„Ein tragischer Herrscher“ – Historiker Pánek über Rudolf II.

Rudolf II.

Zwei römische Kaiser sind jeder Tschechin und jedem Tschechen im Bewusstsein: neben Karl IV. ist dies Rudolf II. Der Habsburger hat Prag zu dem werden lassen, was bis heute in jedem Reiseführer an erster Stelle steht: die Goldene Stadt. Doch politisch war seine Herrschaft, gelinde gesagt, ein Reinfall. Rudolf II. starb am 20. Januar 1612. Aus Anlass des 400. Todestages ein Interview mit Jaroslav Pánek, Professor am Historischen Institut der tschechischen Akademie der Wissenschaften.

Rudolf II.
Herr Professor Pánek, in diesem Jahr hat sich zum 400. Mal der Tod des Habsburger Kaisers Rudolf II. gejährt. Auf der einen Seite wird er als politisch schwach dargestellt, auf der anderen Seite hat er gerade Prag eine kulturelle Blütezeit beschert. Kann man sagen, dass er eine kontroverse Persönlichkeit war?

„Das kann man natürlich sagen, aber ich würde betonen, dass er eine äußerst komplizierte Persönlichkeit war. Einerseits Politiker, insbesondere am Anfang, mit einer klaren Regierungskonzeption, andererseits ein großer Mäzen und drittens ein schwer kranker Mann. Am Anfang war er ein sehr begabter, talentierter, gut erzogener und gebildeter Mensch, mit Erfahrungen aus Spanien, einem großen Weltreich, und später sollte er praktisch nur im Königreich Böhmen regieren. Die anderen Teile der Monarchie gehörten seinen Brüdern und anderen Verwandten. Er musste also von Anfang an in Mitteleuropa ganz andere Konzeptionen realisieren als sein spanischer Onkel Philip II., das wäre für jeden König oder Kaiser sehr schwierig gewesen. Und zudem war er praktisch seit seinem 30. Lebensjahr ernstlich krank. Das führte dazu, dass er in manchen Perioden überhaupt nicht regieren konnte. Damit sind auch viele komplizierte und problematische Phasen seiner Regierung zu erklären.“

Ferdinand I.
Wie kam es eigentlich dazu, dass Rudolf II. seinen Thron aus Wien nach Prag verlegt hat?

„Meiner Meinung nach ist es nicht möglich zu sagen, dass er den Thron wirklich verlegt hat. Die Regierung seines Vaters und seines Großvaters war anders organisiert. Ferdinand I. regierte, indem er durch die gesamte Habsburger Monarchie reiste. Maximilian II., Rudolfs Vater, versuchte schon überwiegend aus Wien zu regieren, war aber durchaus mal ein Jahr in Prag, Breslau oder Linz. Somit war die Regierung aus einer einzigen Residenz das erste Mal unter Rudolf des II. gegeben. Rudolph hatte dafür mehrere Motivationen: Die Habsburger Monarchie war nicht die Monarchie aus dem 19. Jahrhundert. Sie bestand praktisch nur aus dem Königreich Böhmen mit seinen Ländern, den österreichischen Ländern und den Resten Ungarns – alles andere war in der Hand der Türken. Wien war also weit weg vom Zentrum der Monarchie. Zugleich war Rudolf II. römisch-deutscher Kaiser und die Reichsangelegenheiten konnte er viel besser aus Prag als aus Wien regeln. Das war ganz praktisch. Im Jahre 1583 schrieb er dem böhmischen Landtag, er wollte natürlich Geld für die Renovierung der Prager Burg und betonte darin, dass es eine schöne und viel interessantere Stadt als Wien sei. Das war natürlich ein diplomatischer Schachzug. Aber auch der Druck auf den Kaiser und den böhmischen König war wichtig, schließlich waren die böhmischen Länder zu dieser Zeit die reichsten und wichtigsten Teile der Habsburger Monarchie. Und die böhmischen Stände stellten eine große Kraft dar, deshalb wurden schon in der Zeit Ferdinands und noch mehr unter Maximilian des II. darauf gedrängt, dass der böhmische König in Böhmen, also in Prag residiert. Und Rudolf war der Erste, der unter diesem Druck die Residenz nach Prag verlegte und diese Rechte und den Willen der böhmischen Stände akzeptierte.“

Jaroslav Pánek
Welche Bedeutung hat die Wahl Prags als Herrschersitz diese Stadt selbst und für die böhmischen Länder gehabt? Und wie gut hat Rudolf II. eigentlich Tschechisch gelernt?

„(Lacht) Ziemlich schlecht. Aber das war bei allen Habsburgern ein Problem, die Beherrschung der tschechischen Sprache war nie genügend. Aber er musste respektieren, dass die deutsche Minderheit zu dieser Zeit viel schwächer war als im 19. Jahrhundert. In Böhmen und Mähren, anders als in Schlesien und der Lausitz, war das Tschechische die einzige Staatssprache. Dementsprechend musste er fähig sein, auf Empfängen und Festen ein paar Wörter zu sagen und auch verstehen zu können. Aber trotzdem war seine Sprachkompetenz nie sonderlich gut. Diese Sprachfrage war jedoch nicht das Wichtigste, sondern die Verlegung des Hofes. In Prag entstand auch eine Residenz der ausländischen Gesandten, und dadurch wurde die Stadt nicht nur Zentrum der Politik und Diplomatie, sondern auch der europäischen Konflikte. Auf einem anderen Blatt steht die Kultur am Hofe. Rudolf II. war ein Mensch, der einerseits die strenge Rekatholisierung der Politik realisieren wollte, andererseits war er sehr tolerant zu Literaten und Künstlern. Die Situation in Prag und am Rudolfinischen Hof bedeutete für die Stadt erst einmal eine Vergrößerung von ungefähr 30.000 Bewohnern auf 60.000, möglicherweise auch 80.000 Bewohner. Damit wurde Prag auch im Reich die größte Großstadt dieser Zeit. Zweitens bedeutete dies eine unglaubliche Konzentrierung Intellektueller aus ganz Europa und natürlich auch des künstlerischen und intellektuellen Schaffens, zum Beispiel durch Tycho Brahe, Johannes Kepler oder Tadeáš Hájek.“

Matthias
Rudolf II. ist ja ohne rechtmäßigen Nachfolger gestorben. Was weiß man denn über sein Verhältnis zu Frauen?

„Man kann sagen, dass Rudolf der II. eine undisziplinierte Person und in dem Sinne ein undisziplinierter Herrscher war. Für jeden Herrscher ist es wichtig, einen Nachfolger zu haben oder die Nachfolge irgendwie zu organisieren. Rudolf war durchaus sexuell sehr aktiv, er hatte mehrere Mätressen, mit denen er auch Kinder hatte, wollte aber nie heiraten. Andererseits wollte er aber auch keineswegs bewilligen, dass einer seiner Brüder oder ein anderer Habsburger irgendetwas für die Nachfolge vorbereitete. Das brachte die gesamte Dynastie in große Schwierigkeiten. Aber die Habsburger Dynastie befand sich auch aus anderen Gründen in einer Krise. Geformt wurde diese durch die Konflikte und letztlich dem Krieg zwischen Rudolf und Matthias und später auch durch die internen Konflikte der protestantischen Stände in Böhmen, die auch eine Lösung der Zukunftsfrage erwarteten. Das schuf eine ungemein komplizierte Lage, und ganz gewiss hätte es besser gelöst werden können. Trotzdem war dies sicherlich kein Hauptgrund des Dreißigjährigen Krieges.“

Einfall des Passauer
Rudolf II. ist am 20. Januar 1612 gestorben. Was weiß man über seinen Tod?

„Der Tod war eine menschliche Tragödie. In den letzten Jahren war Rudolf II. schwer krank, er litt an Syphilis, Tuberkulose und hatte große Schwierigkeiten mit den Beinen, verursacht durch Abszesse. Seine letzten Jahre waren nicht nur für ihn selbst, sondern auch für seine Umgebung sehr schwierig. In der letzten Zeit seines Lebens war er sogar wahnsinnig. Das zeigte sich zum Beispiel daran, dass er 1611 einen Einfall gegen sein eigenes Land, den Einfall des Passauer Kriegsvolkes organisierte. Sein Tod war mit Skandalen verbunden, die Obduktion war öffentlich, was im Fall eines Herrschers eigentlich unmöglich war. Aber noch schrecklicher war der Hass seines Bruders und Nachfolgers Matthias. Rudolf starb im Januar, erst am 1. Oktober war jedoch das Begräbnis. Es gab zwar ein Castrum Doloris (spezielles Trauergerüst der Renaissance anlässlich des Todes von hochgestellten Personen, Anm.d.Red.), aber Matthias gab nur sehr wenig Geld dafür aus, obwohl das Erbe fantastisch groß war. Die damaligen Beobachter schrieben, dass es ein miserables Begräbnis eines Kaisers war. Daraus lässt sich schließen, dass nicht nur die Herrschaft sondern auch das Leben Rudolfs II. sehr tragisch war.“

Šimon Lomnický
Weiß man etwas darüber, wie das Volk getrauert hat, oder gibt es dazu gar keine Quellen?

„Für die Böhmen war Rudolf II. eine besondere Persönlichkeit. Er war zwar nicht beliebt, aber auch nicht gehasst, man wusste einfach fast nichts über ihn. Am Anfang kam er als junger Prinz nach Böhmen und konnte auch gewisse Sympathien entwickeln. Aber später, als kranker Mann, verbrachte er die meiste Zeit auf der Prager Burg, hatte kaum Kontakt zu Menschen außer zu Künstlern und Alchemisten. Deshalb war das Bild von Rudolf im Volk sehr unklar. Aber nach seinem Tod veränderte sich die Situation allmählich. Einer der damals beliebten Dichtern, Šimon Lomnický, schrieb in einem Begräbnislied, dass es sich Rudolf ein Vater des Vaterlandes, ja sogar des tschechischen Volkes gewesen sei. Das war natürlich pure Poesie. Aber zehn Jahre später, also schon während des Dreißigjährigen Krieges, beginnt die Idealisierung der Herrschaft von Rudolf II., die Menschen aus dieser kriegerischen Zeit versuchten, die relative Toleranz und den Frieden unter Rudolf als eine schöne, gar ideale Zeit zu würdigen. Aber das war natürlich auch eher ein Märchen.“

Autor: Till Janzer
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