„Eine unwirkliche Erfahrung“ – Überlebende und Angehörige gedenken der Befreiung des KZ Flossenbürg
Die Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus in Tschechien eher mit Orten wie Theresienstadt, Auschwitz oder Lidice verbunden. Eine kleine Gruppe ehemaliger tschechischer Häftlinge aber fährt Jahr für Jahr zum Treffen der Überlebenden ins bayerische Flossenbürg – und mit ihnen ihre Angehörigen. Die Gedenkstätte direkt an der Grenze zu Tschechien will nun mit einem internationalen Bildungshaus die Erinnerung weitertragen.
„Ich bin mit meiner Großmutter zum zweiten Mal hier. Sie war nicht hier inhaftiert, sondern in einem Außenlager in Freiberg, dort musste sie Flugzeugteile montieren. Wie ich aus den Erzählungen weiß, musste meine Großmutter mehrere dieser Lager durchlaufen. Von Ausschwitz über dieses Freiberg, bis sie schließlich in Mauthausen befreit wurde.“
Barbaras Großmutter, das ist Hana Hnátová. Die Jüdin kehrte nach dem Krieg nach Prag zurück. Heute ist sie 90 Jahre alt. Über ihre Vergangenheit konnte sie lange nicht sprechen, vor allem nicht mit den eigenen Kindern:
„Ich habe nach dem Krieg kein Wort über das KZ gesagt. Erst später, als die Kinder schon etwas größer und verständiger warten, sagten sie zu mir: ‚Mutter, du hast nie etwas davon gesagt. Wenn die Großmutter nichts erzählt hätte, wüssten wir nichts‘ Doch ich konnte nicht. Es war fast unmöglich.“Wie viele Überlebende hat Hana Hnátová erst im Alter die Worte für das Erlebte gefunden. Seit dem Tod ihres Bruders, des Autors Arnošt Lustig, spricht sie regelmäßig vor Schülern. Seit einigen Jahren reist sie gemeinsam mit zwei anderen Frauen - ebenfalls Überlebende des Außenlagers Freiberg - zur jährlichen Befreiungsfeier nach Flossenbürg. Auch dieses Jahr stand wieder ein Termin in einer Schule auf dem Programm.
„Es ist etwas völlig anderes, wenn man als freier Mensch hierher kommt und nicht als Sklave. Denn wir wurden so manipuliert, wir wussten gar nichts über unser Schicksal. Wir waren Leute der zweiten oder sogar dritten Kategorie. Und nun sind wir freie Menschen.“Die Gedenkstätte Flossenbürg hat die Geschichte des Lagers heute in mehreren Ausstellungen dokumentiert. Doch solange die Zeitzeugen am Leben sind, bleibt die persönliche Begegnung mit den ehemaligen Häftlingen ein zentraler Bestandteil der Erinnerungsarbeit. Es ist für die Angehörigen nicht immer einfach, diese Situation – den Gegensatz zwischen dem früher und heute – zu verarbeiten, sagt Barbara Hnátová:
„Es ist eigentlich völlig unwirklich. Und auch unwirklich, dass Großmutter noch da ist. Denn 70 Jahre sind eine schrecklich lange Zeit. Wir sind unglaublich froh, dass wir sie noch haben, denn sie ist unser Sonnenschein, gibt uns Stärke. Und wir wissen alle, was sie mit sich trägt.“Um die Vergangenheit von Hana Hnátová und vielen anderen aber für die dritte, vierte oder fünfte Generation lebendig zu halten, eröffnet die Gedenkstätte Flossenbürg in diesem Jahr ein neues Seminarhaus. Es soll eine Plattform werden für internationale Begegnungen, und orientiert sich vor allem auch ins Nachbarland. Zur Eröffnung angereist war Tschechiens Kulturminister Daniel Herman.
„Ich halte dieses Bildungszentrum für sehr wichtig. Denn die Aufarbeitung der Vergangenheit gehört immer noch zu unseren Prioritäten, auch 70 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Eine solche Zusammenarbeit mit den Kollegen aus Deutschland und aus anderen Ländern ist sehr wichtig. Auch für mein Ressort, die Kultur, ist die Gedenkkultur ein wichtiger Stein im Mosaik der Erinnerung.“Die Bezüge sind eng, denn knapp 4000 Häftlinge aus der Tschechoslowakei waren in Flossenbürg inhaftiert. Zudem befanden sich 20 Außenlager auf dem Territorium der heutigen Tschechischen Republik. Seinen Betrieb aufnehmen soll das Seminarhaus noch in diesem Sommer. Als eines der ersten Projekte steht eine Begegnung zwischen tschechischen, deutschen und israelischen Fußballfans auf dem Programm.