Erlebte Vergangenheit: Schüler sprechen mit Opfern des Kommunismus

Foto: Paul Bauer

Seit dem Zusammenbruch des kommunistischen Regimes in der ehemaligen Tschechoslowakei sind mehr als 22 Jahre vergangen. Wie sich in verschiedenen Umfragen zeigt, hat die jüngere Generation oft nur sehr vage Vorstellungen darüber, wie verheerend das totalitäre Regime das Schicksal ganzer Familien beeinflusst hatte. Ein neues Forschungsprojekt für Schüler bietet nun die Möglichkeit, nach Spuren in der kommunistischen Vergangenheit zu suchen. Am Montag haben die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Projektes die Resultate ihrer Forschungen vorgestellt.

Foto: Paul Bauer
Die Mädchen und Jungen im Museumssaal im westböhmischen Jáchymov / Joachimsthal diskutierten noch rege miteinander. Vorne wurden zuvor bereits zwölf Tafeln mit Fotos und Dokumenten installiert. Sie bilden den Grundstock einer Wanderausstellung, die das Resultat der Arbeit am Projekt „Spuren des Totalitarismus“ ist. Die Schüler ergänzen ihre Forschungsergebnisse zudem mit Video- oder Tonaufnahmen, in denen Zeitzeugen über ihre Erfahrungen berichten. Marek Zajíc besucht das Gymnasium im nordmährischen Šternberk und interessiert sich vor allem für die Zeitgeschichte:



„Als uns unsere Lehrerin von diesem Projekt erzählt hat, habe ich nicht gezögert und mich mit meinen Mitschülern gleich angeschlossen. Wir haben das Schicksal von Herrn Jiří Jaroslav Tylšer beschrieben, der der Großvater einer Bekannten ist. Wir haben ihn etwa dreimal besucht und mit ihm geredet. Er durfte während des Kommunismus nicht studieren, weil sein Vater von den Kommunisten als Ausbeuter bezeichnet wurde. Er hatte die Sendungen von Radio Free Europe und von Voice of America gehört und wurde von den Nachbarn denunziert. Wir möchten an dem Projekt weiter arbeiten und noch mehr Mitschüler mit einbeziehen. Ich denke, dass dieses Projekt auch für nächste Generationen wertvoll ist.“

Marta Vančurová
Initiiert wurde das Projekt von der Bürgerinitiative „Zapomenutí“ (Die Vergessenen). Die Koordinatorin, Marta Vančurová, hat Erfahrungen mit ähnlichen Schülerprojekten. Sie habe zehn Jahre lang mit ihren Mitarbeitern das Schülerprojekt „Verschwundene Nachbarn“ betreut, erzählt sie. In seinem Rahmen hatten Schülerinnen und Schüler das Schicksal der jüdischen Bewohner ihrer Stadt recherchiert.

„Wir hatten die Idee, die methodische Vorgehensweise dieses Projekts für die Epoche nach dem Zweiten Weltkrieg zu übernehmen. Und so ist das Projekt ´Spuren des Totalitarismus´ entstanden. Begonnen wurde 2010, wir haben mehrere Schulen angesprochen und sie zur Teilnahme aufgefordert. Die Forschungsarbeit ist nicht einfach, es fordert schon Einsatz. Anhand der Forschungen der Schüler entstehen nun eine Webseite sowie die Wanderausstellung. Und schließlich werden die Schüler geschult, um die Besucher durch die Ausstellung führen zu können.“

Dana Gabalová von der Bürgerinitiative „Zapomenutí“ ergänzt ihre Kolllegin:

„Ob es nun um das totalitäre Nazi-Regime oder das kommunistische Regime ging, die Folgen für die Menschen waren verheerend. Die jungen Leute sollen nicht nur Fakten im Geschichtsunterricht lernen. Es geht uns auch darum, dass die Jugendlichen erkennen, wie der Totalitarismus das Leben der Menschen in ihrer Umgebung beeinflusst hat. Es ist wichtig, dass sie Zeitzeugen treffen und mit ihnen sprechen.“

Museum in Jáchymov  (Foto: Paul Bauer)
Da die Schüler nach dem Schicksal der Menschen in ihrer Umgebung forschen, gelang es ihnen, Erkenntnisse zu sammeln, die auch für professionelle Historiker von Bedeutung sind. Die erste Station der Wanderausstellung ist das Museum in Jáchymov. Die Stadt wurde nicht zufällig gewählt: dort befand sich seit 1948 eines der berüchtigten kommunistischen Arbeitslager, in dem politische Gefangene radioaktives Uran teilweise mit bloßen Händen abbauen mussten.