Eine Erfolgsgeschichte – Gründung des Odeon Verlages vor 55 Jahren

Wer vor 1989 aus dem Westen nach Prag reiste, bekam meistens den guten Rat mit: Kaufe vor allem Bücher! Die Aussicht auf preiswerte Exemplare und längst vergriffene Ausgaben führte Kenner und Liebhaber der schönen Literatur in Buch- und Antiquitätenläden. Schriftsteller aus der ganzen Welt, darunter John Steinbeck, Günter Grass oder Graham Greene, fanden sich in Prag ein, um die besondere literarische Welt, die einen Franz Kafka hervorgebracht hatte, aus der Nähe kennenzulernen. Viele von ihnen führte ihr Weg in die Národni třída, Nationalstrasse 36, dem Sitz des Odeon Verlages. Vor 55 Jahren wurde der erfolgreiche Verlag für Literatur aus dem In- und Ausland gegründet. Die Erfolgsgeschichte fand aber ein jähes Ende.

Anfang der 50er Jahre wurden die privaten Verlage von den kommunistischen Machthabern in der damaligen Tschechoslowakei geschlossen. Ein erster Schritt, um den Einfluss aus dem nichtkommunistischen Ausland einzudämmen. Literatur sollte von nun an, wenn schon aus einem anderen Land, der kommunistischen Ideologie entsprechen. Mit dieser Aufgabe betraute man den 1953 eingesetzten staatlichen Verlag für schöne Literatur und Künste, der einige Jahre später den Namen Odeon bekommen sollte. Eva Kondrysová, die viele Jahre im Verlag als Fachredakteurin tätig war, berichtet von den Anfängen des Verlags in den 50er Jahren. Eine Zeit strenger Kontrolle durch die kommunistische Partei. Kernstück des Verlags war eine Zeitschrift für ausländische Literatur, so Eva Kondrysová:

„Mitte der 50er Jahre gründeten wir eine Zeitschrift für ausländische Literatur mit dem Titel: ´Weltliteratur - für zeitgenössische, ausländische Literatur´. Die Zeitschrift erfreute sich während kurzer Zeit großer Beliebtheit seitens der Leser. Ich kam als junge Redakteurin dazu und war 12 Jahre lang dabei. Die Zeitschrift gehörte dem Verlag an und im Laufe der Jahre wurde der staatliche Verlag der schönen Literatur noch um Musik erweitert, die dann aber wieder wegfiel. Wir nahmen den Namen ´Odeon´ an, was der Name eines hervorragenden Verlags aus den 30er Jahren war.“

Die Namensänderung initierte Jan Řezáč, der seit Beginn dem Verlag als Direktor vorstand. Es war vor allem seiner Person zu verdanken, dass der Odeon Verlag zu einem Zentrum für zeitgenössische Literatur und Kunst wurde. In einem Interview für den Tschechischen Rundfunk im Jahr 2003 beschreibt Jan Řezáč seine ideelle Ausrichtung wie folgt:

„Über mich haben immer alle gesagt, und es sagte auch der Literaturkritiker Václav Černý, dass ich zwar ein treugläubiger Kommunist bin, aber auch ein abgehärteter Surrealist. Andere sagten wiederum, ich sei ein heimlicher Surrealist und so weiter. Aber ich habe immer, wo und wann ich konnte, jenen beigestanden und zur Popularisierung verholfen, die dieser künstlerischen Richtung angehörten.“

Dank Jan Řezáč finden junge, begabte Künstler, Schriftsteller und Übersetzer ihren Weg in den Odeon Verlag. Unter ihnen Josef Škvorecký oder Jan Zábrana, deren außerordentliches sprachliches Talent Jan Řezáč erkannte und nutzte. Beide arbeiteten als Redakteure für angloamerikanische Literatur, Jan Zábrana, selber Dichter, übersetzt die Gedichte von Allan Ginsberg ins Tschechische, als dieser 1965 Prag besucht. Der kommunistische Staat fühlte sich bereits durch die Aktivitäten der Literaten bedroht, wie aus der Nachricht der Staatssicherheit über den Besuch von Ginsberg in Prag hervorgeht:

„Während der Zeit seines Aufenthaltes in der Tschechoslowakei hatte Ginsberg vor allem Kontakt mit jungen Künstlern (...) und mit vielen Literaten wie etwa dem Schriftsteller Škvorecký, dem Kritiker Alexej Kusák oder dem Übersetzer Jungwirth. (...) Der Einfluss Ginsbergs auf diese junge literarische Dichtergeneration war politisch und moralisch äußerst negativ.“

Dem Odeon Verlag war es mit Jan Řezáč an der Spitze gelungen, zeitgenössische Weltliteratur zu entdecken und aufs Papier zu bannen. Ausschlaggebend war die Idee, das Kernstück des Verlages, die Zeitschrift ´Weltliteratur´, außerhalb der klassischen Angebote anzusiedeln, bestätigt Eva Kondrysová:

„Der Schlüssel zum Erfolg bestand darin, dass wir den Lesern die Möglichkeit eröffneten die Welt der Literatur im Ausland zu verfolgen. Im Verlag hatten wir in den 50er Jahren eine Zuteilung von Devisen, Papier und Technik für den Verlag und wir konnten einen amerikanischen Titel pro Jahr herausgeben. Das musste immer Howard Fast sein, der bis zum Jahr1965 Mitglied der amerikanischen Kommunistischen Partei war. Indem die Zeitschrift ´Weltliteratur´ sich auf die zeitgenössische Literatur konzentrierte, hatte sie die Möglichkeit neue Autoren vorzustellen.“

Die Nummern der seit 1956 alle zwei Monate erscheinenden Zeitschrift „Weltliteratur“, die sogenannten „Světovka“, entpuppen sich als heiß begehrter Lesestoff. Hier wurden den Lesern die neuesten Trends der Literatur vorgestellt, moderne Kunst abgebildet, Comics und Filme aus dem Westen kommentiert. Jan Řezáč setzte damit seine guten Kontakte zur Kommunistischen Partei aufs Spiel. Als Josef Škvorecký wegen des Skandals um sein Buch „Zbabělci“ (Feiglinge) den Redakteursposten bei der Zeitschrift 1958 verlassen muss, nimmt Eva Kondrysová seinen Platz ein. Die Auflage steigt im Laufe der Jahre auf bis zu 22 000 Exemplare an. Die ausländische zeitgenössische Literatur kam auf unterschiedlichen Wegen in die Redaktion, wie Eva Kondrysová berichtet:

„Mehr oder weniger hielten auch berühmte Autoren hier an. Ich erinnere mich, dass zum Beispiel John Steinbeck, bevor er den Literaturnobelpreis erhielt, Prag besuchte, ebenso Kingsley Amis. Graham Greene war ein häufiger Gast und hier war auch Heinrich Böll. Und mit allen diesen Leuten hatten wir Kontakt und entlockten ihnen Manuskripte und Bücher.“

Immer zahlreicher und intensiver wurden die Kontakte zu den Besuchern des Verlages, zu denen etwa auch der Liedermacher Wolf Biermann oder der Schriftsteller Günter Grass gehörten. Das war den kommunistischen Herrschern ein Dorn im Auge. Die Angriffe auf Jan Řezáč häuften sich, die Redaktion kämpfte mit Zensur, Schikanen und Anschuldigungen. Bereits 1961 muss Jan Řezáč seinen Posten als Chefredakteur verlassen. An seine Stelle tritt die parteitreue Božena Wirthová, doch der aufkommende frische Wind des Prager Frühlings gibt der Zeitschrift neuen Auftrieb. Der Versuch, den Erfolg der Zeitschrift zu mindern, scheitert.

Der Einmarsch der Truppen des Warschauer Paktes 1968 führt, wie Eva Kondrysová berichtet, zwei Jahre später zur Entlassung der Redaktion und zum jähen Ende der fortschrittlichen Ausrichtung der Zeitschrift „Weltliteratur“:

„Unsere Zeitschrift wurde in den Verlag überführt, wo andere Leute die Leitung mit der Bergründung übernahmen, dass sie politischer geführt werden müsse. Die Vergehen, die uns angelastet wurden, waren vollends lächerlich.“

Als die neuen Direktoren den Verlag übernahmen, geriet dieser in finanzielle Schwierigkeiten. Der neuen kommunistischen Leitung gelang es nicht, das herausragende Niveau und die anspruchsvolle Leserschaft zu halten. Obwohl die Zeitschrift Weltliteratur noch 20 weitere Jahre erschien und nach 1989 der Verlag einen neuen Besitzer bekam, konnte keiner der Versuche, an die Erfolgsgeschichte der 50er und 60er Jahre anzuknüpfen, gelingen. Im Jahr 1996 schloss der Odeon Verlag endgültig seine Tore.