelwand anschauen. Spiegel ziehen uns magisch an. Selbst das kleinste Schaufenster ist uns zumindest einen flüchtigen, wenn auch verschämten Blick wert, um uns zu vergewissern, ob auch alles seine Ordnung hat. Spiegel kennen da keine Gnade. Sie werfen erbarmungslos das zurück, was in sie hineinschaut. Dies haben sich auch die Architekten des Denkmals zunutze gemacht. Denn tritt der Spaziergänger nun an den Spiegel heran, so findet er eine weitere Inschrift im Boden. Einen einzigen kurzen Satz, der jedoch erst gespiegelt lesbar wird: "In dir selbst suche zu ergründen, ob du die Freiheit verteidigst, ehrst oder einschränkst." Der junge Architekt Petr Janda, der dieses Projekt für das Prager Architektenbüro Sporadical geleitet hat, erklärt das Konzept.
"Wir haben uns bemüht, den Begriff "Denkmal" umzudrehen, ihn für die heutige Zeit und für dieses Thema neu zu definieren. Wir wollten kein Symbol gegen Kommunistische Unterdrückung aufstellen, wie man das gewöhnlich macht. Wir haben uns bemüht eine Betrachtungsebene zu finden, die das Spezifikum des damaligen kommunistischen Regimes zeigt. Das haben wir vor allem darin gesehen, dass es nicht einfach zu unterscheiden war und ist, wer aktiv am System der Unterdrückung beteiligt war, wer bis zu einem gewissen Grad gezwungen seinen Anteil leistete oder wer ein reines Opfer war. Diese Entscheidung haben wir in die Hände jedes Einzelnen gelegt, der vor dieses Denkmal tritt. Jeder wird im Anblick seines Spiegelbildes mit seinem eigenen Gewissen konfrontiert. Es geht also um die persönliche Verantwortung jedes Einzelnen für seine Taten in der Vergangenheit, aber auch für sein zukünftiges Handeln in der Gesellschaft. In diesem Sinne verliert das Denkmal nicht an Aktualität."
Die Größe der Spiegel ist beeindruckend. Leicht fühlt sich der Betrachter sehr klein. Jedoch: Dieses Denkmal klagt nicht an. Kein Finger, der auf einen zeigt, nur das eigene Gesicht im Spiegel. Und darauf kommt es Petr Janda an:
"Die Größe der Spiegel soll den Betrachter nicht einschüchtern. Das auf keinen Fall. Vielmehr geht es darum, dass er sich auf seine Umgebung und auf das, was er sieht, einlässt. Es ist zwar eine intime Angelegenheit, wenn der Mensch sich selbst in die Augen schaut, aber er soll sich als Teil der Welt sehen, die ihn umgibt. Für mich ist die Spiegelung identisch mit dem, was ich bin. Kein Blick in eine eingefrorene Vergangenheit, sondern eine Spiegelung der Wirklichkeit. Der Mensch soll die Möglichkeit haben, sich auf sich selbst zu konzentrieren, sich dem Thema persönlich anzunähern, damit er nicht sagt, ach das gehört der Vergangenheit an, damit habe ich nichts zu tun. Jeder soll sich bewusst werden, dass sich das wiederholen kann, dass jeder Mensch ein Teil der Geschichte ist."Auf dem Steffansplatz in Liberec / Reichenberg steht bereits ein Mahnmal, das den Opfern des Zweiten Weltkrieges gewidmet ist, wozu auch Kommunisten gehören. Jitka Mrazkova, Projektmanagerin des Magistrats in Liberec, erklärt, warum ein Denkmal speziell für die Opfer des Kommunismus gewünscht wurde:
"Ich verstehe natürlich die Antikommunisten, wenn sie es ablehnen sich mit einem Denkmal für die Opfer des Zweiten Weltkrieges zu identifizieren. Daher beginnt man nun in den größeren Städten da historisch genauer zu unterscheiden - wie auch zum Beispiel in Prag, wo bereits zwei Denkmäler stehen."
Die Ausschreibung für das Denkmal wurde bereits vor einigen Jahren republikweit veröffentlicht. Jitka Mrazkova war selbst Mitglied in der Jury:
"In der Kommission waren Liberecer Politiker, sowohl hiesige als auch Prager Architekten, wie zum Beispiel Ales Vesely - einer der bekanntesten bildenden Künstler in Tschechien - oder zum Beispiel auch der Direktor der Schule für bildende Kunst in Jablonec / Gablonz. Alles in allem war das Spektrum der Kommission breit gefächert. Eingereicht wurden an die zehn Vorschläge - vom klassischen figuralen Entwurf bis hin zu sehr abstrakten Ideen. Ich denke, um dieses Denkmal können uns andere Städte nicht nur im Kreis, sondern auch in der gesamten Republik und vielleicht auch in Europa beneiden."Aber was hält die Partei davon, die das Wort "kommunistisch" in ihrem Namen führt? Dazu die Vorsitzende des Kreisausschusses der Kommunistischen Partei Liberec, Dana Lysáková:
"Wir sind natürlich mit dem Bau dieses Denkmals nicht einverstanden gewesen und zwar nicht nur aus finanziellen Gründen. Vor allem handelt es sich um eine gezielte Aktion gegen die Kommunistische Partei, die nicht so sehr die Geschichte und die Opfer im Sinn hat, sondern vielmehr auf die Zukunft ausrichtet, mit dem Ziel die kommunistische Partei zu diskreditieren. Wir wollen zwar das politische System ändern, aber auf dem Parlamentswege."
Die Vorsitzende der Kommunistischen Partei bedauere jedes Opfer während der kommunistischen Zeit, ob in den fünfziger Jahren oder zur Zeit der so genannten Normalisierung nach der Niederschlagung des Prager Frühlings 1968. Aber beklagenswert sei jedes Opfer, gleich unter welchem Regime. Also auch Opfer des Kapitalismus und der imperialistischen Politik zum Beispiel der USA. Dieses Denkmal verdiene ihrer Ansicht nach keine Beachtung. Die Projektleiterin des Magistrats hält dem entgegen:"Für viele Leute ist das zwar hinausgeworfenes Geld, aber ich sehe das anders. Kommunismus ist ein ähnliches Gespenst wie der Faschismus. Und Leute, die für uns ihr Leben gelassen haben, in diesem Falle Antikommunisten, die haben dieses Denkmal verdient. Und wenn einige Menschen das nur als schöne Spiegel wahrnehmen und sich Kinder dort gern tummeln, dann ist auch das gut, denn öffentliche Plätze sollen schön und angenehm sein."
Und die Bürger selbst? Was halten sie von ihrem neuen Denkmal?
"Man muss darauf hinweisen, dass so ein Denkmal wichtig ist - damit die Leute wissen, was damals passiert ist."
"Jedes Opfer, unter welchem System auch immer, ist eine Abschreckung für zukünftige Generationen.""Es gefällt uns sehr gut und ich bin froh, dass es in Liberec ist. Zuerst sollte es ja in Prag stehen. Ich bin froh, dass es hier steht."
"Davon gibt es zu wenig."
Eine ähnliche Ansicht vertritt auch ein deutscher Urlauber:
"Es gefällt mir ausgezeichnet und ich könnte mir auch vorstellen, dass in Liberec so ein Kunstwerk provokant wirkt, aber diese Provokation könnte ich mir auch in einigen ostdeutschen Städten gut vorstellen und würde es mir auch wünschen."
Aber es gibt auch Gegner.
"Das ist einfach zu viel Geld für so eine Sache." Der Spiegel gefalle ihr, sagte eine andere Dame, die Inschrift lese sie allerdings nicht und fügt augenzwinkernd hinzu: "Sie wissen schon, wie das gemeint ist." Das Denkmal sei überflüssig.
So unterschiedlich wie die Meinungen zu diesem Denkmal, so verschieden dürften wohl auch die Antworten ausfallen, wenn einjeder in sich hineinhorcht und zu ergründen sucht, ob er die Freiheit verteidigt, ehrt oder - einschränkt.