„Erinnerung vor Ort ist wichtig“ - Tscheche Václav Peřich bei Workshop in Auschwitz

Foto: Martina Schneibergová

Auschwitz gilt weltweit als Symbol der Grausamkeit. Doch wie kann man die Erinnerung an einen solchen Ort aufrechterhalten? Über den Umgang mit der gewaltbelasteten Vergangenheit dieser und anderer Orte haben vor kurzem die Teilnehmer eines europäischen Workshops der Maximilian-Kolbe-Stiftung diskutiert, darunter auch Tschechen.

Foto: Martina Schneibergová
Die Gewalterfahrungen im Europa des 20. Jahrhunderts lassen sich ohne die Auseinandersetzung mit Auschwitz nicht verstehen. Dies sagt Jörg Lüer. Er leitet die Maxmilian-Kolbe-Stiftung, die 2007 von der Deutschen Bischofskonferenz und der Polnischen Bischofskonferenz errichtet wurde. Der jüngste Workshop sei die erste größere Veranstaltung der Stiftung:

„Es ist bewusst nach Auschwitz gesetzt worden, um ein Zeichen zu setzen, dass wir das Verständnis des Phänomens Auschwitz für fundamental halten, um in Europa – egal in welchem Land wir uns befinden – in der Entwicklung unserer Identität und in der Heilung der Wunden, die vorhanden sind, weiter zu kommen.“

Unter den 30 Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus acht Ländern war auch Václav Peřich. Er arbeitet in der Kommission der Tschechischen Iustitia et Pax, die sich für die Einhaltung der Menschenrechte in der Welt einsetzt. Die Öffentlichkeit müsse vor allem die Orte mit gewaltbelasteter Vergangenheit kennen, meint er und erzählt eine persönliche Erfahrung mit der Suche nach einem solchen Ort:

„Unter diesem Aspekt ist es für mich sehr bewegend, dass meine Schwiegermutter einst auf der Rampe in Auschwitz stand, wo die Häftlinge selektiert wurden. Zum Glück kam sie in eine Gruppe jüdischer Frauen, die zur Arbeit in ein Hilfslager geschickt wurden. Sie verbrachte dort den Winter 1944 bis zur Auflösung des Lagers im Jahre 1945. Es war ein solch kleiner Ort in Niederschlesien, dass ich ihn fast nicht finden konnte. Als ich ihn fand, konnte ich kaum herausfinden, welche Gebäude dort zu dem Arbeitslager gehört haben. Die neuen Bewohner wussten nichts davon. Mit Hilfe der Gedenkstätte Groß-Rosen konnte ich alle Fakten überprüfen, und ich habe sogar veranlassen können, dass dort eine Gedenktafel installiert. Sie erinnert an das Leiden der vielen jüdischen Frauen.“

Václav Peřich  (Foto: ČTK)
Die Gedenkstätte Groß-Rosen und die Behörden in der dem Lager Kurzbach nahe gelegenen Stadt Zmigród seien sehr entgegenkommend gewesen, sagt Václav Peřich, denn:

„Sie waren irgendwie froh, dass die Region ein Teil ihrer Geschichte zurückerhält, auch wenn diese Geschichte traurig ist. Am 8. Oktober dieses Jahres soll die Gedenktafel feierlich enthüllt werden. Zudem wird in der Stadt Zmigród eine Ausstellung über das Arbeitslager eröffnet, die die Gedenkstätte Groß-Rosen konzipiert.“

Die Erinnerung an die grausame Vergangenheit an dem bestimmten Ort findet Václav Peřich besonders wichtig. Es sei oft so, dass die erste Generation ungern über ihre Erlebnisse spricht:

„Meine Schwiegermutter wollte über das KZ mit den Kindern nicht reden, weil ihr die Erfahrung so schrecklich vorkam, dass sie diese für eine Belastung für ihre Kinder hielt. Die zweite Generation, also die Kinder der Holocaust-Überlebenden, weiß davon, kann aber darüber nicht sprechen, weil es ein ziemliches Tabu-Thema ist, vor dem sie die Eltern bewahren wollten. Die dritte Generation ist aber nicht mehr so scheu und zurückhaltend – die Enkelkinder haben meine Oma vieles gefragt: ´Wie war es? Was war am schlimmsten?´ Sie sagten: ´Du musst etwas darüber schreiben, du musst deine Erinnerungen auch an Steven Spielberg schicken´. Damit hat sich das bisherige Tabu-Thema auch für meine Frau geöffnet und wir fingen an, nach dem Ort zu suchen, wo ihre Mutter im Arbeitslager war. Denn sie hat sich das unter den damaligen Bedingungen nicht gemerkt.“

Václav Peřich fand es sehr inspirierend, sich über das Thema der gewaltbelasteten Vergangenheit mit Menschen verschiedener Generationen aus anderen europäischen Ländern auszutauschen. Während der Diskussion mit den Teilnehmern aus der Ukraine oder Bosnien-Herzegowina kam die Rede auch auf die Gräueltaten aus der jüngsten Vergangenheit.

Fotos: Martina Schneibergová