Elfen, übernatürliche Kräfte und ein sehr irdischer Tod: Die Sekte des „Heilers“ Richard aus Kutná Hora
Ein selbsternannter Heiler, schwere Manipulation, geheime Reinigungsrituale und drei Tote: Reporter des Tschechischen Rundfunks haben Ende Juni eine umfassende Recherchearbeit veröffentlicht, mit der die 20-jährige Existenz einer Sekte im Raum Kutná Hora / Kuttenberg aufgedeckt wurde. Das Interessante daran ist, dass sich unter den Anhängern und letztlich auch Mördern des Sektenführers Richard hochgebildete Menschen finden.
Es begann mit einer eher unauffälligen Agenturmeldung. „Polizei ermittelt zum Tod zweier Sektenmitglieder“, schrieb der Presseservice ČTK am 30. Juni dieses Jahres. Die Meldung bezog sich auf Recherchen, die seit Monaten von Reportern des Tschechischen Rundfunks betrieben und an diesem Tag auf dem Nachrichtenportal iRozhlas.cz veröffentlicht wurden.
Inzwischen ist bekannt, dass sich hinter der ersten Schlagzeile die komplexe Geschichte einer Sekte entfaltet, in der mehrere Dutzend Menschen über 20 Jahre lang psychische und körperliche Misshandlungen erfahren haben. Mittlerweile wird der Fall vor dem Prager Stadtgericht verhandelt. Eine Frau sagte dabei aus, man habe sich dem Sektenführer nicht entziehen können:
„Es herrschte immer Angst. Er hatte so eine Methode, dass er die Leute anklingelte, wenn er mit ihnen reden wollte. Wenn mein Telefon dann läutete, dachte ich jedes Mal, mir springt das Herz aus dem Leib. Das war nur Angst, nichts anderes – davor, was wieder passieren würde oder worüber er wieder sprechen wollte. Es ist wirklich schwer, sehr schwer. Ich kann es nicht mit Worten ausdrücken.“
Er – das war ein Mann namens Richard, der sich als Heiler ausgab. Er stammte aus einem kleinen Dorf südlich der mittelböhmischen Domstadt Kutná Hora. Zunächst machte er eine Lehre als Koch. Aber dann habe sich der Einfluss des Vaters auszuwirken begonnen, beschreibt Martin Štorkán. Der Investigativjournalist des Tschechischen Rundfunks befasst sich seit vergangenem Herbst mit der Sekte:
„Sein Vater war in der Region um Kutná Hora als Heiler bekannt. Schon von Kindheit an hörte Richard von ihm, dass auch er als Sohn heilende Fähigkeiten und übernatürlich Kräfte habe. Beide haben sogar einen anderen Heiler aufgesucht, der das bestätigt haben soll. Für das Verständnis dafür, warum Richard später eine solche Wirkung auf Menschen und ein so großes Selbstbewusstsein hatte, ist dies also ein wichtiges Puzzleteil.“
Behandlung nur mit persönlicher Empfehlung
Um das Jahr 2000 herum begann Richard, den Menschen in der unmittelbaren Umgebung seine Dienste als Heiler anzubieten. Er habe zunächst nicht die Absicht gehabt, eine Sekte zu gründen, meint Rundfunkredakteur Vít Kubant, der gemeinsam mit Martin Štorkán die Recherchen betreibt. Aber ein wachsendes gesellschaftliches Ansehen habe bei Richard dazu geführt, dass er seine Séancen bald nur noch für einen ausgewählten Personenkreis anbot…
„Wer zu ihm kommen und sich von ihm behandeln lassen wollte, brauchte die persönliche Empfehlung eines anderen Sektenmitglieds. Von diesem bekam Richard ein Foto des Kandidaten sowie einige erste Informationen. Wenn der Kandidat dann zur ersten Sitzung kam, wusste der Heiler schon einige Dinge über dessen Leben. Manches hat er sich auch logisch hinzugedacht. Er bezauberte die Menschen mit dem, was er alles über sie wusste.“
Zeugenaussagen belegen, wie Richard nach und nach die Kontrolle über die Leben seiner Patienten übernahm. Dies reichte von Vorgaben zur richtigen Ernährung oder zur Haushaltsführung über Anweisungen, welche Arbeitsstelle angetreten oder welches Auto gekauft werden solle, bis hin zu Kuppeleien und gemeinsam zu nutzenden Wohnräumen. Nach seiner eigenen Scheidung suchte sich der angebliche Heiler unter seiner Anhängerschaft eine neue Partnerin aus. Den Recherchen von Štorkán und Kubant zufolge wirkte Richard so lange auf eine eigentlich glücklich verheiratete Ehefrau und Mutter ein, bis sie ihren Mann verließ und zu dem Guru zog.
Seine übernatürlichen Kräfte betonend, bezeichnete der Sektenführer seine Anhänger als Elfen, die zu seiner Unterstützung verpflichtet wären. Er bevorzugte Einzelne und schloss Andere aus. Zudem behauptete er, aus einer anderen Dimension zu stammen und jede Nacht dorthin zu reisen. Psychischer Druck wurde nach Rechercheergebnissen auch dadurch aufgebaut, dass Richard seinen persönlichen Schutz als Heiler zu entziehen drohte, wenn ihm jemand nicht Folge leisten wollte. Die Patienten hätten demnach oftmals schlicht Angst gehabt, todkrank zu werden. Zwei Sektenmitglieder schnitten sich außerdem einen Teil des Fingers ab, um Richard zu beweisen, dass sie ihn nicht anlogen.
Suche nach dem Sinn des Lebens
Jene Menschen, die Richard alles glaubten und ihm blind vertrauten, waren häufig hoch gebildete Leute. Die forensische Psychologin Ludmila Čírtková bestätigt:
„Nach herrschender Meinung ist jemand, der sich manipulieren lässt, naiv oder hat sogar ein verarmtes kritisches Denkvermögen. Ich kann mit Bestimmtheit sagen, dass dies hier nicht zutrifft. Denn ich hatte die Möglichkeit, Gutachten über die Opfer zu erstellen. Unter ihnen sind Hochschulabsolventen wie Journalisten, Ärzte, Architekten oder auch Jurastudenten.“
Bei der Sekte sei es nicht um Religion oder eine Glaubenslehre gegangen, berichten die Journalisten Štorkán und Kubant. Die Mitglieder habe eher ein Hang zur Esoterik verbunden. Dazu erläutert der Religionswissenschaftler und Psychotherapeut Prokop Remeš:
„Solche Menschen sind empfänglicher für Gruppen oder Personen, die ihnen Antworten auf tiefgehende existentielle Frage bieten. Also auf sehr menschliche Fragen nach dem Sinn des Lebens oder danach, ob Gut und Böse etwas Objektives oder aber vom Menschen Erdachtes sind. Dazu gehören auch Fragen über die Endlichkeit des menschlichen Lebens und wie man leben soll, obwohl alles irgendwann enden wird.“
Eine andere Dimension und das Gelangen an ein anderes Ufer waren dann auch zentrale Themen des Heilers Richard. Ein weiteres Sektenmitglied beschrieb dessen Persönlichkeit vor Gericht:
„Er hatte eine riesige Autorität. Manchmal sagte er Dinge, die wir sofort unterschrieben hätten. Diese Autorität und die Angst waren bei mir sehr wichtige Faktoren hinsichtlich dessen, wozu ich damals fähig war. Heute nehme ich das langsam an und versuche, mich dem anzunähern. Zu der Zeit gab es aber aus meiner Sicht keine Möglichkeit, sich dem zu widersetzen. Innerhalb der Gruppe kam es zu Situationen, die Richard hervorrief und bei denen die Menschen große Schmerzen und Leiden durchlebten. Dies führte er absichtlich herbei, und auch die Menschen brachte er derart gegeneinander auf, dass extreme Emotionen zum Ausdruck kamen. Mir sagte er etwa, dass mein Sohn mich umbringen wolle. Er richtete sich aber nicht nur gegen mich, sondern so war es in der ganzen Gruppe üblich. Der freie Wille verliert sich einfach, wenn man vor solch einer Autorität oder angenommenen Autorität steht. Man hat keine Chance: Entweder man verliert sich in dieser Hölle à la Dantes Inferno, oder man tut alles, um weiterleben zu können und seine Seele zu retten.“
Gewaltsame Reinigungsrituatle im Wald
Während Richard die Menschen zu Beginn noch kostenlos behandelte, stellte er die Termine in späteren Jahren in Rechnung. Es sei in der Gruppe immer mehr auch um Geld gegangen, schildert Vít Kubant. Eine Sitzung habe 500 Kronen (21 Euro) gekostet, und nach dem gewaltsamen Tod des Heilers im Oktober vergangenen Jahres seien in dessen Prager Wohnung etwa 95 Millionen Kronen (vier Millionen Euro) in bar gefunden worden. Weiter erläutert Martin Štorkán:
„Es gab Fälle, in denen Richard die Gebühren rückwirkend für mehrere Jahre einforderte, in denen diese nicht gezahlt wurden. Dann wollte er auf einmal eine Million Kronen (42.000 Euro, Anm. d. Red.) sofort und in bar. Diese packte er in den Tresor. Er lebte nicht sehr pompös und gab nicht viel aus. Wahrscheinlich wurde deswegen so viel Geld bei ihm gefunden. Denn seine eigenen Träume wie etwa schnelle Autos ließ er sich durch seine Anhänger erfüllen.“
In diesem Falle redete der Guru seinen Gefährten ein, sie würden ein spezielles Auto unbedingt kaufen wollen – und fuhr dann aber selbst damit. Ein Sektenmitglied beschrieb vor Gericht eine weitere Art der Finanzbeschaffung:
„Wir haben Briefe geschrieben, in denen wir unsere Probleme gebeichtet haben. Jeder verfasste zwei Briefe – einen für sich und einen gemeinsamen. Und für jeden forderte er 66.000 Kronen (2740 Euro, Anm. d. Red.) ein. Es war unmöglich, dies nicht zu tun. Er fand immer einen Weg.“
Um sich ihren Problemen oder auch Sünden zu stellen, forderte Richard von seinen Anhängern auch die Teilnahme an Gruppenritualen ein. Und diese, so die Vermutung der ermittelnden Polizei wie auch der beiden Rundfunkreporter, haben zwei Todesopfer gefordert. Zwar sind die genauen Abläufe noch nicht bekannt, aber beide Vorkommnisse scheinen mit Aufenthalten auf der Burg Český Šternberk / Böhmisch Sternberg im August vergangenen Jahres in Zusammenhang zu stehen. Vít Kubant:
„Eine Person sollte anscheinend zu einem Ritual anreisen, das nicht besonders angenehm war. Wir wissen nicht genau, wie es ablief. Aber wahrscheinlich sollte es dabei zur Konfrontation mit den eigenen Sünden aus der Vergangenheit gehen, die es aber gar nicht gegeben hat. Der Heiler hatte den Mitgliedern jedoch eingeredet, dass sie Verbrechen begangen und diese als unangenehme Erinnerung verdrängt hätten. Eben mit so etwas sollte der Betreffende, František J., konfrontiert werden. Aber er kam nicht zum verabredeten Treffpunkt.“
Wie die beiden Journalisten von der Polizei erfuhren, wurde der 56-jährige František J. zwischen zwei Dörfern unweit von Kutná Hora tot aufgefunden. Einige Sektenmitglieder äußerten in Vernehmungen die Vermutung, er habe Selbstmord begangen.
Zur gleichen Zeit hielten sich der 59-jährige Jiří H. und vier weitere Gruppenmitglieder auf Geheiß des Heilers mehrere Tage lang im Wald von Český Šternberk auf. Sie sollten sich von einer angeblichen Sexualstörung reinigen, bei der Richard unter anderem Promiskuität und Pädophilie „diagnostiziert“ hatte. Den Recherchen von Štorkán und Kubant zufolge erlitt der nackt herumlaufende Jiří H. dabei Schläge mit einer Holzstange, vor allem im Nieren-, Gesäß- und Kopfbereich. In kritischem Zustand wurde das Opfer dann von den anderen Gruppenmitgliedern nach Kutná Hora gebracht. Doch der Rettungsdienst konnte nichts mehr für Jiří H. tun.
Verschwinden in eine andere Dimension
Erstaunlich ist, dass der Heiler Richard seine Anhänger vor allem mit seiner verbalen Überzeugungskraft zu solch schrecklichen Handlungen drängte. Ein Zeuge vor Gericht:
„Er operierte mit den allerstärksten Begriffen: Verrat, Liebe in Form von Hieros gamos (Heilige Hochzeit, Anm. d. Red.), Schicksal, verlorene Seele. Oft griff er auf Dantes Darstellung des Infernos zurück – wer nicht auf ihn höre, der würde eben in Dantes Hölle enden, in unendlichem Schrecken und ohne jede Hoffnung. Ich weiß, dass das heute banal klingt. Aber zu der Zeit habe ich ihm bedingungslos geglaubt. Ein Verrat hätte für mich bedeutet, dass das Leben jeden Sinn verliert.“
Ob auch Richard den Sinn in seinem extremen Leben verloren hatte oder vielmehr an den bevorstehenden Höhepunkt glaubte, ist unklar. Nach den beiden Todesfällen sowie der kurz zuvor erlebten Trennung, bei der seine Lebensgefährtin ihn nach 19 Jahren verlassen hatte, soll er jedenfalls zwei Anhängerinnen dazu gebracht haben, ihn zu töten. Nach polizeilichen Erkenntnissen wurde der selbsternannte Heiler am 5. Oktober 2022 in seiner Wohnung im vierten Prager Stadtbezirk durch ein Anästhetikum betäubt und mit einem Skalpell ums Leben gebracht. Nach eigenen Aussagen glaubten die beiden Frauen, ihr Guru würde dadurch in eine andere Welt gelangen. Als sein Körper aber nicht wie vorausgesagt verschwand, stellten sich die Frauen der Polizei. Seitdem laufen die Ermittlungen.