Eishockey-WM: Kanada setzt Ausrufezeichen – Tschechien schwelgt in Euphorie und Jagr-Mania

Jaromír Jágr (Foto: ČTK)

Seit vergangenem Freitag ist ganz Tschechien im Fieber – im Eishockey-Fieber! Eishockey gilt als die schnellste Mannschaftssportart der Welt, und dass dieser Sport hierzulande einen echten Kultstatus genießt, hat das WM-Auftaktwochenende schon unter Beweis gestellt. Zudem ist Kanada top in das Turnier gestartet und Deutschland hat bereits eine erste Lektion erhalten.

Jaromír Jágr  (Foto: ČTK)
Wenn die tschechische Mannschaft bei ihrer Heim-WM ein Spiel bestreitet, dann ist die größte Sporthalle des Landes, die Prager O2-Arena, restlos ausverkauft, egal wie teuer die Tickets auch sind. Und in den Kneipen wie auch Wohnzimmern des ganzen Landes läuft um diese Zeit nur ein TV-Programm: der Sportkanal. Eishockey, das sei ein Sport, den man „eigens für uns erfunden hat, weil er uns im Blut liegt“, sagte einmal der heutige Chefcoach der tschechischen Nationalmannschaft, Vladimír Růžička. Der 51-Jährige weiß, wovon er spricht, denn seine Vita kann sich durchaus sehen lassen: Er ist Olympiasieger und Weltmeister als Spieler sowie zweifacher Welt- und auch Landesmeister als Trainer. Ihre WM-Titel fünf und sechs hat die Tschechische Republik vor zehn Jahren in Wien und vor fünf Jahren in Köln gewonnen. Der Trainer war jeweils Růžička. Und nun, wieder fünf Jahre später, mit dem gleichen Erfolgscoach hinter der Bande sowie auch Superstar Jaromír Jágr im Team, hoffen die Fans erneut auf eine glückliche Fügung des Schicksals.

Zum Auftaktspieltag der WM, am Tag der Arbeit, war die O2-Arena rappelvoll. Nach dem 6:1-Sieg von Kanada über Lettland und der visuell reizvollen wie auch unterhaltsamen Eröffnungsshow wollte auch Eishockey-Weltverbandschef René Fasel die Fans nicht länger warten lassen. Kurz und bündig erklärte der 65-jährige Schweizer die Weltmeisterschaft in Prag und Ostrava / Ostrau für eröffnet und fügte zur Freude der Gastgeber auch das hierzulande sehr populäre „do toho“ an, was so viel bedeutet wie „Auf geht´s“.

„Češi do toho“, also „Auf geht’s, Tschechen“ – dieser Sprechchor hallte dann auch durch die Arena, als die Partie zwischen Tschechien und Schweden angepfiffen wurde. Es war eine Begegnung, die die Fans aus beiden Lagern sofort elektrisierte, denn sie hatte alles, was das (Sport-)Herz begehrt: Action, rassige Zweikämpfe, viele Tore und eine schier Nerven aufreibende Dramatik. Bei den Tschechen, die bis acht Minuten vor der Schlusssirene fast ständig einem Zwei-Tore-Rückstand hinterher liefen, ging nämlich die Post auf einmal richtig ab: binnen fünf Minuten erzielten sie drei Treffer und machten aus einem 2:4 eine 5:4-Führung. Doch dann kam die letzte Spielminute, und in der erzielten die Skandinavier in Überzahl (6:4) tatsächlich noch den 5:5-Ausgleich. Das an Spannung kaum noch zu überbietende Match der beiden Spitzenteams wurde schließlich erst im Penalty-Schießen entschieden. In dem hatten die Gäste mit 2:1-Treffern das bessere Ende für sich. Die „Tre Kronors“ gewannen also 6:5 nach Penalty-Schießen in einem Spiel, das allerbeste Werbung für diese Titelkämpfe war.

Gute Werbung für die WM, aber auch für ihre Nation, machen ebenso die Spieler aus Kanada, dem Mutterland des Eishockeys. Gleich zum Auftakt setzten sie ein erstes Ausrufezeichen, indem sie die Letten mit 6:1 abfertigten. Den Schlusspunkt in der Torfolge setzte der Mega-Star der „Ahornblätter“ höchstpersönlich: Sidney Crosby, der von der Fachwelt als derzeit bester Crack der Welt gepriesen wird. Zum 6:1-Endstand traf Crosby per Penalty:

„Es ist schön, einen Penalty zu verwandeln. Ich weiß gar nicht, ob mir das zuvor im Nationalteam überhaupt schon einmal gelungen ist. Vorher bin ich vielleicht zwei- oder dreimal zu einem Penalty angetreten. Doch ich will diese Statistik noch weiter verbessern.“

Noch stärker präsentierte sich Team Canada dann in seinem zweiten Match. In diesem erteilte es der deutschen Mannschaft am Sonntag eine kostenlose Lehrstunde, denn es schickte die DEB-Spieler mit einer 0:10-Pleite in die Kabine. Alles andere als eine Niederlage für Deutschland wäre zwar eine große Sensation gewesen, doch eine zweistellige Klatsche ist dann doch etwas ernüchternd für die Schützlinge des kanadischen Trainers Pat Cortina. Zum Glück aber ist die deutsche Mannschaft einen Tag zuvor erfolgreich in das WM-Turnier gestartet. Gegen Frankreich hat sie 2:1 gewonnen. Das Siegtor durch Patrick Reimer fiel indes erst in der Schlussminute. Vorlagengeber Patrick Hager war darüber sichtlich froh und erleichtert:

„Der Endstand ist natürlich super für uns. Wir wissen, dass wir über 60 Minuten heute nicht unser bestes Eishockey gespielt haben, umso wichtiger ist es, dass wir hier mit einem Sieg herausgegangen sind. Wir haben, so finde ich, in keiner Überzahl wirklich überzeugend gespielt, aber als es am Schluss darauf ankam, waren wir da und haben das wichtige Tor geschossen.“

Dass die deutsche Mannschaft zu diesem Zeitpunkt aber überhaupt die Chance hatte, noch den Siegtreffer zu erzielen, hatte sie auch ihrem Torhüter Dennis Endras zu verdanken. Der Goalie von Meister Adler Mannheim hielt nämlich bärenstark und bewahrte die DEB-Auswahl besonders im letzten Drittel mit tollen Paraden vor einem möglichen Rückstand. Doch das sei auch seine Aufgabe, bemerkte der 29-Jährige schmunzelnd:

„Ich stehe gern im Fokus, ich bin gern unter Beschuss, denn es macht mir Spaß. Die WM ist eine große Bühne, zudem hat man nicht jedes Jahr die Chance, bei einer WM dabei zu sein. Von daher freue ich mich auf jedes Spiel, zu dem ich auflaufe. Heute bin ich einfach nur glücklich, dass die Jungs einen Weg gefunden haben, das Spiel noch zu gewinnen.“

Das Ausgleichstor der Franzosen zum 1:1 in der 51. Minute aber konnte Endras nicht verhindern, da Damien Fleury vor ihm völlig frei zum Abschluss kam. Umso mehr erfreut war der Kapitän der Deutschen, Michael Wolf, dass sich seine Mannschaft danach noch einmal aufraffte und in Überzahl doch noch den zweiten Treffer erzielte:

„Wir haben es am Schluss geschafft – so fünf bis sechs Minuten vor dem Ende, das Momentum wieder umzudrehen. Deswegen haben wir dann auch wieder Chancen vor dem französischen Tor kreiert und die Strafen beim Gegner verursacht. Das Powerplay hat bis dahin nicht wirklich gut funktioniert, aber kurz vor dem Ende, als wir es gebraucht haben, hat es geklappt. Und darüber sind wir glücklich.“

Tore in Überzahl, die hat auch die tschechische Mannschaft gebraucht und erzielt in ihrer zweiten Partie gegen Lettland. Durch zwei etwas schwächere Momente von Torwart Alexander Salák war sie nämlich mit 0:1 beziehungsweise 1:2 in Rückstand geraten und musste dann erfahren, dass die hartnäckigen Letten nicht gewillt waren, diesen Vorsprung so ohne Weiteres aus der Hand zu geben. Doch als die Tschechen im zweiten Drittel das Tempo anzogen, kamen die Letten stark unter Druck und wussten sich in einigen Situationen nur noch durch Fouls zu helfen. Drei davon nutzten die Gastgeber anschließend zu Toren. Siegtorschütze Jaromír Jágr, der das 3:2 markierte, bestätigte nach dem Spiel, dass diese Situationen letztlich entscheidend waren:

„Wir haben mehrere Male in Überzahl spielen können, uns diesen Vorteil aber verdient. Es war nicht so, dass uns der Schiedsrichter die Überzahl geschenkt hat, nein, wir haben sie uns erarbeitet, weil uns die Letten in ihrer Not foulen mussten.“

Jágr ist auch überzeugt davon, dass man diese Waffe weiter nutzen muss:

„Ich hoffe, dass wir in Überzahl weiter erfolgreich sind. Im heutigen Eishockey ist es schwer, Tore im Spiel fünf gegen fünf zu erzielen, besonders auf der großen Eisfläche. Wenn wir daher in Überzahl spielen können, müssen wir das Maximale herausholen.“

Das Maximale, das bedeutet für den tschechischen Eishockeyfan am Ende des Turniers letztlich nur der erneute Titelgewinn. Superstar Jágr, der bisher stark aufspielt, hält diese Erwartungen für überzogen, weiß andererseits aber auch, woher diese grenzenlose Euphorie im Land herrührt:

„Damit konnte man rechnen von dem Moment an, als der Ticketverkauf begann. Es war klar, dass diese WM etwas ganz Spezielles wird. Tschechien ist im Eishockey-Fieber. Und ich will auch nicht lange drum herum reden: Hierzulande wollen alle Eishockey (mit-)spielen oder Trainer sein. Wir haben hier zehn Millionen Trainer, da wundert einem nichts mehr!“

Und weil dem so ist, wollen die tschechischen Fans den Crack mit der Nummer „68“ auch das ganze Turnier über im Nationaltrikot spielen sehen. In vorderster Reihe und möglichst bei jedem Überzahlspiel. Daher schwillt der Lärmpegel auch stets am stärksten an, wenn der der Name Jagr verkündet wird oder dessen Konterfei auf dem Videowürfel zu sehen ist. Die Jagr-Mania hat die WM in Prag also längst erfasst, und sie soll möglichst erst am 17. Mai enden. Dann ist der Finaltag der 79. Weltmeisterschaft.

Autor: Lothar Martin
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