Schwacher Herrscher, blühendes Prag – Kaiser Rudolf II. und seine Zeit
In der tschechischen Geschichte gilt seine Herrschaftszeit als relativ glückliche Epoche. Die Rede ist von Kaiser Rudolf II., der 1583 nach Prag übersiedelte. Gerade seine politische Schwäche machte die Stadt und die Böhmischen Länder zu einem toleranten Ort in Zeiten religiöser Verfolgung und Inquisition in Europa. Vor 470 Jahren wurde der Habsburger Kaiser Rudolf II. geboren – aus diesem Anlass blicken wir auf ihn und seine Zeit zurück.
Die Astronomen Johannes Kepler und Tycho Brahe konnten sich damals in Prag begegnen. Ohne das liberale Umfeld während der Herrschaftszeit von Rudolf II. wäre es aber wohl nicht dazu gekommen. Allerdings wurde der junge Rudolf im erzkatholischen Spanien erzogen, und eigentlich favorisierte er auch die Gegenreformation. 1572 wurde er zum König von Ungarn und 1575 auch zum König von Böhmen gekrönt. Einige Jahre später verlegte er seinen Herrschersitz nach Prag. Das hatte mehrere Gründe.
Petr Vorel ist Dekan für Geschichtswissenschaften an der Universität in Pardubice und Fachmann für die frühe Neuzeit. Im Gespräch für Radio Prag International erläuterte er, dass bereits Rudolfs Großvater mit der Stadt an der Moldau geliebäugelt hatte:
„Schon Ferdinand I. machte sich Gedanken darüber, wo ein sicherer Ort für die Grabstätte der Habsburger sein könnte. Und er ließ sich dann selbst im Veitsdom auf der Prager Burg bestatten. Aber auch über den Hauptsitz der Habsburger Monarchie wurde schon länger nachgedacht. Denn Böhmen war der wirtschaftlich stärkste Teil des Länderkonglomerats. Zudem hatte es bereits unter den Luxemburgern die Tradition des Herrschersitzes in Prag gegeben. Die Stadt war dann zu Rudolfs Zeiten vorzeigbarer als Wien. Aber vor allem war sie sicherer. Denn es drohte nicht unmittelbar ein türkischer Einfall wie in Wien, das nur einige Dutzend Kilometer von der Grenze zum Osmanischen Reich entfernt lag.“
Von 1583 bis zu seinem Tod 1612 residierte Rudolf II. in der Stadt an der Moldau. Indes lässt sich nicht so einfach schildern, welche Beziehung er zu Böhmen hatte und ob sich überhaupt von einer solchen sprechen lässt. Schließlich war er am Hof aufgewachsen und zunächst an die Übernahme des spanischen Throns herangeführt worden.
„Dort erhielt er auch eine Sprachausbildung, dazu gehörte aber kein Tschechisch. Als er nach Mitteleuropa zurückkam und der spanische Thron nicht mehr im Spiel war, ging es darum, wo er zunächst regieren werde. Sein Vater Maximilian II. bemühte sich darum, dass Rudolf zum König von Ungarn gewählt wurde, dann zum König von Böhmen und schließlich auch zum Kaiser des Heiligen Römischen Reiches. Darauf begann der junge Herrscher auch damit, Tschechisch zu lernen. Doch letztlich beherrschte er die Sprache fast gar nicht, vielleicht verstand er sie etwas. In seinem Fall lässt sich schwerlich von einer Beziehung zu den Böhmen sprechen, er nahm die Gegend eher als Kosmopolit war. Er sah sich über den Dingen stehend. Soweit wir wissen, sprach Rudolf II. selbstverständlich romanische Sprachen – Spanisch und Italienisch dabei perfekt. Aber meist kommunizierte er auch auf der Prager Burg in Deutsch“, erläutert Vorel.
Befürchtungen des Adels
Ohnehin lässt sich zu dieser Zeit schwerlich von nationalen Identitäten sprechen. Eher relevant ist daher die Frage nach den Beziehungen zwischen dem Herrscher und dem böhmischen Adel. Dazu der Historiker:
„Der Adel fürchtete den neuen Herrscher zunächst sehr. Denn Rudolf war erzkatholisch erzogen worden. Zugleich akzeptierte noch sein Vater Maximilian II. die Confessio Bohemica, eine evangelische Bekenntnisschrift der nichtkatholischen Stände Böhmens. Diese garantierte den Anhängern anderer Konfessionen weitreichende Rechte. Für den böhmischen Adel bedeutete die Confessio Bohemica eine Sicherheit angesichts der Gefahr, den dieser in der Machtübernahme durch Rudolf II. sah. Und der neue Herrscher verbarg auch nicht seinen Willen, das Land zu rekatholisieren. Erstaunlicherweise endete die Regierungszeit des Kaisers mit der Verkündung religiöser Freiheit, obwohl Rudolf letztlich dazu genötigt wurde. Aber festhalten lässt sich, dass die Thronbesteigung vonseiten des Adels mit Misstrauen begleitet wurde. Dieses schwächte sich aber in den ersten Jahren seiner Herrschaft ab, weil Rudolf nach Prag übersiedelte, wie sich das die Stände auch gewünscht und zur Bedingung gemacht hatten. Dieser Schritt wurde eindeutig positiv bewertet und sehr begrüßt.“
Im Laufe seiner Herrschaft begann Rudolf II. jedoch, sich immer mehr ins Private zurückzuziehen. Der Adel sah den Herrscher kaum noch bei irgendwelchen Festivitäten. Einziger wirklicher Vertrauter zu Ende seiner Epoche war Zdeněk Vojtěch Popel von Lobkowitz, den er zum Oberstkanzler von Böhmen machte. Grund für den Rückzug war sehr wahrscheinlich seine lange Krankengeschichte sowohl körperlicher als auch geistiger Art. Aus der Analyse von Rudolfs Kopf weiß man, dass der Herrscher einen starken Unterbiss hatte und ihm zugleich im Oberkiefer die Zähne fehlten. Deswegen vermied er, in der Öffentlichkeit zu essen, und ging beispielsweise nicht zu Banketten. Zudem versuchte der Habsburger, nicht so viel zu sprechen. Daneben litt er an Gelenkschmerzen, zudem hatte er sich wohl schon in jungen Jahren die Syphilis eingefangen.
„Dies alles beeinträchtigte seinen körperlichen Zustand, doch zeigte sich bei ihm auch sehr stark ein seelisches Leiden. Schon ab 1600 hatte er Gemütsschwankungen, die damals mit Melancholie umschrieben wurden. Wahrscheinlich waren die Probleme aber schwerwiegender und dürften zu einem gewissen Teil genetischen Ursprungs gewesen sein. Seine Eltern waren blutsverwandt, konkret Cousin und Cousine, und da kommt es leichter zu solchen genetischen Defekten. Zugleich wissen wir, dass auch all seine vier Brüder ähnliche Symptome hatte – obwohl sich dies bei ihnen nicht so stark manifestierte wie bei Rudolf“, sagt Petr Vorel.
ZUM THEMA
Manche Vermutungen gehen dahin, dass es sich um erbliche Schizophrenie gehandelt haben könnte. Der Historiker aus Pardubice kann dies nicht unbedingt bestätigen, spricht aber mindestens von einer starken Depression.
Machtzentrum an der Moldau
Aufgrund seiner schweren gesundheitlichen Probleme war Rudolf II. nicht gerade politisch durchsetzungsfähig, und vor allem in der Reichspolitik zeigte er wenig Initiative. Im Konfessionsstreit konnte er schon überhaupt nicht vermitteln. Das begünstigte laut Petr Vorel im Endeffekt auch, dass 1618 dann der Dreißigjährige Krieg ausbrach.
Im Schatten dieser tragischen Entwicklung und dem persönlichen Schicksal des Herrschers sei die Stadt Prag allerdings aufgeblüht, betont Geschichtswissenschaftler Vorel:
„Eine Voraussetzung dafür war die Ansiedlung des Herrscherhofes. In Prag konzentrierte sich die politische Macht, auch wenn Rudolf II. wie gesagt schwach war. Doch wenn jemand etwas brauchte, musste er an die Moldau kommen. Zudem wurde Prag zu einer Plattform für politische Verhandlungen, weil die Reichstage nicht mehr einberufen wurden. Im Rest Europas war die Konfessionalisierung hingegen stark vorangeschritten. Ob Katkoliken, Lutheraner oder Calvinisten – man begann sich bereits gegenseitig umzubringen. Prag blieb aber weiter ein neutraler Ort, an dem sich alle treffen konnten. Dadurch wurde die Stadt zu einem Zentrum, das seinesgleichen in Europa suchte. Es war konfessionell tolerant und wegen der Gelder am Hof zudem sehr wohlhabend. Rudolf II. war auch ein bedeutender Mäzen, der Kunstwerke in Auftrag gab – obwohl sich dies im Stadtbild nicht sonderlich niedergeschlagen hat.“
Bedeutende Werke berühmter Maler zeugen indes bis heute von der kulturellen Blüte. Allen voran das berühmte Porträt des Italieners Giuseppe Arcimboldo, das den Herrscher als herbstlichen Gott der Ernte zeigt, zusammengesetzt aus Gemüse, Obst und Blumen.
Was sich jedoch im Stadtbild niederschlug, war die herausragende Stellung Prags im Heiligen Römischen Reich…
„Da viele reiche Leute hier herkamen, wurden zahlreiche Paläste gebaut. Das lag an der Wirkung des Kaiserhofes. Seit den Zeiten Karls IV. hatte es im Reich keinen ständigen Sitz dieses Hofes mehr gegeben. Daher bauten die Adligen große Palais, weil sie in der Nähe des Hofes sein mussten – entweder um dem Kaiser zu Diensten zu sein oder weil sie sich davon Vorteile erwarteten“, so der Historiker.
Ebenso blühte das auf, was damals als Wissenschaft galt. Denn Rudolf II. interessierte sich brennend für Magie, also Alchemie und Astrologie. Petr Vorel:
„Prag wurde daher auch ein Zentrum zur Grundlagenforschung in den Naturwissenschaften. Das waren die Alchemisten. Deswegen kamen zudem die Astronomen und Mathematiker hierher, vor allem eben Johannes Kepler und Tycho Brahe. So entstanden Forschungsgruppen unterschiedlicher Bereiche, die von Rudolf II. finanziert wurden. Anderswo wäre dies auch nicht möglich gewesen, denn die meisten Wissenschaftler wären dort von der Inquisition verfolgt worden – etwa in Spanien, Frankreich oder Italien.“
Konfessionelle Toleranz in Böhmen
Der habsburgischen Verwandtschaft war Rudolf II. mit seiner politischen Schwäche und den daraus resultierenden Folgen ein Dorn im Auge. Nicht nur einmal versuchte man, ihn zu beseitigen. Da er sich mit seinen Brüdern im Streit befand, brauchte er aber die Unterstützung nicht nur der katholischen, sondern auch der protestantischen Stände Böhmens. Und so erließ er am Schluss seiner Herrschaft im Jahr 1609 einen Majestätsbrief, der weitreichende Religionsfreiheit gewährte – und zwar allen Untertanen. So hieß es dort unter anderem:
„Auch darf schon ab dem heutigen Tag weder jemand aus den höheren Ständen, noch aus der Stadt oder etwa das Landvolk von seiner Obrigkeit oder irgendeinem Geistlichen und auch nicht von einem weltlichen Mann von seinem Glauben ausgeschlossen und unter keinen Umständen zum Glauben der zweiten Seite der Macht gedrängt werden.“
1612 starb Rudolf II. Der freiheitliche Geist von Prag blieb aber zunächst noch bestehen. Doch lange währte er nicht, gut zehn Jahre später befand sich auch Böhmen im Dreißigjährigen Krieg. Dennoch oder gerade vor dem Hintergrund dieses vernichtenden Waffengangs kommt Petr Vorel zu einer deutlichen Aussage über die Zeit Rudolfs II.:
„Innerhalb der tschechischen Geschichte wird seine Zeit sehr positiv bewertet, gerade weil Prag damals der Herrschersitz war. Dessen Bedeutung und Ausnahmestellung innerhalb Europas übertrafen auch alle negativen Aspekte von Rudolfs Herrschaft. Da der König aus gesundheitlichen Gründen seine Macht nicht wirklich ausüben konnte, ging diese an die böhmische Ständeversammlung über. Dort wurden all die Glaubens- und Wirtschaftsreformen vorbereitet, die in der böhmischen Ständekonföderation von 1619 gipfelten, der auch Ober- und Niederösterreich sowie Ungarn angehörten. Da zeigte sich, dass sich durchaus ohne Herrscher regieren lässt. Es war eine Konzentration der Stände nach niederländischem Vorbild. Das heißt, Rudolfs Herrschaft mündete in relativer Glaubensfreiheit und dem Weg zu einem – nach damaligen Maßstäben – demokratischen Staatsgebilde, in dem ein Parlament herrschte, das keinen König brauchte. In dieser Hinsicht war die Zeit Rudolfs sehr wichtig.“