„Es fehlt der Kitt“ – Politologe Schuster über Paroubeks Pläne einer eigenen Partei
Wer dachte, dass sich während der Sommerpause in Tschechiens Parteienlandschaft nur wenig täte, wurde jetzt eines Besseren belehrt. Vergangene Woche tauchten in zahlreichen Zeitungen Meldungen auf, wonach der frühere tschechische Regierungschef Jiří Paroubek die sozialdemokratische Partei verlassen und sich an die Spitze einer neuen Gruppierung stellen will. Auch wenn dem Vernehmen nach die gegenwärtige sozialdemokratische Parteiführung um Parteichef Bohuslav Sobotka in dieser Woche noch einen Versuch unternehmen will, Paroubek in der Partei zu halten: Die Aussichten, dass dies gelingen könnte, sind nicht besonders groß. Dazu sind Paroubeks Pläne für seine nächste politische Zukunft wohl schon zu weit fortgeschritten. Über die Hintergründe von Paroubeks Plänen nun ein Gespräch mit unserem Mitarbeiter, dem Politikwissenschaftler Robert Schuster.
„Von einer großen Überraschung oder sogar einem Paukenschlag kann wohl nicht die Rede sein. Tatsache ist, dass Jiří Paroubek als Spitzenkandidat der letzten Parlamentswahlen die Wahl mitverloren hat und noch am gleichen Abend zurückgetreten ist. Praktisch war er nicht mehr Mitglied der sozialdemokratischen Partei. Paroubeks Weg lässt sich als Entfremdungsprozess umschreiben. Die Medien berichteten beispielsweise, dass Paroubek nicht mehr an allen Fraktionssitzungen teilnahm. Viele meinten sogar, dass es nur eine Frage der Zeit sei, bis Paroubek sein Mandat niederlegen und gänzlich aus der Politik ausscheiden würde. Nun versucht er scheinbar eine neue Partei zu gründen, diese aufzubauen und sich dadurch wieder politisch einzubringen. Das zeugt davon, dass er wohl in der Politik bleiben will. Vielleicht sieht er darin eine letzte Chance politisch aktiv zu bleiben. Würde Paroubek nämlich bis an das Ende der Legislaturperiode ein einfacher sozialdemokratischer Abgeordneter bleiben, geriete sein Name vermutlich in Vergessenheit. Jetzt kennt ihn noch jeder, er hat einen Markenwert, mit dem er noch wuchern kann.“
Laut Medienberichten will Paroubek entweder eine vollkommen neue Partei gründen oder aber eine bereits bestehende Splitterpartei übernehmen und zum Erfolg führen. Welche Erfolgsaussichten hätte dieses Projekt?„Da bin ich etwas vorsichtig. Es gibt einen interessanten Präzedenzfall, der ebenfalls zwischen den Sozialdemokraten ausgetragen worden ist. Es geht um die Partei von Miloš Zeman. Auch Zeman war wie Paroubek tschechischer Premier und zugleich Parteivorsitzender. Später ist er dann freiwillig aus der Politik ausgeschieden. Er selbst bezeichnete sich immer als ein in Rente gegangenen Politiker. Nach vier oder fünf Jahren hat er dann aber versucht, wieder Fuß in der Politik zu fassen. Auch er hat eine neue Partei gegründet. Diese linkspopulistische Partei scheiterte aber, als sie in den letzten Wahlen die Fünfprozent-Hürde nicht nehmen konnte - trotz positiver Umfragewerte. Paroubek kann eigentlich nur das gleiche Wählerpotenzial wie Zeman ansprechen. Gemeint sind sozialdemokratische Wähler, die mit der Partei gebrochen haben. Sie fühlen sich von den Sozialdemokraten verraten, oder die Partei ist ihnen nicht konsequent links genug. Ob diese Wähler ausreichen, um landesweit in der Politik mitzumischen, ist fraglich. In den letzten Tagen wurde in den Medien spekuliert, ob sich Paroubek eventuell nur auf Regionalebene aufstellen lässt. In Nordböhmen bekam er bei den letzten beiden Parlamentswahlen als Spitzenkandidat für die Sozialdemokraten 50.000 Vorzugsstimmen. Zudem sollte man nicht vergessen, dass bei den Regionalwahlen die Wahlbeteiligung immer niedriger ist als bei den landesweiten Parlamentswahlen. Der Plan könnte also aufgehen. Wenn Paroubek sich als Spitzenkandidat in Nordböhmen aufstellen lässt, hätte er durchaus die Chance gewählt zu werden.“
Warum kommt es gerade bei den Sozialdemokraten so oft zu solchen Entwicklungen? Blickt man auf Liste der Vorsitzenden der letzten zehn Jahre, sieht man, dass von vier früheren Parteichefs nur einer, nämlich Vladimír Špidla, immer noch Mitglied ist…„Ja, das ist ziemlich interessant. Vor allem, wenn man diese Entwicklung mit der von anderen sozialdemokratischen Parteien in Europa vergleicht. Zum Beispiel gibt es auch in Deutschland oder Frankreich immer wieder sehr starke Spannungen zwischen dem rechten und linken Flügel. Aber trotzdem halten diese Flügel zusammen. Wenn es in Tschechien bei den Sozialdemokraten zu dieser Lagerbildung kommt, dann endet das darin, dass sich ein Teil eines der Flügel abspaltet und irgendwo dann versucht eine neue Gruppierung zu gründen oder nicht. Eine Erklärung ist, meiner Meinung nach, dass ganz einfach so etwas wie ein Kitt fehlt, der diese verschiedenen Lager oder Fraktionen zusammenhält. Bei den französischen Sozialisten oder bei den deutschen Sozialdemokraten ist diese Verbindung die Idee vom Sozialstaat. Das heißt: Ob man linker Sozialdemokrat oder rechter Sozialdemokrat ist, man glaubt an diesen Sozialstaat und will ihn erhalten. So eine grundlegende Idee fehlt bei den tschechischen Sozialdemokraten, was natürlich auch damit zusammenhängt, dass die Partei zwar im 19. Jahrhundert gegründet wurde, aber in den 40 Jahren des Kommunismus verboten war. Damit fehlt ganz einfach ein ideologischer oder weltanschaulicher Unterbau. Das macht sich dann bei solchen Krisen bemerkbar, in denen die Fraktionen gegeneinanderstehen.“