Entmündigt und eingesperrt – Staat muss Mann aus Prag entschädigen
Der Europäische Menschengerichtshof in Straßburg hat einem Mann aus Prag Recht gegeben. Dieser hatte gegen den tschechischen Staat geklagt, weil dieser ihn jahrelang gegen seinen Willen in eine geschlossene Anstalt sperren ließ.
„Ich hatte mir einen Psychiater gesucht, weil ich unter mangelndem Selbstbewusstsein leide. Um mir Mut zu machen, trank ich zwei Bier. Der Psychiater roch das, regte sich auf und sagte: So aber nicht, ich lasse Sie entmündigen!“
Vergeblich versuchte der Mann darauf, seine Geschäftsfähigkeit zurückzuerhalten. Stattdessen verbrachte er insgesamt 27 Monate in psychiatrischen Kliniken. Dann kam es zu dem, was nun im Mittelpunkt des Gerichtsprozesses in Straßburg stand. Seine gesetzliche Vertreterin lockte den Mann in eine geschlossene Anstalt, wobei sie ihn glauben machte, dass er zu einer Operation seines kranken Knies fahre:„Sie sagte, am Abend würden wir zurückfahren, und das Knie werde in Ordnung sein. Aber ich bin nicht mehr von dort weggekommen.“
Es war eine private Anstalt vor allem für Demenzkranke. Für die Einlieferung reichte nach damaligen Gesetzen ein Vertrag, den die gesetzliche Vertreterin unterschrieb. In der Anstalt lebten die Patienten unter menschenunwürdigen Bedingungen – mit Fäkalien besudelte Klos, die niemand reinigte, und als Nahrung nur Brei. Das Schlimmste sei aber gewesen, ständig eingesperrt zu sein.„Ich konnte nicht rausgehen. Wenn die Sonne schien, waren da nur ein Garten mit zwei Bäumen und einer Bank.“
Mit allen Mitteln bemühte sich der Mann, aus der Anstalt freizukommen. Erst als er sich von seinem Mini-Taschengeld Papier und Briefmarken kaufen lassen konnte, kam die Wende. Er schrieb einen Brief an die Liga für Menschenrechte, die sofort einschritt. Das war acht Monate nach seiner Einlieferung.
Seitdem hat der Mann versucht, für den Aufenthalt in der Anstalt eine Entschädigung zu bekommen. Der Fall ging durch alle Instanzen in Tschechien, doch keine gab ihm Recht. Dabei ist dies nur der krasse Auswuchs einer allgemeinen Praxis, die es bis vor kurzem noch hierzulande gab. Jahrelang haben Menschenrechtler und der Ombudsmann kritisiert, dass tschechische Behörden oft selbstherrlich Menschen entmündigen. Erst das neue Bürgerliche Gesetzbuch von 2012 hat dem enge Grenzen gesetzt.Straßburg entschied am Donnerstag dann endlich zugunsten des Mannes. 15.000 Euro stehen ihm nun vom tschechischen Staat an Entschädigung zu. Anwältin Šárka Dušková von der Liga für Menschenrechte:
„Der Europäische Menschengerichtshof hat bestätigt, dass mein Mandant seiner Freiheit beraubt wurde. Für ihn hätte es eine Möglichkeit geben müssen, rechtlich gegen seine Internierung vorzugehen. Das heißt, vor Gericht zu beantragen, dass der Vertrag aufgelöst oder er aus der Anstalt entlassen wird.“Gegen den Urteilsspruch von Straßburg kann im Übrigen noch Einspruch erhoben werden. Dass der Staat dieses Recht nutzen werde, bezeichnete der zuständige Bevollmächtigte aber als „eher unwahrscheinlich“.
Der Mann, der so geschädigt wurde, ist heute Frührentner. Er lebt in einer kleinen Wohnung in Prag, liest viel und spielt gerne Orgel.