EU-Kommission: Štefan Füle übersteht Brüsseler Kandidaten-Hearing

Štefan Füle (Foto: Europäische Kommission)

Jede Menge Bewegung gibt es derzeit in der Europäischen Union: Vor wenigen Wochen ist der Reformvertrag von Lissabon in Kraft getreten, das neue Regelwerk für die EU der 27. Seit Sommer gibt es ein neues Europäisches Parlament, und auch eine neue Kommission hat bereits Gestalt angenommen. Die 27 EU-Kommissare werden jeweils von den Regierungen der Mitgliedstaaten nominiert, aber auch das Europäische Parlament muss die Kommission absegnen. Vergangene Woche standen die Kommissaranwärter den Abgeordneten Rede und Antwort. Der Tscheche Štefan Füle soll das Ressort Erweiterung und Europäische Nachbarschaftspolitik übernehmen. Wie hat er sich bei seinem Hearing geschlagen?

Beim Hearing im Europäischen Parlament wurde Štefan Füle bereits mit „Kommissar“ angesprochen. Eine etwas verfrühte Geste der Höflichkeit. Denn bevor die neue EU-Kommission die Amtsgeschäfte tatsächlich übernehmen kann, müssen alle 27 Anwärter das so genannte Kandidaten-Grillen überstehen. Der Tscheche Štefan Füle war am vergangenen Dienstag an der Reihe. Drei Stunden lang antwortete der designierte Kommissar für Erweiterung und Europäische Nachbarschaftspolitik auf die Fragen der EU-Abgeordneten. Viel Zeit für Grundsätzliches und Konkretes.

Štefan Füle  (Foto: Europäische Kommission)
„Für mich ist die EU-Erweiterung mehr als nur ein Ressort. Sie hat mein Land und mein Leben verändert, und sie hat Europa als Ganzes verändert. Sie hat Millionen von Menschen wieder Hoffnung und Würde gegeben“, so Füle über die noch junge EU-Mitgliedschaft der Tschechischen Republik und sein künftiges Aufgabengebiet in der Brüsseler Kommission.

Seine Herkunft betonte Füle auch an anderer Stelle, etwa als er nach seinen Ansichten zur Visafreiheit zwischen der EU und ihren Nachbarn gefragt wurde.

„Ich bin sehr froh, dass wir am 19. Dezember drei Staaten den visafreien Verkehr mit uns ermöglichen konnten“, sagte Füle und meinte damit Serbien, Mazedonien und Montenegro. „Als Tscheche weiß ich, wie wichtig es ist, einfach seinen Pass zu nehmen und ohne Visum frei im Schengenraum reisen zu können. Ich werde daher sehr hart daran arbeiten, dass ich Mitte

Štefan Füle  (Foto: Europäische Kommission)
nächsten Jahres auch Bosnien-Herzegowina und Albanien für diese Liste vorschlagen kann – vorausgesetzt, diese Länder machen ihre Hausaufgaben. Und ich möchte einen strukturierten Dialog mit dem Kosovo einleiten, damit wir uns langfristig auch hier der Perspektive eines visafreien Regimes nähern. Bei all dem wird meine oberste Priorität aber stets die Sicherheit der EU-Bürger sein.“

Manche Kritiker im eigenen Land werden wohl gerade Füles Hinweise auf die kommunistische Vergangenheit der Tschechoslowakei nur schwer verdauen können. Denn vor der demokratischen Wende des Jahres 1989, als auch die erwähnte Reisefreiheit für die meisten Tschechinnen und Tschechen nur ein schöner Traum war, da war der heute 47-jährige Füle Mitglied der Kommunistischen Partei und studierte an einer sowjetischen Elite-Diplomatenakademie in Moskau. Dass er auf diesen Teil seiner Vergangenheit nicht gerade stolz ist, das hatte Füle bereits zuvor eingeräumt. Beim Kandidaten-Hearing in Brüssel sagte er nun, jeder habe seine persönliche Geschichte, und auch die seine sei verbunden mit der Zeit und dem Ort, an dem er aufwuchs:

Foto: Europäische Kommission
„Wichtig ist, dass ich in dem Moment, als ich frei und erwachsen genug war, die Entscheidung getroffen habe, meine Fähigkeiten und Erfahrungen in den Dienst der Tschechoslowakischen beziehungsweise Tschechischen Republik zu stellen. Meine Akte aus den letzten 20 Jahren ist rein, und im selben Geist biete ich meine Fähigkeiten auch der Europäischen Kommission an“, so Füle, der bereits tschechischer Botschafter in Großbritannien und bei der NATO sowie Minister für Europäische Angelegenheiten war.

Indirekte Unterstützung bekam Füle von Zuzana Roithová, einer Europa-Abgeordneten der tschechischen Christdemokraten. Roithová fragte ihn, welche Geheimhaltungsstufe bei der NATO für ihn gegolten habe. Die höchste, sagte Füle. Das bedeutet Zugang auch zu Dokumenten der Kategorie „streng geheim“. Die mitgelieferte Botschaft: Die NATO hätte wohl kaum einen Mann ins engste Vertrauen gezogen, der kommunistische Ansichten oder ein politisches Naheverhältnis zu Moskau hat.


Doch zurück zur Gegenwart und zu Füles Aufgaben in der Europäischen Kommission. Von Serbien etwa war bereits im Rahmen der Visafreiheit die Rede. Wie steht es um die weitere Annäherung Belgrads an die EU? Štefan Füle:

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„Ich erwarte eine Entscheidung in fünf Monaten, natürlich basierend auf dem Bericht aus Serbien, und ich hoffe sehr, dass wir dann mit der Ratifizierung des Assoziierungs- und Stabilisierungsabkommens beginnen können. Dieses Abkommen ist sehr wichtig und wird Serbien näher an die Europäische Union heranführen. Sie werden von mir jetzt keinen Zeitplan hören, aber generell möchte ich, dass dieser Zeitplan so kurz wie möglich ist – bei gleichzeitiger Erfüllung aller notwendigen Bedingungen.“

Das genannte Assoziierungs- und Stabilisierungsabkommen stellt eine Art Rahmen dar für die Beziehungen zwischen der Europäischen Union und den westlichen Balkanstaaten. Unter Berücksichtigung der spezifischen Situation im jeweiligen Partnerland werden gemeinsame politische und wirtschaftliche Ziele verfolgt und die regionale Zusammenarbeit gefördert – ein erster Schritt in einem Prozess, der schließlich in die Aufnahme von offiziellen Beitrittsverhandlungen münden kann.

Beitrittskandidaten mit bereits laufenden Verhandlungen sind Kroatien und die Türkei. Kroatien könnte bereits 2011 der Europäischen Union

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beitreten. Zur umstrittenen Beitrittsperspektive für die Türkei sagte Füle, er könne sich das Land durchaus als Vollmitglied der EU vorstellen – allerdings müsse Ankara zuvor sämtliche Beitrittskriterien erfüllen. Damit liegt Füle vorerst im europäischen Mainstream. Einen konkreten Zeitplan für die Türkei gibt es derzeit nicht, außerdem haben mehrere EU-Staaten angekündigt, über eine eventuelle Mitgliedschaft der Türkei Volksabstimmungen durchführen zu wollen. Trotzdem könnte die Türkei-Frage eine der größten Herausforderungen für Füle werden, meint Adam Černý, Kommentator der tschechischen Tageszeitung Hospodářské noviny:

„Gerade der allfällige Beitritt der Türkei ist ein Thema, zu dem verschiedene EU-Mitglieder verschiedene Ansichten haben. Von Štefan Füle wird man also erwarten, dass er seine Meinung sagt, gleichzeitig wird er aber als Diplomat darauf achten müssen, sich nicht allzu eindeutig zu äußern. Das könnte eventuell ein großes Problem werden, und vielleicht wird das der Zeitpunkt sein, an dem er seine professionellen Qualitäten unter Beweis stellen muss.“

Der Start ist Füle jedenfalls gelungen: In- und ausländische Politiker und auch tschechische Journalisten beurteilten seinen Auftritt beim Brüsseler Hearing überwiegend positiv.