Ein Schloss im Dornröschenschlaf – Mnichovo Hradiště

Schloss Mnichovo Hradiště

Das Schloss Mnichovo Hradiště / Münchengrätz liegt in der gleichnamigen Kleinstadt am Rande des Landschaftsschutzgebietes Böhmisches Paradies. Über drei Jahrhunderte, von 1622 bis 1946, stand es im Eigentum einer Linie des Adelsgeschlechtes Waldstein. Dessen berühmtestes Mitglied, Albrecht Wenzel Eusebius von Waldstein, besser bekannt als Wallenstein, fand in der dortigen Sankt-Anna-Kapelle seine letzte Ruhestätte. Das nordböhmische Barockschloss enthält noch heute viel ursprüngliches Inventar.

Die Besucher können im Schloss Mnichovo Hradiště drei verschiedene Führungen wählen. Auf dem ersten Rundgang wird die Architektur und Ausstattung aus der Zeit des Barock und Rokoko gezeigt. Der zweite Rundgang thematisiert eine dreiwöchige Zusammenkunft der Heiligen Allianz, die 1833 in Mnichovo Hradiště abgehalten wurde. Fast alle Gegenstände, die auf diesen beiden Rundgängen gezeigt werden, sind historisch mit dem Schloss verbunden, also authentisch. Nur beim dritten Rundgang ist dies anders:

Lapidarium in Dreikönigskirche | Foto: Petr Kříž,  Nationalinstitut für Denkmalpflege

„Er umfasst die Ausstellungen in der Dreikönigskirche und der Sankt-Anna-Kapelle. Die Kircheneinrichtung wurde 1968 entfernt, und der Innenraum wurde zu einem Lapidarium aus Sandsteinskulpturen umgestaltet, die aus ganz Mittelböhmen hierher gebracht wurden“, erläutert Soňa Švábová.

Sie verwaltet das Schlossdepot. Für vorangemeldete Gruppen ab 15 Personen macht sie außerdem Führungen in Deutsch. Dabei geht sie auch auf die Herkunft des Namens Waldstein ein. Er sei im Hochmittelalter entstanden, erklärt die Depotverwalterin:

Burg Waldstein | Foto: Jaroslav Hoření,  Tschechischer Rundfunk

„Die Familie Waldstein ist nach der Burg Waldstein benannt. Im 13. Jahrhundert wurden bereits Steinburgen gebaut. Und von ihnen kommen Namen wie Waldstein oder Sternberk. Die Burg Waldstein ist öffentlich zugänglich und sehr schön. Sie ist zwar eine Ruine, aber sie hat auch eine Kirche und liegt landschaftlich sehr schön in den Sandsteinfelsen des Böhmischen Paradieses.“

Im Besitz der Waldsteins

Václav Budovec von Budov

Durch das Abschleifen der Konsonanten entstand aus „Waldstein“ die Namensform „Wallstein“ oder auch „Wallenstein“. Letztere verwendete Friedrich Schiller in seiner berühmten Wallenstein-Trilogie. Das Schloss Mnichovo Hradiště wurde 1606 von dem böhmischen Adeligen Václav Budovec von Budov im Stil der Renaissance errichtet. Gut ein Jahrzehnt später nahm Budovec an der Erhebung protestantischer Kräfte gegen Kaiser Ferdinand II. teil. 1621 wurde er zusammen mit anderen Anführern dieses sogenannten „Ständeaufstandes“ auf dem Altstädter Ring in Prag hingerichtet. Seine Besitzungen seien nachfolgend beschlagnahmt worden, so Švábová:

„1622 kaufte Albrecht Waldstein das Schloss. Und von jener Zeit an blieb es bis 1946 im Besitz der Familie Waldstein. Ich finde es phantastisch, dass es die Familie schon so lange gibt. Nachkommen der Münchengrätzer Hauptlinie leben heute in Wien, und sie kommen natürlich manchmal auch hierher.“

Maximilian von Waldstein | Foto: Pavel Vlach,  Wikimedia Commons,  CC BY-SA 4.0 DEED

Albrecht von Waldstein behielt das Anwesen allerdings nicht lange. Bereits 1627 veräußerte er es an seinen Cousin Maximilian von Waldstein. Dessen Enkel, Ernst Joseph von Waldstein, stiftete Ende des 17. Jahrhunderts ein Kapuzinerkloster, das gleich neben dem Schlossgelände angesiedelt wurde.

„Er hat alles bezahlt, doch die Kapuziner erbauten das Kloster in einem ganz einfachen Stil. Es war für ungefähr zehn Mönche bestimmt. Und beim Kloster wurde die Dreikönigskirche errichtet“, so die Verwalterin.

Reitschule | Foto: Pavel Vlach,  Wikimedia Commons,  CC BY-SA 4.0 DEED

Das Schloss selbst hatte Ernst Joseph von Waldstein bereits an der Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert von Grund auf neugestaltet. Den Umbau leiteten die Barockarchitekten Marco Antonio Canevalle und Niccolo Raimondi. Der ursprüngliche Renaissancebau wurde aufgestockt, der Südflügel verlängert und ein Ostflügel angebaut. So erhielt das Schloss seine heutige U-Form. Vor dem Hauptgebäude liegt ein französischer Park mit zwei Pferdeställen, einer Reitschule, einem Gartensaal, einer Orangerie und einer Kutschenremise.

Zahlreiche Porträts erinnern noch heute im ganzen Schloss an die ehemaligen Besitzer des Anwesens und ihre Verwandten. Ein großes Tafelgemälde im Flur stellt den weit verzweigten und viele Generationen umfassenden Stammbaum der Waldsteins dar. Soňa Švábová weiß, dass die heutigen Schlossbesucher besonders die Sammlungen von Kunst und Kunsthandwerk schätzen, etwa die Porzellan- und Steingutkollektionen, die sie auf dem ersten Rundgang zeigt:

Delfter Speisesaal,  Mnichovo Hradiště | Foto: Petr Kříž,  Nationalinstitut für Denkmalpflege

„Wir kommen jetzt in die eigentlichen Sammlungsräume. Einer davon ist der Delfter Fayence-Speisesaal. Hier ist vor allem Delfter Fayence und chinesisches Porzellan sowie japanisches Porzellan aus dem 17. und 18. Jahrhundert ausgestellt. Als Schauraum wurde das Zimmer jedoch erst 1872, also zweihundert Jahre später, ausgestattet.“

Waffensammlung | Foto: Petr Kříž,  Nationalinstitut für Denkmalpflege

Damals baute man eine einzigartige Kassettendecke aus der Renaissance ein. Sie wurde aus einem anderen familieneigenen Schloss in Nordböhmen nach Mnichovo Hradiště übertragen. Weitere Stationen des Rundgangs sind ein Gemäldekabinett, die Sammlung antiker Gefäße des schillernden Barons Franz Koller sowie das Jagdzimmer und die Rüstkammer, deren Waffensammlung bis ins 16. Jahrhundert zurückreicht. Für die Veduten, also wirklichkeitsgetreue Landschaftsbilder, ist ebenfalls ein eigener Raum reserviert. Eine von ihnen zeigt eine nur vier Kilometer vom Schloss entfernte Klosterruine.

Soňa Švábová | Foto: Maria Hammerich-Maier,  Radio Prague International

„Das war ein Zisterzienserkloster. Es wurde im 12. Jahrhundert gegründet. Damals bedeckte hier Urwald das Land. Die Mönche brachten Kultur mit. Und sie gründeten auch die Stadt. Die ältesten Erwähnungen stammen aus dem Jahr 1239. Die Stadt heißt ‚Münchengrätz‘, weil sie von Mönchen gegründet wurde“, so Soňa Švábová.

Das Zisterzienserkloster brannte während der Hussitenkriege nieder. An seiner Stelle entstand ein Renaissanceschloss, das später in den Besitz Albrechts von Waldstein überging. Im 19. Jahrhundert gründeten die Waldsteins dort eine Brauerei. Seit 2020 wird zwar nach mehreren Besitzerwechseln kein Bier mehr gebraut, doch die Biermarke Klášter, deutsch „Kloster“, gibt es noch immer.

Bibliothek aus Schloss Duchcov | Foto: Petr Kříž,  Nationalinstitut für Denkmalpflege

Sehr sehenswert ist auch die Schlossbibliothek. Seit dem 17. Jahrhundert zusammengetragen, enthält sie neben alten Handschriften, theologischen und historischen Schriften auch Alchemie-Rezepte oder Journale aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges. 1921 wurde die Bibliothek von Schloss Duchcov / Dux in sie integriert. Im dortigen Waldstein’schen Schloss brachte bekanntlich Giacomo Casanova seinen Lebensabend zu und verfasste seine Autobiographie.

Geschichtsträchtiges Treffen

Doch auch im Schloss Mnichovo Hradiště wurde Geschichte geschrieben. 1833 kamen dort die Spitzenvertreter der Heiligen Allianz zusammen. Kaiser Franz I. von Österreich, Zar Nikolaus I. von Russland und der preußische Kronprinz Friedrich Wilhelm berieten mit Vertrauten und Gesandten über die politischen Entwicklungen ihrer Zeit. Eingefädelt hatte die Zusammenkunft Graf Christian von Waldstein. Er versprach sich von dem Treffen persönliche Vorteile und scheute weder Aufwand noch Mühe für seine hohen Gäste. Soňa Švábová:

Galeriezimmer | Foto: Petr Kříž,  Nationalinstitut für Denkmalpflege

„Dieses Treffen dauerte drei Wochen, vom 3. bis 20. September. Und es gab wirklich für jeden Tag ein Programm. Wir haben genaue Informationen darüber, denn die Tochter Christians von Waldstein, die damals 15 Jahre alt war, schrieb Tagebuch. Sie notierte, was sich Tag für Tag ereignete: Wann eine Jagd war, wann Theater gespielt, wann getanzt wurde und so weiter.“

Architektonisch erinnert ein Tor mit dem schmiedeeisernen Doppeladler noch heute an das Treffen – ein Anklang an das damalige russische wie auch das österreichische Staatswappen. Bereits drei Jahrzehnte nach dem Bündnistreffen wurde in der Residenz ein Gedenkzimmer geschaffen. Es sei heute in nachgestalteter Form Teil der Schlossführungen, sagt die Verwalterin:

Schrank mit einem zweiköpfigen Adler | Foto: Markéta Vejvodová,  Tschechischer Rundfunk

„Das Gedenkzimmer enthält Dokumente mit den Unterschriften der Kaiser und Gastgeschenke. Zar Nikolaus schenkte zum Beispiel Christian Waldstein und seiner Frau Maria, geborene Thun-Hohenstein, einen Schrank mit einem zweiköpfigen Adler, der das Symbol der Allianz wurde. Es gibt ein Foto, auf dem das ursprüngliche Gedenkzimmer abgebildet ist. Das war ein Raum im zweiten Stock. Wir haben vieles von der Ausstattung wiedergefunden.“

Schlosstheater | Foto: Radovan Chmel,  Nationalinstitut für Denkmalpflege

Der Kachelofen des Zimmers, ein kunsthandwerkliches Meisterwerk, wurde erst vor kurzem originalgetreu nachgebaut. Selbst das Schlosstheater hatte man für die Heilige Allianz modernisiert. Es sei eine echte Rarität, findet Švábová…

„In Tschechien gibt es sieben Schlosstheater. Vier davon sind mit allem Drum und Dran, Kostümen und Kulissen, erhalten. Vinzenz Waldstein liebte Musik. Er unterstützte auch die Premiere des ‚Don Giovanni‘ in Prag. Zusammen mit seiner Frau Sophie gründete er hier ein kleines Schlosstheater. Und später, 1833, ließ Christian Waldstein es in drei Monaten komplett umbauen.“

Theatergarderobe | Foto: David Bruner,  Nationalinstitut für Denkmalpflege

Ganze zehn szenische Bühnenbilder mit rollbaren Seitenkulissen auf Schienen sind vollständig erhalten geblieben. Auch die Technik des Schnürbodens, die Beleuchtung, Requisiten und Kostüme sind nach wie vor im Schloss vorhanden. In der Theatergarderobe wird heute neben Bühnenkostümen auch historische Kleidung der adeligen Gesellschaft von nicht alltäglichem Reiz ausgestellt.

„Wir haben hier ein Foto der Sammlung des Schlosses Zahrádky, das war ein Besitztum der Liechtensteins. Einmal betrachtete ich es, da fiel mir plötzlich ein: Das Kostüm darauf, das haben wir! Ich schaute nach und fand heraus, dass das Foto von einem Fest 1877 im Prager Waldstein-Palais stammt. Und tatsächlich habe ich das Kostüm in unserem Depot gefunden, nur der Rock fehlt.“

Dreikönigskirche mit St.-Anna-Kapelle | Foto: Petr Kříž,  Nationalinstitut für Denkmalpflege

Es sind beglückende Momente für die Verwalterin, wenn sie Dinge, die auf historischen Abbildungen zu sehen sind, unter den Abertausenden Gegenständen wiederentdeckt, die im Schlossdepot lagern. Der dritte Rundgang führt in die Dreikönigskirche des einstigen Kapuzinerklosters und die an sie angrenzende St.-Anna-Kapelle. In dieser sind mehrere Mitglieder der Linie der Waldsteins bestattet, die in Mnichovo Hradiště wurzelte. Soňa Švábová:

„Aus heutiger Sicht ist interessant, dass nach den Reformen Josephs II. die sterblichen Überreste Albrecht Waldsteins in die Sankt-Anna-Kapelle umgebettet wurden. Und in unserer Ausstellung kann man sehen, wie es hinter dem Grabstein aussieht; dass dort eine Nische mit den Särgen Albrecht Waldsteins und seiner ersten Frau Lukrezia von Landeck ist. Albrecht Waldstein hielt sich nicht viel in Mnichovo Hradiště auf, aber seine sterblichen Überreste liegen bis heute hier.“

Ausstellung über Albrecht von Waldstein | Foto: Radovan Chmel,  Nationalinstitut für Denkmalpflege

Die Gruft der Waldsteins

Zuvor hatten sie in der Kartause von Valdice / Karthaus Walditz bei Jičín / Jitschin geruht. Dieses Kartäuserkloster hatte der Feldherr des Dreißigjährigen Krieges, der 1634 in Cheb / Eger ermordet wurde, selbst gestiftet. Von dort wurden auch die sterblichen Überreste seines einzigen Sohnes Albrecht Karl in die St.-Anna-Kapelle überführt; er war aus der zweiten Ehe mit Isabella von Harrach hervorgegangen, jedoch bereits einige Monate nach der Geburt verstorben. Die kleinen Türen zur Grabnische verdeckt heute ein monumentaler Grabstein aus rotem Marmor. Dieses Grabmal wurde zum 300. Todestag Albrechts von Waldstein im Auftrag des damaligen Schlossherrn von dem Bildhauer Karl Kolaczek geschaffen. Den Grabstein schmücken eine bronzene Büste Albrechts von Waldstein und dessen Wappen. Unterhalb des Grabmals wurde im 19. Jahrhundert eine Familiengruft angelegt.

St.-Anna-Kapelle mit Grabmal Albrecht von Waldsteins | Foto: Petr Kříž,  Nationalinstitut für Denkmalpflege

„Die Gruft ist von außen zugänglich. Dort ist Christian Waldstein mit seiner Frau Maria Thun-Hohenstein bestattet. Ernst Philipp Waldstein, der in den Napoleonischen Kriegen war, ist mit seiner Frau hier begraben. Und auch dessen Sohn Ernst Karl Waldstein, der das hiesige Museum gegründet hat“, so die Verwalterin.

Die Sankt-Anna-Kapelle, in der sich Grabmal und Gruft befinden, entstand im frühen 18. Jahrhundert als großzügiger Anbau zur Dreikönigskirche der Kapuziner. Damals wütete in Böhmen die Pest. Mnichovo Hradiště blieb wie durch ein Wunder verschont und wurde deshalb zu einer beliebten Pilgerstätte. Die Waldsteins aus dem benachbarten Schloss stifteten eine Kapelle zur Verehrung der vermeintlichen Beschützerin vor der Pest, der Heiligen Anna. Das Kapuzinerkloster wurde im Zuge der Reformen Josephs II. aufgelöst. Die Mönche durften zwar bis zu ihrem Ableben weiterhin dort wohnen, doch die Räumlichkeiten wurden für die Schlossverwaltung adaptiert.

Gedenkzimmer | Foto: Markéta Vejvodová,  Tschechischer Rundfunk

Ab 1913 wurde Schloss Doksy / Hirschberg die bevorzugte Residenz der Waldsteins in Nordböhmen. Ab jenem Jahr öffnete man das Schloss Mnichovo Hradiště bereits manchmal für Interessenten, wenn die Besitzer gerade nicht da waren. Als Begründer der musealen Tätigkeit im Schloss könne daher der bereits erwähnte Ernst Karl von Waldstein-Wartenberg gelten, schließt Švábová:

„Es gibt sogar Touristenführer aus jener Zeit. Ein richtiges Museum entstand dann ab 1937. Damals waren im Erdgeschoss des Ostflügels bereits Vitrinen mit Sammlungen aufgestellt. Besonders Ernst Karl Waldstein hatte am Ende des 19. Jahrhundert und Anfang des 20. Jahrhunderts sehr viel gesammelt.“

Während des Zweiten Weltkriegs bezogen Wehrmachtsangehörige im Schloss Mnichovo Hradiště Quartier. 1946 wurde es auf der Grundlage der Beneš-Dekrete enteignet. Die wertvollsten Stücke des Inventars wurden daraufhin an staatliche Museen, Galerien und Archive abgegeben. Dennoch sind noch heute schöne Kostbarkeiten in Hülle und Fülle im Schloss zu bestaunen. Ihr bezaubernder Glanz lässt die düsteren Momente, die es ohne Zweifel in der Schlossgeschichte auch gegeben hat, wie in einem friedlichen Dornröschenschlaf verstummen.

Seit 1. April ist das Schloss Mnichovo Hradiště nach der Winterpause wieder an Samstagen, Sonntagen und Feiertagen geöffnet, ab Mai dann außerdem auch dienstags bis freitags.

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