In Erinnerung an die früheren deutschen Bewohner von Schneeberg: Gedenkstein am ehemaligen Friedhof

Enthüllung des Gedenksteins am ehemaligen Friedhof

Das Elbsandsteingebirge war auch auf der tschechischen Seite früher zu großen Teilen deutsch besiedelt. Meist erinnert aber kaum mehr etwas an die ursprünglichen Bewohner, die nach dem Zweiten Weltkrieg vertrieben wurden. So auch in Sněžník, oder auf Deutsch: Schneeberg. In dem heutigen Ortsteil von Jílové / Eulau wurden vor zwei Jahren am Waldrand die Reste eines deutschen Friedhofs gefunden. Vor kurzem wurde auf dem Gelände ein Gedenkstein aufgestellt.

Zeitzeuge Gerhard Hahnel  (rechts) und Bürgermeister Miroslav Kalvas | Foto: Till Janzer,  Radio Prague International

Gerhard Hahnel war 13 Jahre alt, als seine Familie aus dem Ort Raitza (tschechisch: Rájec) vertrieben wurde. Er kennt auch die Gegend des früheren Schneeberg. Mit dem Rad seien sie damals als Kinder häufiger hergefahren, sagt er:

„Wir waren hier in den Pilzen und haben dort hinten in Richtung Tisá auch Preiselbeeren gesammelt. Das war unser Leben.“

Gerhard Hahnel ist an diesem etwas windigen Freitagvormittag zur Enthüllung eines Gedenksteins gekommen. Dieser soll an den früheren deutschen Friedhof erinnern. Hahnel lebt in Bad Gottleuba, nahe der tschechischen Grenze. Er habe noch weitere Vertriebene gebeten teilzunehmen, berichtet der 89-Jährige:

„Ich selbst habe das als positiv angesehen. Alle meine Freunde haben das aber abgelehnt. Ich habe viele eingeladen. Sie meinten zu mir: ‚Das kannst du ruhig allein machen, wenn du so dumm bist!‘“

Denn der Friedhof in Schneeberg wurde nach dem Krieg von aufgebrachten Tschechen zerstört. Es war einer der vielen Racheakte für Hitlers Besetzung von Böhmen und Mähren. Gerhard Hahnel hat sich aber dennoch hierher bemüht – obwohl er nicht mehr gut gehen kann und die letzten paar Hundert Meter seinen Rollator über eine holprige Wiese schieben musste.

Aus Schneeberg vertrieben

Schneeberg ist mittlerweile von der Stadt Jílové eingemeindet. Deren Bürgermeister Miroslav Kalvas (SNK – Občané Jílového) ist ebenfalls zur Enthüllung gekommen.

„Das Problem der Sudeten ist, dass solche Orte entwurzelt wurden. Nachdem die meisten der ursprünglichen Bewohner weg waren, sind neue Menschen hergezogen. Die Zeit hat das Gefühl des Unrechts abgeschwächt, das einem angetan wurde. Und das auf beiden Seiten. Wir bemühen uns, nach den Erinnerungsorten zu forschen und sie dann der Öffentlichkeit zu erläutern. So finden wir einen Weg zurück zu uns selbst“, so Kalvas.

Dass es in Schneeberg einen deutschen Friedhof gegeben hat, erfuhr die jetzige Gemeindeführung aber auch erst vor einigen Jahren. Dem Rathaus kamen daher die Nachforschungen von Lucie Römer zupass. Die Journalistin hat zusammen mit der Fotografin Michaela Danelová frühere deutsche Gräber in den Kreisen Ústí nad Labem / Aussig und Karlovy Vary / Karlsbad dokumentiert:

Grabstein-Fragment | Foto: Till Janzer,  Radio Prague International

„Dabei haben wir entdeckt, dass vielerorts nicht mehr zu erkennen ist, ob dort überhaupt noch jemand begraben liegt. Es gab nur mehr Fragmente der Grabsteine, oder diese waren total vermüllt. Wir haben dann überlegt, wie man das Projekt weiterführen könnte. Dabei ist uns die Idee gekommen, an den Orten, an denen die ehemaligen deutschen Friedhöfe kaum noch zu erkennen sind, Gedenksteine zu installieren.“

Auf Sněžník kam Lucie Römer dabei eher per Zufall – und zwar vor zwei Jahren während eines privaten Urlaubs.

Lucie Römer | Foto:  Europäisches Journalismus-Observatorium

„Da ich damals gerade an dieser Dokumentation über die deutschen Friedhöfe gearbeitet habe, fragte ich herum, ob es vor Ort nicht vielleicht auch einen solchen gegeben habe. Alle Leute sagten mir, hier sei nichts gewesen. In unserer Unterkunft sah ich aber eine alte Landkarte der Gegend. Und da war auf dieser Wiese ein Kreuz eingezeichnet. Wir haben uns dann entschlossen, einmal nachzuschauen und fanden ein paar Steine mit deutschen Namen. Da dachten wir, dass ja wahrscheinlich doch ein Friedhof hier war. Ich habe dann die Gemeinde kontaktiert. Dort war man von Anfang an dafür, dass wir etwas machen“, schildert die Journalistin.

Die tschechischen Gemeinden haben selbst allerdings keine Möglichkeiten, Gelder für die Sanierung solcher alten Friedhöfe zu beantragen. So kam die Landesversammlung der deutschen Vereine ins Spiel. Sie vertritt die heutige deutsche Minderheit in Tschechien. Und sie steht hinter dem Projekt, bei dem die früheren Friedhöfe dokumentiert werden. Dafür kann die Landesversammlung auf Finanzen des bundesdeutschen Innenministeriums und der Ackermann-Gemeinde zurückgreifen.

Fragmente von Grabsteinen

Gedenkstein am ehemaligen Friedhof | Foto: Till Janzer,  Radio Prague International

Enthüllt wird der Gedenkstein dann auch unter regem Interesse tschechischer Medien. „Ruhe in Frieden“ lautet die Inschrift in beiden Sprachen. Der Stein steht am Kopf eines langgezogenen U aus den Resten früherer Grabsteine. Der Ort des Gedenkens wurde vom Steinmetz Vlastislav Hýbl aus Děčín / Tetschen entworfen. Olga Bauerová vertritt die Firma vor Ort:

„Die Stele ist ein alter Grabstein. Und die Platte mit der Inschrift ist dort angebracht, wo ursprünglich die Grabinschrift gewesen sein muss.“

Die Firma Hýbl will aber noch weitere Steine ausbuddeln. Laut Bauerová muss dies jedoch mit einem Bagger gemacht werden.

Maximilian Schmidt | Foto: Till Janzer,  Radio Prague International

Maximilian Schmidt ist Kulturreferent bei der Landesversammlung der deutschen Vereine. Er erinnert daran, dass die deutsche Besiedlung in den Böhmischen Ländern schon im 12. Jahrhundert begann. Es seien mitunter einfache Menschen gewesen, die auf den Friedhöfen bestattet wurden.

„Für uns als Landesversammlung ist es wichtig, ein Bewusstsein für die Geschichte herzustellen. Und das wird mit solchen Projekten gemacht. Außerdem sagt man ja: Ohne das Gedenken an die Geschichte kann es keine Zukunft geben“, so Schmidt.

In diesem Jahr hat die Landesversammlung noch an vier weiteren Orten in Nordböhmen ähnliche Gedenksteine aufstellen lassen. Doch wie viele zerstörte letzte Ruhestätten gibt es in Tschechien? Lucie Römer:

„Es bestehen kaum Daten zu den deutschen Friedhöfen. Als wir die Dokumentation angefertigt haben, sind wir auf 15.000 Gräber gestoßen. Wenn man die Gesamtzahl der Gemeinden in den ehemaligen Sudeten bedenkt und die durchschnittliche Anzahl an Gräbern dort, kann man davon ausgehen, dass es in Tschechien mehrere Hunderttausend weitere deutsche Gräber gibt – allerdings in unterschiedlichem Zustand. Bei manchen sind nur noch Fragmente der Grabsteine übrig, andere werden gepflegt. Wie viele deutsche Friedhöfe es gibt, ist schwer zu sagen. Denn was ist ein ‚deutscher‘ Friedhof? Auch hier waren ebenso Tschechen begraben. Da aber in Schneeberg in den 1930er Jahren rund 90 Prozent der Einwohner deutsch waren, sprechen wir von einem deutschen Friedhof. Aber was ist das genau?“

Das Friedhofsprojekt soll im kommenden Jahr weiterlaufen. Zeitzeuge Gerhard Hahnel empfindet dies als Genugtuung. Zugleich sagt er, dass alles etwas spät komme:

„Das ist eine Wiedergutmachung, die man jetzt anfängt. Aber wer kann dafür heute noch dankbar sein. Es lebt ja kaum einer mehr…“

Grabstein-Fragment | Foto: Till Janzer,  Radio Prague International
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Autor: Till Janzer
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