Tschechische Spuren im KZ-Flossenbürg
Am Sonntag, dem 25. April, wird der Befreiung des Konzentrationslagers Flossenbürg vor 65 Jahren gedacht. Flossenbürg liegt in der Oberpfalz, nahe der tschechischen Grenze. Von etwa 100.000 Häftlingen, die zwischen 1938 und 1945 in Flossenbürg litten, starben mindestens 30.000. Polen, Russen, Ungarn, Franzosen, Deutsche, aber auch Tschechen. In der noch recht jungen Gedenkstätte werden häufig auch Schüler und Studenten aus Tschechien mit dem dunklen Kapitel der Geschichte vertraut gemacht. Sie treffen dort auf eine junge, kompetente Tschechin, die in Flossenbürg auch einen Teil ihrer Familiengeschichte erzählt.
„Nach der Ankunft mussten die Häftlinge eine Art Aufnahmeprozedur über sich ergehen lassen. Auf dem Appellplatz mussten sie sich nackt ausziehen und all ihre Sachen dort lassen. Dann mussten sie in das Gebäude hinein, wo sie am ganzen Körper rasiert wurden, auch die Augenbrauen und die Wimpern wurden abrasiert. Das geschah nicht so sehr aus hygienischen Gründen, sondern um die Würde der Menschen zu brechen. Dann kamen sie in die Desinfektion und danach in die Waschräume, wo sie abwechselnd mit heißem und eiskaltem Wasser bespritzt wurden. Währenddessen wurden sie auch mit Gummischläuchen geschlagen. Der Häftling ging aus dieser Prozedur mit einer Nummer hervor, Namen und Identität sollten ihm genommen werden, und dann erhielt er die Häftlingskleidung.“
Jana Nachlingerová steht in der Wäscherei des ehemaligen Konzentrationslager Flossenbürg, nur rund 20 Kilometer von ihrer Heimat, von der tschechischen Grenze entfernt. Jana kommt aus Pilsen / Plzeň. Dort studiert sie an der Fakultät für Maschinenbau. Seit einiger Zeit macht sie in der KZ-Gedenkstätte Führungen für Schüler- und Studentengruppen aus Tschechien. Mit dem KZ Flossenbürg ist Jana durch ihre eigene Familiengeschichte verbunden, erzählt sie, während sie in einem Buch blättert.„Dieses Buch hier enthält Namen, die man anhand von Fotos aus den ursprünglichen Häftlingslisten ermitteln konnte. Darin kann man nach konkreten Namen suchen. Hier zum Beispiel finden wir den Namen meines Großvaters: Nachlinger, František – geboren am 29. März 1908. Er hatte die Nummer 691.“
Janas Großvater František hat die Hölle des Arbeits- und Konzentrationslagers überlebt. Er wurde mit anderen Häftlingen am 23. April vor 65 Jahren von der US-Armee befreit. Nach der Wende, als er noch lebte, kehrte er mit seiner Familie ein paar Mal zurück an den Ort des Leidens und des Todes. So kam Jana mit der Geschichte in Berührung:„Mein Großvater ist als politischer Häftling nach Flossenbürg gebracht worden. Aber der Grund war eigentlich nur, dass er abends mit dem Fahrrad ohne Licht fuhr. Und ein tschechischer Gendarm hat ihn angehalten und ihm eine Strafe verpasst. Und Großvater konnte sich nicht zurückhalten und sagte: ´Auch mit diesen zehn Kronen wird das Reich den Krieg nicht gewinnen´. Der Gendarm hat ihn deswegen sofort denunziert, mein Großvater ging durch die Mühlen der Gestapo, verlor fast alle Zähne, 30 Kilo Gewicht, und dann haben sie ihn nach Flossenbürg gebracht.“
Flossenbürg war von Beginn an – seit 1938 - als Konzentrationslager zur Ausbeutung von Zwangsarbeitern, politischen Gegnern und für die „Volksgemeinschaft“ unbrauchbare Glieder der Gesellschaft vorgesehen. Im Laufe der Zeit kamen auch immer mehr Häftlinge aus dem Osten hinzu, vor allem aus Polen, aus der Sowjetunion, aus Ungarn und natürlich auch aus der Tschechoslowakei, die zu dieser Zeit als Protektorat Böhmen und Mähren von Deutschland besetzt war. Flossenbürg, das bedeutete „Vernichtung durch Arbeit“ – im Steinbruch und schließlich auch in der Waffenfabrik, wo Kleinteile für das Jagdflugzeug Messerschmitt hergestellt wurden.„Mein Großvater hat Glück im Unglück gehabt, da er recht schnell vom Steinbruch in die Waffenherstellung kam. Dort aber durchbohrte ihm bei der Arbeit ein Rumäne aus Versehen das Knie. Großvater konnte die Verletzung nicht melden, denn dann hätten sie den Rumänen sofort hingerichtet und ihm hätten sie das Bein amputiert, wie es dort zu dieser Zeit üblich war. Er hat das also nicht gemeldet, hat sich auf die Wunde uriniert, damit keine Infektion entsteht und es ist abgeheilt.“All das, was sich in Flossenbürg während der Nazizeit ereignete, haben die Bewohner des oberpfälzischen Dorfes nach dem Krieg lange nicht wahrhaben wollen. Ende der 50er Jahre wurde zwar ein Ehrenfriedhof für über 5.500 Opfer des Konzentrationslagers angelegt. Zeitgleich entstand aber auf Teilen des Geländes eine Siedlung mit Einfamilienhäusern und die Industrie nutzte die KZ-Gebäude weiter. Von Gedenkstätte keine Spur. Erst seit Mitte der 90er Jahre machte sich der heutige Gedenkstättenleiter Jörg Skriebeleit an die Aufarbeitung heran. Pionierarbeit für ihn und ein schmerzlicher Prozess für die Bewohner von Flossenbürg.
„Wenn man die Gedenkstätte Flossenbürg ansieht, dann denkt man: Oho, es gibt ein modernes Museum und der Appellplatz ist zugänglich und die Gedenkstätte ist gut gestaltet und wird weiterhin noch verbessert. Das war nicht der Status der Erinnerungskultur über 60 Jahre lang in der Bundesrepublik. Sondern auf dem Großteil des Lagergeländes wurde eine Siedlung gebaut, das ehemalige SS-Casino war Gaststätte, im Steinbruch wird bis heute Granit abgebaut. Und das ist uns wichtig darzustellen, also nicht Geschichte nachträglich zu heilen und zu zeigen, wie vorbildlich wir hier schon immer mit diesem schwierigen Erbe umgegangen sind. Sondern - ganz im Gegenteil - dass man natürlich auch versucht hat zu verdrängen, zu vertuschen, zu verleugnen.“
Flossenbürg ist, was die Bevölkerung betrifft, ein sehr heterogener Ort, erzählt Jörg Skriebeleit. Das damalige Arbeiterdorf hat mit der Gründung des KZs einen ernormen Aufschwung erlebt. Es ziehen viele SS-Leute her, aber auch Zivilarbeiter. Und nach dem Krieg kommen weitere Industriebetriebe, nutzen das, was sie an ehemaligen KZ-Gebäuden noch vorfinden. Es werden Vertriebene aus Schlesien und aus dem Sudetengebiet gezielt hier angesiedelt.„Insofern hat man hier in Flossenbürg heute eine Mischung aus alten Flossenbürgern - aus dem alten Dorf, aus Zugezogenen, auch aus einzelnen Nachkommen von SS-Männern und aus ganz wenigen Nachkommen von überlebenden Häftlingen. Das macht den Ort sehr spannend.“
Für die Studentin Jana Nachlingerová ist der Ort immer noch bewegend – auch wenn sie ihre Führungen durch die Gedenkstätte sehr professionell macht. In der Ausstellung zeigt sie den jungen tschechischen Besuchern auch die erhalten gebliebene Häftlingskleidung und die Schuhe ihres Großvaters František.
„Ich bemühe mich darum, das nicht so nahe an mich heran zu lassen. Wenn man mir das bei den Führungen anmerken würde, dann wäre das für die Kinder und Jugendlichen sicher nicht das Beste. Aber wenn ich die Führungen mache, dann erzähle ich die Erlebnisse meines Großvaters und der anderen Überlebenden, mit denen ich sprechen konnte. Und das hilft dann. Aber wenn man anfängt, darüber tiefer nachzudenken, dann ist das natürlich schwer.“